Weiterhin traurige Menschenrechtsbilanz

Die Repressalien gegen politisch Andersdenkende, wie Ahmed Mansoor, widersprechen der Selbstinszenierung der Vereinigten Arabischen Emirate als Vorkämpfer für Toleranz. Von Joe Stork

Von Joe Stork

Am Mittwoch, den 29. Mai, jährte sich der Tag, an dem Ahmed Mansoor von der Staatssicherheitskammer des Bundesberufungsgerichts der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und mit einer Geldstrafe in Höhe von mehr als einer Viertelmillion Dollar belegt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, "das Ansehen und die Würde der VAE", einschließlich ihrer Regierenden, beleidigt und falsche Berichte über die sozialen Netzwerke mit dem Ziel veröffentlicht zu haben, die Beziehungen des Landes zu seinen Nachbarländern zu schädigen.

Bevor Ahmed Mansoor zur nächtlichen Stunde am 20. März 2017 in seiner Wohnung verhaftet wurde, pflegte er zu sagen, er sei "der letzte Freigeist" in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Damit spielte er darauf an, dass fast alle anderen emiratischen Menschenrechtsaktivisten und deren Anwälte in den vergangenen Jahren weggesperrt worden waren. Mehr als ein Jahr lang wusste niemand, wo Mansoor festgehalten wurde.

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung und das Urteil am 31. Dezember 2018. Nach Angaben von Menschen, die mit seiner Lage vertraut sind, befindet sich Mansoor in Einzelhaft in einer 4 x 4 Meter großen Zelle ohne Bett und Sanitäreinrichtungen. Mitte März 2019 trat er offenbar in Hungerstreik.

Schlechte Haftbedingungen

Der UN-Sonderberichterstatter über Folter sowie sechs weitere Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen verurteilten die Haftbedingungen und bemerkten, "die schlechten Bedingungen seiner Inhaftierung in den Vereinigten Arabischen Emiraten und die lange Einzelhaft stellen möglicherweise eine Folter dar".

In den Wochen vor seiner Verhaftung kritisierte Mansoor die Verfolgung anderer Aktivisten durch die Behörden wegen angeblicher "verbrecherischer Äußerungen" und twitterte über Rechtsverletzungen in Ägypten und im Jemen. Damals behauptete das Außenministerium der VAE, er sei verhaftet worden, weil er "Hass schürt und das Land online herabsetzt" und "falsche und zwielichtige" Informationen verbreite.

Dies ist dasselbe Land, dessen Staatsoberhaupt, Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan, 2019 zum Jahr der "Stärkung der VAE als globale Hauptstadt der Toleranz" erklärte. Als Papst Franziskus Anfang Februar die VAE im Rahmen einer "interreligiösen" Ausstellung besuchte, erklärte Premierminister Mohammed bin Raschid Al Maktoum, die VAE ließen "ideologischen, kulturellen und religiösen Fanatismus" nicht zu. Offensichtlich schließt diese Erklärung Toleranz gegenüber friedlichen Andersdenkenden aus.

Die politische Unterdrückung in den VAE verschärfte sich 2011 nach den arabischen Aufständen in der Region deutlich. Es gab keine Demonstrationen auf den Straßen von Abu Dhabi, Dubai oder einem anderen Emirat, obwohl – wie ein Wissenschaftler 2012 schrieb – "das Land eines der am wenigsten partizipatorischen politischen Systeme der Welt hat".

Ahmed Mansoor und einige weitere Emiratis richteten eine von 132 Personen unterschriebene Petition an Scheich Chalifa und forderten, dass alle erwachsenen Bürger der Emirate den Föderativen Nationalrat (FNC) wählen dürfen, nicht nur die seinerzeit knapp 7.000 Wahlberechtigten. Sie forderten auch, den FNC zu ermächtigen, Gesetze zu erlassen, statt nur über die von den Regierenden vorgeschlagenen Gesetze beraten zu dürfen.

Nervöse Reaktion auf Demokratieforderung

Es dauerte nicht lange, bis die VAE über die Forderungen nach "Demokratie nervös wurden", wie die englische Wochenzeitung "The Economist" schrieb. Im Januar 2010 sperrten die Behörden den Zugang zur Website "UAEhewar.net", die von Ahmed Mansoor 2009 gegründet worden war. Im April 2011 verhafteten die Behörden Mansoor zusammen mit Nasser Bin Ghaith, einem Wirtschaftswissenschaftler und Dozenten an der Universität "Paris-Sorbonne Abu Dhabi", und drei weiteren Personen, die im Zusammenhang mit der Petition als "VAE 5" bekannt wurden.

Mohammed bin Rashid & I were delighted to meet with Pope Francis in our homeland of tolerance. We discussed enhancing cooperation, consolidating dialogue, tolerance, human coexistence & important initiatives to achieve peace, stability and development for peoples and societies. pic.twitter.com/E9zteMJ0ZC

— محمد بن زايد (@MohamedBinZayed) 4. Februar 2019

Im selben Monat lösten die Behörden den Lehrerverband und den Juristenverband auf, nachdem die Verbände gemeinsam mehr Demokratie eingefordert hatten. Beide Verbände zählten zu den ältesten zivilgesellschaftlichen Einrichtungen des Landes. Der Prozess gegen die "VAE 5" unter dem Vorwurf der "öffentlichen Beleidigung" von VAE-Vertretern verstieß vielfach gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens. Der Prozess schloss am 27. November mit Schuldsprüchen ab. Mansoor wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, die anderen jeweils zu zwei Jahren.

Am nächsten Tag hob Scheich Chalifa zwar die Urteile auf, ließ die strafgerichtliche Verurteilung jedoch bestehen. Die Verurteilten waren daher nicht mehr in der Lage, ein Führungszeugnis ohne Strafeinträge vorzulegen, das sie für die Aufnahme einer Beschäftigung ebenso wie für andere Belange brauchten, wie beispielsweise die Ausstellung einer Heiratserlaubnis.

Mansoor erhielt seinen Pass nie zurück, was einem Ausreiseverbot gleichkam. Dessen ungeachtet informierte er Organisationen, wie "Human Rights Watch" und das "Gulf Centre for Human Rights", fortlaufend über Verhaftungen und Prozesse gegen andere Menschenrechtsaktivisten und friedliche Dissidenten, während die Regierung ihre Kampagne zur Unterdrückung jeglichen politischen Widerspruchs ausweitete und intensivierte.

Mansoor als "Million Dollar Dissident"

Ein Angriff von Hackern im Jahr 2014 war offenbar so versiert und gut finanziert, dass die Wissenschaftler von "The Citizenlab", einer Forschungseinrichtung an der kanadischen University of Toronto, Mansoor als "Million Dollar Dissident" bezeichneten.

Im November 2012 erließ Scheich Chalifa die Rechtsverordnung Nr. 5/2012 zur Bekämpfung der Cyberkriminalität. Artikel 29 der Verordnung, der die Grundlage für Mansoors Verurteilung im Jahr 2018 bildete, machte es zum Straftatbestand, Informationstechnologien "mit der Absicht zu nutzen, den Ruf, die Würde oder das Ansehen des Staates, eine seiner Institutionen, seinen Präsidenten oder Vizepräsidenten, den Herrscher der Emirate, ihre Kronprinzen oder ihre Stellvertreter, die Nationalflagge, die nationale Sicherheit, das Motto, die Nationalhymne oder ihre Symbole zu verspotten oder zu schädigen".

Trotz der Einschüchterung schrieb Mansoor weiterhin in den sozialen Netzwerken über die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in den VAE. Oft war er die einzige Quelle für zuverlässige Informationen über Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Und zu berichten gab es viel: Seit Ende März 2012 begannen die Sicherheitskräfte damit, zahlreiche Emiratis wegen ihrer Verbindungen zu Islah zu verhaften, dem "Verband für Reformen und gesellschaftliche Begleitung" ("Reform and Social Guidance Association"), der seit 1974 eine eingetragene NGO in den VAE ist.

Amid escalating violence in #Sudan, at least three NIMR Ajban 440A 4x4 light protected vehicles have been spotted on the streets. These vehicles are made in the United Arab Emirates. Activists claim that they're operated by the Rapid Support Forces (RSF). pic.twitter.com/NTfFBvWTVC

— Christiaan Triebert (@trbrtc) 5. Juni 2019

Viele Inhaftierte, darunter die angesehenen Menschenrechtsanwälte Mohammed al-Roken und Mohammed al-Mansoori, wurden an geheimen Orten festgehalten. (Al-Roken vertrat Ahmed Mansoor anwaltlich in dessen Prozess 2011. Dass Islah-Mitglieder unter den Unterzeichnern der Petition der "VAE 5" waren, hat wahrscheinlich mit zu diesen Verhaftungen beigetragen.)

Der Anwalt Salim al-Shehhi wurde festgenommen, als er den Staatsanwalt der Staatssicherheit aufsuchte, um Al-Roken zu vertreten. Behörden schoben nicht-emiratische Anwälte ab, die für Abdulhameed al-Kumaiti arbeiteten, den letzten verbliebenen Verteidiger, der noch bereit war, die bei der Zerschlagung von Islah verhafteten Personen zu vertreten. Er hat mittlerweile das Land verlassen.

Sorge vor Muslimbrüdern

Das Vorgehen gegen Islah war auch Ausdruck der Sorge der emiratischen Machthaber über den Aufstieg der Muslimbrüder in Ägypten. Einige Islah-Mitglieder unterstützten zudem öffentlich die Petition der "VAE 5" im Jahr 2011. Als die Angeklagten im Islah-Prozess Anfang März 2013 schließlich vor Gericht gestellt wurden, war ihre Zahl auf 94 angestiegen. Acht von ihnen wurden in Abwesenheit verurteilt.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur wurden sie beschuldigt, "sich der Verfassung und den Grundprinzipien der Regierungsordnung der VAE zu widersetzen" sowie "Verbindungen zu Organisationen mit ausländischer Agenda zu unterhalten". Gemeint ist damit die Muslimbruderschaft, die im März 2014 von den Behörden zusammen mit dem "Islamischen Staat", der Al-Qaida und anderen Gruppen offiziell als terroristische Organisation eingestuft wurde. (Der Hauptbeweis für die von der Staatsanwaltschaft angeführte angebliche subversive Tätigkeit der Islah war das Geständnis von Ahmed Bin Ghaith al-Suwaidi, obwohl dieser vor Gericht erklärte, seine Aussage unter Folter gemacht zu haben.)

Die Internationale Juristenkommission bescheinigte dem Prozess zahlreiche Verstöße, insbesondere Folter und erzwungene Geständnisse. Die traurige Bilanz des im Juni 2013 abgeschlossenen Prozesses: 69 Angeklagte wurden zu sieben bis fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt, 25 wurden freigesprochen.

Bisher größter Massenprozess

Dies war der bisher größte Massenprozess, der darauf abzielte, jegliche Form einer abweichenden friedlichen Meinungsäußerung auszumerzen. Im November 2014 verhängte ein Gericht gegen Osama al-Najjar eine dreijährige Haftstrafe wegen Kritik an den Urteilen im Islah-Prozess. (Al-Najjar ist trotz Verbüßung seiner Strafe bis heute in Haft).

Im Mai 2015 wurde Ahmed Abdullah al-Wahdi zu zehn Jahren Gefängnis wegen der Führung eines Social-Media-Kontos verurteilt, das "die Führung der VAE beleidigt". Im August 2015 nahmen die Behörden Nasser Bin Ghaith fest, den Wirtschaftswissenschaftler, der zuvor mit Ahmed Mansoor im Fall der "VAE 5" verhaftet worden war.

Ein Gericht verurteilte ihn im März 2017 zu zehn Jahren Haft. Ihm wurde vorgeworfen, "den VAE schaden zu wollen", indem er "behauptete, er sei gefoltert worden". Bin Ghaith musste neunzehn Monate bis zu seinem Prozess in Einzelhaft verbringen und wurde nach der Verurteilung nach Al-Razeen verlegt, ein Hochsicherheitsgefängnis in der Wüste Abu Dhabis.

Schon lange vor Antritt der Trump-Regierung enthielt sich Washington jeglicher Kritik an der Unterdrückung der oppositionellen Kräfte in den VAE. Öffentliche Kritik an der Menschenrechtsbilanz der VAE aus dem Weißen Haus oder aus dem Außenministerium der USA sucht man in den letzten zehn Jahren vergebens. Insbesondere seit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi durch die Saudis kritisiert der US-Kongress zwar die Beteiligung der VAE am saudischen Krieg im Jemen, erwähnt die innenpolitische Unterdrückung aber mit keinem Wort.

Im Menschenrechtsbericht des Außenministeriums für 2018 wird im Kapitel über die VAE der Fall Ahmed Mansoor nicht einmal indirekt erwähnt.

Joe Stork

© Sada | Carnegie Endowment for International Peace 2019

Joe Stork ist Vorsitzender des Beirats des "Gulf Centre for Human Rights" und ehemaliger stellvertretender Direktor der Abteilung "Middle East von Human Rights Watch".

Aus dem Englischen von Peter Lammers