Ein Hoffnungsträger für die Demokratie in der Region

Die Stabilität des Sudans steht momentan auf Messers Schneide: Das Land kann sich in Richtung Frieden und Demokratie entwickeln – oder aber in einen Teufelskreis der Instabilität und Gewalt geraten. Einzelheiten von Ibrahim Elbadawi und Jeffrey D. Sachs

Von Ibrahim Elbadawi & Jeffrey D. Sachs

Am 19. Dezember 2018 fanden überall in den sudanesischen Städten spontan friedliche Proteste statt. Und nur vier Monate später stürzten die Demonstranten das despotische Regime von Omar al-Bashir, der das Land dreißig Jahre lang regiert hatte. Auffällig ist, dass die am stärksten unterdrückten Gruppen des Landes – Frauen, junge Menschen und ethnische Minderheiten – hierbei die Führung übernahmen.

Im vergangenen August unterschrieben führende Akteure der Zivilgesellschaft und des Militärs eine Erklärung für einen Verfassungsentwurf. Dieses Abkommen zur Verteilung der Macht bereitete den Weg für eine Übergangsregierung, die drei Jahre und drei Monate im Amt bleiben soll. Danach werden im Sudan demokratische Wahlen stattfinden.

Zu der neuen Regierung gehören die Oberste Richterin, zwei weibliche Mitglieder des Obersten Rates und die erste weibliche Außenministerin des Landes (eine der vier Frauen im Kabinett). Weiterhin sind mehrere Technokraten daran beteiligt, die für internationale Organisationen gearbeitet haben – darunter auch der Ministerpräsident.

Durch die Partnerschaft zwischen den Anführern der Zivilgesellschaft und des Militärs konnte das Land vor einem langen und tödlichen Bürgerkrieg bewahrt werden. Zu den drei wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung gehören, die ständigen internen Konflikte im Land zu beenden, die Millionen Flüchtlinge im Land neu anzusiedeln und die desolate sudanesische Wirtschaft wieder aufzubauen.

Gewaltige ökonomische Herausforderungen

Nach drei Jahrzehnten Misswirtschaft, Korruption, Krieg und interner Spaltung ist der Schaden immens. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds ist das sudanesische Bruttoinlandsprodukt in US-Dollar seit 2013 um die Hälfte zurückgegangen. Darüber hinaus erwartet der IWF, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 2,6 Prozent schrumpft und die Inflation über 50 Prozent liegen wird. Die Arbeitslosigkeit beträgt mehr als 20 Prozent, die gesamten Staatsschulden des Landes übersteigen inzwischen 200 Prozent des BIP.

Sudanesen demonstrieren im September 2019 in Khartum für die Auflösung von Omar al-Bashirs "National Congress Party"; Foto: Reuters: M.N.Abdallah
Abrechnung mit dem überkommenen, dikatorischen Regime: Nach dem Rücktritt Omar al-Bashirs demonstrieren junge Sudanesen im September 2019 in Khartum für die Auflösung seiner "National Congress Party". Der Weg zur Demokratie im Sudan ist noch lang und erfordert internationale Solidarität und Wirtschaftshilfe, um das Land zu einem demokratischen Hoffnungsträger für die Region zu machen, argumentieren Ibrahim Elbadawi und Jeffrey D. Sachs.

Der Friede im Land hängt nun davon ab, Lösungen für die enormen Probleme zu finden. Seit 2011 leidet der Sudan unter einem katastrophalen Rückgang der Einkünfte aus dem Ölexport. Dies liegt daran, dass sich der größte Teil der Ölförderung in dem Gebiet befindet, das nach einem von den westlichen Mächten unterstützten Referendum zu einem unabhängigen Staat wurde – und jetzt Südsudan heißt. Der Sudan selbst muss daher dringend neue industrielle Bereiche erschließen und entwickeln und seinen riesigen Landwirtschaftssektor modernisieren.

Daher ist nun auch die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, sich mit dem Sudan nach seinem jüngsten Sieg über die Gewaltherrschaft solidarisch zu zeigen und einem verarmten Land mit 43 Millionen Einwohnern, dessen größte natürliche Ressource heute in der Hoffnung der Bevölkerung auf die Zukunft besteht, zu helfen.

