Hoffen auf den Wandel

Es ist eine prekäre Ausgangslage, in der die politische Zukunft des Sudan ausgehandelt werden muss. Denn weder können die Demonstranten einen Neuanfang ohne die alten Institutionen schaffen, noch gibt es einen nahtlosen Übergang vom gestürzten Diktator zu dessen Kreisen im Militär. Von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Für Sudans Oppositionsparteien und den Berufsverband "Sudanese Professionals Association" (SPA), der die Proteste gegen Langzeitdiktator Omar al-Baschir koordiniert hatte, ist es bereits jetzt ein großer Erfolg: Ihr vier Monate währender Protest hatte das Militär schließlich dazu veranlasst, Al-Baschir abzusetzen. Innerhalb von 24 Stunden musste auch dessen Nachfolger Awad Ibn Auf seinen Hut nehmen – und dann auch noch der verhasste und berüchtigte Sicherheitschef Salah Gosh. Doch das Militär bleibt weiterhin am Ball. Denn außer den schwachen staatlichen Institutionen gibt es kaum eine andere Institution im Sudan, die einen Übergang durchsetzen könnte.

Nun soll es zunächst der neue Übergangspräsident und Militär Abdel Fattah Burhan richten. Der versucht zunächst einmal das Vertrauen der Demonstranten zu gewinnen. Er hob die Ausgangssperre auf, versprach, die während der Proteste seit Dezember verhafteten Demonstranten freizulassen und diejenigen, die für den Tod von Demonstranten verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen. Man werde das "Baschir-Regime und seine Symbole mit der Wurzel entfernen", kündigte er an.

Geduldete Proteste

Vergangenes Wochenende setzte dann auch die Festnahme von Vertretern des alten Regimes ein. Den Demonstranten versprach Burhan, die Versammlungsfreiheit zu respektieren, solange niemand zu den Waffen greift. Sein Sprecher Generalmajor Shams Eddin Schanto erklärte, dass der Militärrat bereit sei, das durchzusetzen, worauf sich die Oppositionsparteien einigen würden. "Wir werden keinen Premier bestimmen, dass müssen die machen", erklärte er.

Nichtsdestotrotz geben sich die Demonstranten weiter wachsam. Burhan sei zwar nicht perfekt, doch momentan böte sich unter ihm das beste Szenario, das möglich sei. Bisher habe er alles richtig gemacht, hieß es aus Kreisen der Opposition. Sicherheitshalber wolle man aber so lange auf die Straßen gehen, bis eine zivile Regierung gebildet sei.

Der Chef des neuen sudanesischen Militärrats, General Abdel Fattah al-Burhan; Foto: picture-alliance/AA
Kann ein friedlicher Übergang zu einer zivilen Regierung unter den Militärs gelingen? Zumindest stellte der Chef des neuen Militärrats, General Abdel Fattah al-Burhan, in seiner ersten Fernsehansprache am letzten Samstag einen weitreichenden Wandel des politischen Systems in Aussicht. Er werde die Korruption bekämpfen und "das Regime und seine Symbole mit der Wurzel entfernen". Der General ordnete auch die Aufhebung der nächtlichen Ausgangssperre und die Freilassung inhaftierter Demonstranten an.

Die ersten Verhandlungen zwischen Militär und Opposition hatten bereits am vergangenen Wochenende begonnen. Die Opposition forderte die Einrichtung einer insgesamt vier Jahre lang amtierenden Zivilregierung unter dem Schutz des Militärs, die völlige Umstrukturierung des Sicherheitsapparates sowie die Auflösung der Milizen, die einst im Namen Al-Baschirs operiert und vor allem in Darfur gewütet hatten. Das Militär forderte, sich im Konsens auf eine "patriotische und unabhängige Person" zu verständigen, die die Regierung führen soll. Für sich reklamierte das Militär das strategische Verteidigungs- und Innenministerium.

Offenbar ist man auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Einerseits benötigt das Militär die Legitimation durch die Demonstranten, um international Anerkennung und vor allem die für das Land so dringend benötigte finanzielle Unterstützung zu finden. Andererseits braucht die Opposition die Institution des Militärs, um Reformen landesweit durchzusetzen und das alte Regime auszuhebeln.

"Sieg oder Ägypten"

Nun sind natürlich die Herren mit den Waffen auf den ersten Blick in einer stärkeren Position; und man kann ihnen nur schwer trauen. Die Demonstranten in Khartum haben deutlich das ägyptische Beispiel vor Augen, als die dortige Armee die Demonstranten nach dem Sturz Mubaraks kooptierte und später alle Spuren des Wandels beseitigte. "Al-Nasr au Misr" – "Sieg oder Ägypten", skandieren sie denn auch in Khartum.

Aber vieles deutet auch darauf hin, dass es enorme Widersprüche innerhalb des sudanesischen Militärs gibt, wie man mit der neuen Situation umgehen soll. Es herrschten offensichtliche Differenzen zwischen der obersten Militärführung und den jüngeren Offizieren, die zu den Rücktritten von Auf und Gosh geführt haben. Und es gibt Widersprüche zwischen der Armee und den islamistischen Milizen.

Aber es sind noch ein paar andere auswärtige Spieler, die den Demonstranten und der Opposition im Sudan große Sorgen bereiten dürften: Die anderen autokratischen arabischen Regime haben nämlich kein Interesse daran, dass im Sudan etwas wirklich Demokratisches in Form einer zivilen Regierung entsteht. Ein solches Experiment nehmen sie als direkte Bedrohung ihrer eigenen Macht wahr. Der ägyptische Geheimdienst dürfte denn auch alles daran setzen, die sudanesischen Proteste zu spalten. Und auch die Golfstaaten werden ihre Finanzkraft einsetzen, um jegliche demokratische Entwicklung im Sudan aufzuhalten.

Burhan, die Emirate und Saudi-Arabien

Skeptisch machen sollte die Opposition ebenfalls, dass Übergangspräsident und Militär Burhan im Moment auch die Unterstützung Ägyptens und der autokratischen Golfstaaten hat. Gerade letztere kennt er gut, weil er die sudanesischen Truppen im Jemen koordiniert hat, die seit 2015 auf Seiten Saudi-Arabiens und der Emirate als Bodentruppen gegen die Huthi-Rebellen im Einsatz sind. Man hat ein gutes Arbeitsverhältnis, Burhan, die Emirate und Saudi-Arabien.

Aber die Opposition und die Demonstranten im Sudan sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sie haben vier Monate durchgehalten, bevor sie Al-Baschir gestürzt haben. Sie haben bewiesen, dass sie gegen allen Widerstand der Sicherheitskräfte die Straße friedlich mobilisieren können – und dies nicht nur in der Hauptstadt Khartum, sondern in vielen Teilen des Landes und über alle ethnischen und konfessionellen Gruppen und sozialen Grenzen hinweg.

Karim El-Gawhary

© Qantara.de 2019