Die arabische Welt im Sog der Ukraine

Gespräche zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Syriens Staatschef Bashar Al-Assad auf einem russischen Militärstützpunkt; Foto: Reuters/SANA
Gespräche zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Syriens Staatschef Bashar Al-Assad auf einem russischen Militärstützpunkt; Foto: Reuters/SANA

Die russische Invasion in der Ukraine stärkt die Position mancher arabischer Länder, weil der Westen ihr Öl und Gas dann dringend braucht. Dennoch sehen sie den Konflikt mit Unbehagen. Von Christoph Ehrhardt

Von Christoph Ehrhardt

Als zu Beginn des Monats russische Kriegsschiffe in den syrischen Hafen von Tartus einliefen, wurde das in Moskau als Teil eines Manövers beschrieben. Kurz darauf setzte die Flottille, die für Landungsoperationen geeignet ist, ihre Reise in das Schwarze Meer fort und reihte sich in den russischen Aufmarsch rings um die Ukraine ein. Es war einer von vielen Vorfällen, die Verbindungen zwischen beiden Schauplätzen russischer Großmachtprojektion aufzeigte. Lange Zeit ging der "Syrien-Express“ vor allem in die andere Richtung.



So wurde der Nachschub bezeichnet, der aus dem Schwarzmeerhafen in Sewastopol von der Krim nach Syrien geschafft wurde, wo Russland im September 2015 auf der Seite von Machthaber Baschar al-Assad intervenierte.

Assad soll gegenüber seinen russischen Schutzherren einst getönt haben, er werde nicht davonlaufen wie der durch die Revolution 2014 gestürzte ukrai­nische Präsident Viktor Janukowitsch. Eine Flucht ist dank der russischen Waffenhilfe auch längst nicht mehr nötig. Und der syrische Machthaber muss wohl nicht fürchten, ohne russischen Schutz dazustehen, nachdem Wladimir Putin einen Krieg in der Ukraine begonnen hat.



Für den russischen Präsidenten sind die Militärpräsenz in Syrien, immerhin Nachbarland des NATO-Staates Türkei, und die Bedrohung der Ukraine Teile eines großen Kampfes gegen den Westen. Russland unterhält in Syrien neben der Marinebasis in Tartus unter anderem einen Luftwaffenstützpunkt.

Symbolbild Ölpreis; Foto: picture-alliance/AP/H. Jamali
Unbehagen am Golf: Öl- und Gasproduzenten wie Saudi-Arabien profitieren zwar von der Ukraine-Krise, denn der Westen hofft, darauf, dass sie bei Bedarf einspringen und mehr liefern. Aber Riad hat längst auch Fühler nach Moskau ausgestreckt, um seine Sicherheitsinteressen unabhängiger von Washington verfolgen zu können. Je größer die amerikanisch-russischen Spannungen sind, desto schwe­rer wird für das Königreich eine solche Gratwanderung zwischen Moskau und Washington.

Die Truppenstärke dort ist indes immer begrenzt gewesen, sodass keine Überdehnung der Kräfte drohen dürfte, sollte der russische Machthaber tatsächlich ein neues militärisches Abenteuer riskieren. Putin, der selbst die "unschätzbare Erfahrung“ gepriesen hat, die das russische Militär in Syrien gesammelt habe, hat in Syrien vor allem vom Zaudern seiner Gegner profitiert. James F. Jeffrey, früherer amerikanischer Sondergesandter für Syrien, hat in einem Meinungsartikel gewarnt, Wa­shington solle sich davor hüten, dass Russland nicht irgendwann in anderen Ländern nach seinen zynischen und brutalen, aber nachweislich erfolgreichen "Syrien-Regeln“ zu Werke gehe, wenn es seine Interessen bedroht sehe.

In Syrien muss Russland nichts von Amerika befürchten

Zuletzt sah es nicht so aus, als würde sich im Zuge der Ukrainekrise der Preis für Putin in Syrien erhöhen. Während sich die UN-Gesandten aus Washington und Moskau Ende Januar im UN-Sicherheitsrat einen erbitterten Schlagabtausch zur Ukraine lieferten, wurde dort laut einem Bericht des Internetportals "Foreign Policy“ von beiden ein gemeinsamer Vorschlag eingebracht, der vorsah, die Zahl der Treffen zu syrischen Chemiewaffen zu verringern, also den Druck auf Assad zu verringern.

Eigentlich würde Washington gern weniger diplomatische Energie als bisher in die nahöstlichen Krisenherde investieren. Aber es braucht in der Ukrainekrise das Öl und das Erdgas der arabischen Golfstaaten. Sie sollen im Kriegsfall helfen, eine Energiekrise abzuwenden. Als der Emir von Qatar, Tamim bin Hamad Al-Thani, Ende Januar im Weißen Haus zu Gast war, verkündete Präsident Joe Biden in dessen Gegenwart, er werde Qa­tar zu einem wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten ernennen. Was Biden bei seiner Würdigung nicht erwähnte, war der amerikanische Wunsch, dass das Emirat in die Bresche springt, sollten bei einer russischen Ukraine-Invasion Erdgaslieferungen aus Russland nach Europa ausfallen.

Doch in Doha mischt sich – wie in anderen Hauptstädten am Golf – in die Aussicht auf eine Stärkung der ei­genen Position auch Unbehagen. Die Auf­wertung hilft der Führung in Doha, die sich am Golf von mächtigen Rivalen umringt sieht und deshalb versucht, sich bei mächtigen Partnern unentbehrlich zu machen. Dennoch machte sie deutlich, mögliche Versorgungsengpässe nicht al­lein abwenden zu können. Außenminister Muhammad bin Abdulrahman Al-Thani erklärte zudem, Qatar werde nicht Teil "eines Konfliktes oder politischer Po­larisierung“ sein.

Info-Grafik zu den Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die MENA-Region; Quelle: DW
Während die öl- und gasexportierenden Staaten profitieren, befürchtet Christoph Ehrhardt In anderen Ländern der Region spürbare Auswirkungen an den Esstischen. Sie könnten den sozialen Frieden bedrohen. Ägypten, Libanon oder der Jemen müssten nicht nur steigende Energiepreise verkraften, sondern auch steigende Brotpreise, denn sie im­portieren große Mengen ukrainischen Weizens. Im Libanon deckte dieser im Jahr 2020 nach Angaben der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen etwa 40 Prozent des einheimischen Verbrauchs. Seither hat sich die Wirtschaftskrise drastisch verschärft, haben mehr und mehr Libanesen Schwierigkeiten, ausreichend Lebensmittel aufzutreiben.

Saudi-Arabien steht vor ähnlichen Ab­wägungen. Saudisches Erdöl würde im Kriegsfall wichtiger, was die Marktmacht des Königreichs (auch mit Blick auf die russische Konkurrenz) stärken würde. Kronprinz Muhammad bin Salman, der noch immer mit den Folgen der brutalen Ermordung seines Kritikers Jammal Khashoggi zu kämpfen hat und gern aus der Rolle des Gemiedenen ausbrechen würde, bekäme einen wirksamen Hebel in die Hand. Aber Riad hat längst auch Fühler nach Moskau ausgestreckt, um seine Sicherheitsinteressen unabhängiger von Washington verfolgen zu können. Im August vorigen Jahres unterzeichneten Saudi-Arabien und Russland ein Abkommen zur Entwicklung einer Militärkooperation. Doch je größer die amerikanisch-russischen Spannungen sind, desto schwe­rer fällt eine solche Gratwanderung zwischen Moskau und Washington.

In anderen Ländern der Region würde eine Eskalation in der Ukraine an den Esstischen spürbar und könnte den sozialen Frieden bedrohen. Ägypten, Libanon oder der Jemen müssten nicht nur steigende Energiepreise verkraften, sondern auch steigende Brotpreise, denn sie im­portieren große Mengen ukrainischen Weizens. Im Libanon deckte dieser im Jahr 2020 nach Angaben der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen etwa 40 Prozent des einheimischen Verbrauchs. Seither hat sich die Wirtschaftskrise drastisch verschärft, haben mehr und mehr Libanesen Schwierigkeiten, ausreichend Lebensmittel aufzutreiben. Brot ist der erschwinglichste Satt­macher, Mehl wird aus den bedrohlich schwindenden Reserven der Zentralbank subventioniert. Und die Bevölkerung ist schon jetzt mit den Nerven am Ende.

Christoph Ehrhardt

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2022