Ein Demokratie-Vorbild für die gesamte Region

Hat der Sudan Erfolg, kann das Land dazu beitragen, das Horn von Afrika und den Nahen Osten zu stabilisieren. Scheitert der Sudan hingegen, könnte die daraus entstehende Instabilität viele andere Länder mit in den Abgrund ziehen. Intensive und rechtzeitige internationale Hilfe für das Land könnte den Ausschlag dafür geben, ob die neue Regierung mit ihren Reformen erfolgreich ist oder abgleitet.

Am wichtigsten für den Sudan ist, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Barrieren für den Handel, das Finanzwesen und die Bewegungsfreiheit der Menschen lockert bzw. rückgängig macht. Insbesondere müssen die USA sofort damit aufhören, dem Land den Status eines staatlichen Unterstützers des Terrorismus zu geben- ein Relikt aus der Ära Omar al-Bashirs. Erst dann kann sich die sudanesische Regierung um einige der dringendsten Aufgaben des Landes kümmern.

[embed:render:embedded:node:36436]Die neue Regierung hat unverzüglich einen Plan zur wirtschaftlichen Erholung des Landes aufgestellt. Dieser enthält eine Reformstrategie für die Jahre 2020-2030, die auf den Zielen nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen beruht. Laut diesem Plan beabsichtigt die Regierung, ihre knappen Haushaltsmittel in die Ausbildung, ins Gesundheitswesen sowie in grundlegende und nachhaltige Infrastruktur zu lenken.

Das Schicksal muss ihrem Ruf folgen!

Um damit erfolgreich zu sein, muss die sudanesische Regierung nicht nur die staatlichen Einnahmen erhöhen, sondern auch weniger Geld dafür ausgeben, die Auslandsschulden aus der Bashir-Zeit zu bedienen. Stattdessen muss dieses Geld in öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur fließen. Dazu braucht der Sudan einen sofortigen Schuldennachlass und neue Finanzierungsmöglichkeiten durch die Weltbank und andere internationale Finanzinstitutionen.

Seit Mitte der 1990er Jahre konnten bereits Dutzende Länder niedrigen Einkommens mit dem IWF- und Weltbank-Programm für schwer verschuldete, arme Länder (HIPC, Heavily Indebted Poor Country Program) ihre Staatsschulden abbauen. Aber mit Omar al-Bashir an der Macht war der Sudan von dieser Initiative ausgeschlossen. Jetzt, nach dem Sturz des Diktators, appelliert die neue Regierung an den IWF, die Weltbank und internationale Kreditgeber, dem Sudan im Rahmen des HIPC-Programms die Schulden zu erleichtern und ihm damit einen finanziellen Neubeginn zu ermöglichen.

Viele Beobachter des Landes halten die sudanesischen Probleme für unüberwindlich. Einige Skeptiker glauben gar, schwere wirtschaftliche und politische Unruhen seien wohl kaum zu verhindern. Doch das sudanesische Volk bleibt hoffnungsvoll. Das Land wäre in der Lage, zu einem demokratischen Vorbild für die gesamte Region zu werden. Es könnte ein Beispiel dafür geben, wie eine vom Volk unterstützte Regierung Stabilität wiederherstellen, Reformen durchführen und sich nachhaltig entwickeln kann.

Sudans innovative, ethnisch vielfältige, friedliche und politisch engagierte Bevölkerung –  insbesondere die Frauen und jungen Menschen im Land – konnten sich durch ihr mutiges Handeln von der Unterdrückung befreien. Jetzt wünschen sie sich inständig eine bessere Zukunft. Und wie einst der tunesische Poet Abu al-Qasim al-Shabbi schrieb: Das Schicksal muss ihrem Ruf folgen!

Ibrahim Elbadawi & Jeffrey D. Sachs

© Project Syndicate 2019

Ibrahim Elbadawi ist sudanesischer Minister für Finanzen und Wirtschaftsplanung.

 Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor an der Columbia University. Zu seinen Publikationen zählen u.a. The Age of Sustainable Development, Building the New American Economy und A New Foreign Policy: Beyond American Exceptionalism.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff