Muslime und Hindus Seite an Seite

Samyukta Kisan Morcha, eine Koalition aus mehreren Bauernverbänden, erklärt in Neu Delhi das Ende der Proteste; Foto: Mayank Makhija/Nur Photo/picture alliance
Samyukta Kisan Morcha, eine Koalition aus mehreren Bauernverbänden, erklärt in Neu Delhi das Ende der Proteste; Foto: Mayank Makhija/Nur Photo/picture alliance

Im November 2021 hatte die Regierung Modi den protestierenden Bauern zugesichert, die drei umstrittenen Agrargesetze zurückzunehmen. Daher werden die Ergebnisse der Wahlen in den Protesthochburgen, den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Punjab, im Februar und März mit Spannung erwartet. Von Dominik Müller

Von Dominik Müller

Die wichtigste Forderung der Bauern war die gesetzliche Garantie eines Mindeststützungspreises (MSP). Die Regierung hatte versprochen, dazu einen Ausschuß unter Beteiligung der Bauernorganisationen zu gründen. Bis heute ist dafür aber kein Anlauf unternommen worden. Viele blickten mit Spannung auf den 1. Februar, als der neue Haushalt vorgestellt wurde. Was würde er nach den historischen Bauernprotesten für die Landwirte enthalten, war die Frage, die vielen durch den Kopf ging. Aber auch im Haushaltsentwurf der Zentralregierung gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Regierung tatsächlich auf die Forderungen der Landwirte eingehen will oder Lösungen für die grundlegenden Sorgen der Landwirte wie steigende Betriebsmittelkosten anzubieten hätte.

Der indische Premierminister Narendra Modi selbst hatte bereits Ende November verkündet, die Gesetze zurückzuziehen. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt: Im Februar und März sind Wahlen in den bevölkerungsreichen Bundesstaaten Punjab und Uttar Pradesh. Die Wahlen gelten traditionell als Richtungswahlen und beide Bundesstaaten waren Hochburgen der Bauernproteste. "Trotz mehrerer Versuche, den Landwirten die Vorteile zu erklären, sind wir gescheitert“, erklärte der bekennende Hindu-Nationalist Modi von der Indischen Volkspartei BJP gegenüber der Presse.

Die Bäuerinnen und Bauern, die ihren bemerkenswerten Sieg feierten, hatten aber sehr wohl verstanden, um was es bei den Gesetzen ging: Sie sollten als Türöffner dienen, unter anderem für die großen Supermarktketten. Früchte und Getreide sollten fortan nicht mehr über den regulierten Großhandel, sondern direkt an interessierte Käufer veräußert werden können. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass damit ein Wettrennen der billigsten Anbieter und ein regelrechtes Preisdumping befeuert wird. Die Aufkäufer können aufgrund ihrer Marktmacht über kurz oder lang die Preise diktieren. "Wachsen oder weichen“, heißt dann das Motto.

Neben garantierten Mindestpreisen für ihre Produkte forderten die Bauern, dass sämtliche Klagen gegen Bauern zurückgenommen werden, die sich an den Protesten beteiligt hatten. Außerdem verlangten sie Entschädigungen für die Familien, deren Angehörige dabei ums Leben gekommen waren. Samyukta Kisan Morcha (SKM), ein Dachverband von mehr als vierzig Bauernverbänden, die sich im November 2020 zusammengeschlossen hatten, um den zivilen Ungehorsam gegen die Agrargesetze zu koordinieren, spricht von insgesamt 714 Toten. Viele von ihnen seien durch Hitze und bei der zweiten Covid-Welle ums Leben gekommen, einige aber auch durch brachiale Gewalt der Polizeikräfte.

