Die Lieder der Ausgestoßenen

Rembetiko – das sind die gefühlsgeladenen Lieder der verstoßenen Türkei-Griechen. Cigdem Aslan, eine junge Kurdin aus London, leiht diesen Geschichten ihre kraftvolle Stimme. Marian Brehmer hat sie getroffen.

Von Marian Brehmer

Cigdem Aslan hat einen spritzigen Charme. Während sie in einem britisch angehauchten Englisch von sich erzählt, tänzeln im Takt ihrer Handbewegungen ein Paar goldene Ohrringe in der Luft. Es ist kurz vor Konzertbeginn, und die Band probt noch einmal. Plötzlich verlangt man im Clubsaal nach Cigdem. Sie eilt zur Bühne und muss schnell ein paar Takte singen bevor sie weitererzählt.  

Der Startpunkt von Cigdems Aslans erster Europatournee ist Berlin. Aslans Musikstil ist der Rembetiko, auch „ägäischer Blues“ genannt. Der Rembetiko entstand kurz nach dem griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch in den 1920er Jahren. Griechen, die seit Generationen in den Städten des Osmanischen Reichs gelebt hatten, fanden sich von den Wogen dieser unruhigen Zeit plötzlich auf die andere Seite der Ägäis katapultiert. Dort, in den griechischen Städten, entstand unter den Außenseitern eine neue Musikkultur, die sich aus den Erfahrungen der Migration nährte.

Musik des Untergrunds

Cigdem Aslan; Foto: Tahir Palali
In Cigdem Aslans Musik finden Klänge verschiedener Völker aus der Türkei, Griechenland und dem Balkan zusammen. Ihre Stimme ist kraftvoll, manchmal rau und manchmal beschwingt.

Rembetiko wurde zu einer Musik des Untergrunds – zwar ausgelassen, aber immer auch mit einem Hauch des Anrüchigen versehen und geprägt von Melancholie. „Trotzdem ist Rembetiko nicht traurig. Die Lieder stammen von den Ausgestoßenen der Gesellschaft, aber sie erzählen auch von den normalen Auf und Abs im Leben“, sagt Cigdem Aslan.

Das Rembetiko-Repertoire wuchs auf viele hundert Lieder an, die auf Griechisch gesungen wurden, aber viele orientalische Anleihen aus der türkischen Heimat nach Griechenland trugen. Jahrelang war „Rebetiko“ in Griechenland aus genau diesem Grund verpönt – seit der griechischen Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1821 waren die Beziehungen zur anderen Seite der Ägäis angespannt; man distanzierte sich sich von allem Türkischen.

Cigdem Aslan führte als junge Studentin mit Kommilitonen an der Istanbul-Universität zum ersten Mal in ihrem Leben Rembetiko-Lieder auf. „Wir probierten damals die verschiedenen Musikstile aus, die Istanbuls bunte Kultur ausmachen“, erinnert sich Aslan. Dem Rembetiko fühlte sie sich intuitiv verbunden.

Für Cigdem Aslan, die als Kind kurdisch-alevitischer Eltern aufwuchs, ist die identitätsübergreifende Botschaft von Rembetiko nicht fremd. Ihre Familie lebte in den „Gecekondular“ („über Nacht erbaute Hütten“) eines Istanbuler Einwandererviertels. Cigdems Eltern redeten zuhause kein Kurdisch, da sie Angst hatten, dass ihre Kinder in der Schule Kurdisch sprechen würden. In den Neunziger Jahren war die kurdische Sprache auch in der Metropole Istanbul noch ein Reizthema.  

Später zog die 1980 geborene Aslan zum Musikstudium nach London. Das internationale Umfeld in London, erzählt die Musikerin, beflügelte sie auch musikalisch. In England lernte sie ihre jetzigen Bandmitglieder kennen, mit denen sie vor allem Songs aus der Frühzeit des Rembetiko aufnahm. Bis auf einen sind alle der Musiker Griechen. Zusammen mit einer Gitarre, einer Geige, einem Kontrabass und einem Kanun, einer Art orientalischer Zither, ist der Rembetiko-Klang perfekt. 

Das Gegenteil von einer Hausfrau

Auch die Jury des renommierten „Preis' der Deutschen Schallplattenkritik“ sah das so. Sie nahm Cigdem Aslans erstes Album „Mortissa“ in ihre vierteljährlich erscheinende Bestenliste auf. „Mortissa“ ist die griechische Bezeichnung für eine Frau, die das Trinken, Rauchen und Tanzen mag und der Gesellschaft von Männern nicht abgeneigt ist. „Eine ,Mortissa’ ist taff und unabhängig und mag es, allein zu sein. Das Gegenteil von einer Hausfrau“, lacht Cigdem Aslan und meint, dass die meisten ihrer Lieder von solchen „Mortissas“ handeln.

Eine gute Stunde später tritt Cigdem Aslan mit schwunghaftem Schritt zu den antreibenden Rhythmen der Instrumente auf die Bühne. Sie trägt Stöckelschuhe, ein attraktives schwarzes Minikleid und ein breites Lächeln auf den Lippen. In den nächsten anderthalb Stunden inszeniert sie sich selbst als eine Mortissa, tänzelt beim Singen über die Bühne und wirft dabei ihren männlichen Bandkollegen kokette Blicke zu. In ihrer Musik liegt eine ansteckende Dynamik, die Aslans eigenem Wesen entspringt, aber auch durch die talentierten Musiker um sie herum geschaffen wird.

In den Stücken des Abends verschmelzen mehrere Stile. Die türkische, griechische und  die Musik des Balkans finden gleichsam Anklang. Cigdem Aslans Stimme ist kraftvoll, manchmal rau und manchmal beschwingt. Geradezu ekstatisch singt sie auf Türkisch vom „Mädchen mit Lippen wie Kirschen“.

Immer wieder hält sie bei diesem Lied ihre Stimme abrupt an, stößt ein kurzes Kreischen aus, während die Instrumente schweigen, um dann nach einer knackigen Stille wieder erneut den fetzigen Takt aufzunehmen. In dem bis in die hinterste Ecke gefüllten Clubsaal breitet sich Tanzstimmung aus. Die ersten Hüftschwünge stammen unverkennbar von einer Gruppe türkischer Frauen, bis irgendwann immer mehr Leute klatschen und sich bewegen.

Kulturelle Identitäten spielen keine Rolle

Einige ihrer Songs singt Aslan vollständig auf Griechisch. Für ihre Musik hat sie ein Stück der Sprache jenes Landes gelernt, das viele Jahre lang in einer Feindschaft mit der Türkei stand. In ihrer Band spielen diese kulturellen Identitäten keine große Rolle. „Jeder von uns bringt seine eigene kulturelle Erfahrung mit in die Gruppe. Davon lebt diese Musik“, sagt Cigdem Aslan.

Vor einem Lied hält Cigdem Aslan kurz inne. Sie sagt, sie wolle es den umgekommenen Grubenarbeitern von Soma widmen. Ähnlich wie die Protagonisten der Rembetiko-Lieder sind auch die Bergleute Verlierer der Gesellschaft und der großen Politik.

Das Stück „To Dervisaki“ (Kleiner Derwisch) schlägt den rauen Ton des Rembetiko-Stils an: „Ich bin ein kleiner Derwisch, der aus Smyrna (Izmir) vertrieben wurde. Ich trinke nur und rauche Haschisch im Café Aman. Wenn ich ein kleines ,Taximi’ spiele, erfüllt mich die Leidenschaft. Ich erinnere mich an meine Heimat und zerschmelze.“

Marian Brehmer

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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de