Nach der Kehrtwende der Regierung feierten Landwirte im November in der Millionenstadt Amritsar im Bundesstaat Punja; Foto Narinder Nanu/AFP/Getty Images
Zu früh gefreut? Nach der Kehrtwende der Regierung Modi feiern Landwirte im November 2021 in der Millionenstadt Amritsar im Bundesstaat Punjab. "Die Regierung hatte versprochen, dazu einen Ausschuß unter Beteiligung der Bauernorganisationen zu gründen,“ schreibt Dominik Müller. "Bis heute ist dafür kein Anlauf unternommen worden. Viele blickten mit Spannung auf den 1. Februar, als der neue Haushalt vorgestellt wurde. Was würde er nach den historischen Bauernprotesten für die Landwirte enthalten, war die Frage, die vielen durch den Kopf ging. Aber auch im Haushaltsentwurf der Zentralregierung gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Regierung auf die Forderungen der Landwirte eingehen will oder Lösungen für die grundlegenden Sorgen der Landwirte, etwa steigende Betriebsmittelkosten, anzubieten hätte.“

Mit SUVs gegen protestierende Bauern

Diese Gewalt hatte im vergangenen Oktober mit mehreren Toten ihrer traurigen Höhepunkt, was zeigt, wie explosiv die Situation in Indien ist – und wie brutal Angehörige der Regierungspartei BJP gegen ihre Kritiker vorgehen. Bei Bauernprotesten anläßlich einer Kundgebung des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh, Keshav Prasad Maurya (BJP) kam es zu acht Toten: In Lakhimpur nahe der nepalesischen Grenze war der Sohn eines Bundesministers mit seinem SUV in eine Gruppe protestierender Bauern gefahren. Er stritt die Vorwürfe ab, wurde aber verhaftet. Der Vorfall hatte landesweit Empörung ausgelöst.

Es sollte nicht der einzige Angriff bleiben: Mindestens zwei weitere Bauernproteste wurden wenig später auf die gleiche Art attackiert. In Tikri, wo sich eines der Protestcamps an der Grenze zur Hauptstadt Delhi befand, kamen dabei drei Bäuerinnen ums Leben. Ein Landwirt im Bundesstaat Haryana erlitt schwere Verletzungen, nachdem ein Auto auf ihn und andere demonstrierende Bauern zugerast war. Es gehörte zum Konvoi des BJP-Abgeordneten Nayab Saini. Statt des Fahrers nahm die Polizei drei der Bauern in Gewahrsam.



In Haryana war die Stimmung besonders bedrohlich: Manohar Lal Khattar, der amtierende Ministerpräsident des Bundesstaates, ebenfalls ein BJP-Mann, hatte wenige Tage vorher auf einem Parteitreffen dazu aufgerufen, Gruppen mit jeweils mehreren hundert Anhängern zu formen und "zu den Knüppeln zu greifen“, um es den protestierenden Bauern zu zeigen. Auch sollten sich die Angreifer keine Sorgen machen, wenn sie für drei bis sechs Monate ins Gefängnis müssten. "Ihr werdet große Anführer werden, eure Namen werden in die Geschichte eingehen“, versprach ihnen der Ministerpräsident.

Der nationale Sprecher des größten indischen Bauernverbandes Bharatiya Kisan Union (BKU), Rakesh Tikait, hatte die Gewalt gegen die Bauern verurteilt. Die Regierung zeige "ihr grausames und undemokratisches Gesicht“. Offensichtlich sei die Regierung bereit, zu jedem Mittel zu greifen, um die Bewegung gegen die Agrargesetze zu zerschlagen. Sollte sich die BJP-Regierung nicht bessern, drohte Tikait "werden die Bauern den Parteiführern verbieten, ihre Dörfer zu betreten."

Bis zur gesetzten Frist Mitte Januar hatte die Regierung in Delhi weder das geforderte Komitee zu den Mindestpreisen einberufen oder einen Termin dafür genannt, noch die Familien der toten Bauern kompensiert. Sprecher des Zusammenschlusses SKM sprechen von "Betrug“.

Wahlen im Punjab und in Uttar Pradesh

Bisher ist es noch keiner Regierung in Indien gelungen, gegen die Landbevölkerung zu regieren. "Die Bauern haben schon der Macht der Mogulen und der britischen Regierung widerstanden“, so BKU-Sprecher Tikait. Das könnte sich auch bei den anstehenden Wahlen im Punjab und in Uttar Pradesh bemerkbar machen.

Indien-Maisernte in Bangalore; Foto:Mamunath Kiran/AFP/Getty Images
Ein Bauer bei der Maisernte in Bangalore. Indiens Premierminister Narendra Modi wollte mit drei Gesetzen zur Agrarreform, die während des Lockdown durch das indische Unter- und Oberhaus gepeitscht worden waren, das System der landwirtschaftlichen Produktion modernisieren. Die Landwirte sahen jedoch im Abbau von Vorschriften, Preiskontrollen und des öffentlichen Einkaufs- und Verteilungssystems von Grundnahrungsmitteln eine Bedrohung ihrer Existenzgrundlage. Nach massiven Protesten kündigte Modi im November 2021 an, die Agrargesetze zurückzunehmen.



Markenkern der BJP ist der Hindu-Nationalismus und die damit einhergehende Islamophobie. "Sehr zu ihrem Leidwesen hat die Bauernbewegung nun einen synkretistischen Charakter angenommen“, schreibt die Online-Zeitschrift "The Wire“, sie vereine "verschiedene Gemeinschaften, die nun bereit sind, die Bewegung auf andere Überlebensfragen auszuweiten, von sozialer Gerechtigkeit bis hin zu Bürgerrechten.“

Das ist um so bemerkenswerter, als noch 2013 die Unruhen von Muzaffarnagar zwischen Hindus und Muslimen den ganzen Westen des Bundesstaates Uttar Pradesh (UP) spalteten und mit ihren 62 Toten und mehr als 50.000 Vertriebenen in ganz Indien durch die Medien gingen. Das hat sich im Laufe der Bauernproteste, bei denen Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften Seite an Seite standen, geändert.

"Die Mörder unserer Bauernbrüder treten auf den Listen der BJP an“, kursieren Botschaften unter dem Hashtag #Farmersprotest in den sozialen Medien. Wie im vergangenen Jahr im Bundesstaat Westbengalen wollen Bauernorganisationen eine "No vote for BJP“ Kampagne auflegen, "Keine Stimme für die BJP“, und deren Politik gegen die Bäuerinnen und Bauern offenlegen. Nicht nur die Bauern, auch Studierende und Jugendliche machen mobil gegen die BJP und ihren Ministerpräsidenten Yogi Adityanath in Uttar Pradesh, der ihnen Jobs versprochen, aber nicht geliefert habe. Der rechts von Modi stehende Ministerpräsident und seine BJP schüren wie zuvor den Hass gegen Muslime, befeuern die sozialen Medien und ihre Reden mit Botschaften gegen Kuh-Schlachtungen, "Liebes-Jihad“ und warnen vor einer vermeintlichen "Muslim-Dominanz“, vor der die Hindus geschützt werden müssten.

Im Punjab lebt die traditionell starke Sikh-Gemeinschaft, die nach dem Attentat auf die Premierministerin Indira Gandhi in den 1970er Jahren von Teilen der hinduistischen Mehrheitsgemeinschaft vielerorts attackiert worden war. In diesem Bundesstaat werden auch die kommerziellen Interessengruppen angegangen. Ein Demonstrant sagte gegenüber "The Wire“, dass in den Dörfern von Punjab "die Menschen jetzt damit begonnen haben, Waren von Firmen zu boykottieren, die hinter der Kommerzialisierung und Privatisierung stehen, wie z. B. die von Mukesh Ambani geführten Reliance Industries Limited“. Ambani ist einer der reichsten Männer der Welt und zum Konzern gehört auch der gleichnamige Einzelhandel. Es ist die größte Einzelhandelskette in Indien, die tausende von Supermarktfilialen betreibt.

Die Gewerkschaften haben für den 23. und 24. Februar zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Er richtet sich unter anderem gegen vier arbeitnehmerfeindliche Gesetze. SKM, der Zusammenschluss der indischen Bauernverbände, kündigte an, sich diesem Aufruf anzuschließen und ihn in Form eines Streiks im ländlichen Raum zu unterstützen.

Dominik Müller

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