Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist

Die Auseinandersetzung mit dem Zionismus spitzt sich oft polemisch zu, so dass eine nüchterne Diskussion nicht leicht ist. Umso erfreulicher, dass Micha Brumlik sich an eine Kritik wagt, die auf billige Polemik verzichtet. Von Michael Brenner

Die Auseinandersetzung mit dem Zionismus spitzt sich oftmals polemisch zu, so dass eine nüchterne Diskussion nicht immer leicht ist. Umso erfreulicher, dass der Frankfurter Erziehungswissenschafter Micha Brumlik sich an eine Kritik wagt, die auf billige Polemik verzichtet. Von Michael Brenner

Micha Brumlik; Foto: &copy DW-WORLD.DE
In seinem Buch legt Micha Brumlik eine tiefergehende Analyse zionismuskritischer jüdischer Positionen aus den letzten hundert Jahren vor.

​​Ausgangspunkt ist die gegenwärtige innerjüdische Debatte um die Legitimität des Staates Israel. Brumliks Essay ist die erste systematische deutsch-jüdische Antwort auf die vereinzelten, sich starker Publizität erfreuenden israelkritischen Stimmen amerikanischer, britischer und französischer Juden, die in den letzten beiden Jahren zu hören waren.

Obwohl der Autor kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um die Siedlungspolitik Israels sowie um Menschenrechtsverletzungen geht, distanziert er sich doch klar von der Ablehnung Israels durch anerkannte Intellektuelle wie Tony Judt oder Alfred Grosser. Deren auch im deutschsprachigen Raum oftmals als Tabubruch gerühmte moralische Verurteilungen stellt Brumlik in einen weiteren Kontext.

Keine Tabubrüche

Von Tabubruch könne schon deswegen keine Rede sein, weil es in Israel selbst seit langem eine lebhafte Diskussion um alle sensiblen Themen gebe. Man nehme nur die führende israelische Tageszeitung "Haaretz" zur Hand! Im Unterschied zu den westlichen Intellektuellen mit ihren papiernen Protesten, so Brumlik, bewiesen ihre israelischen Kollegen tatsächlich Zivilcourage, und zwar "im Belagerungszustand".

Brumlik teilt Tony Judts Vorliebe für einen gemeinsamen palästinensisch-jüdischen Staat durchaus, wirft Judt aber im konkreten Fall Realitätsverlust vor. Wenn schon Tschechen und Slowaken nicht in einem Staat leben wollten und solch friedliche Staaten wie Kanada und Belgien vom Auseinanderbrechen bedroht seien – ganz zu schweigen von der Situation auf dem Balkan –, dann sei die Rede vom "überholten" Nationalstaat nichts als leere Rhetorik.

Dass nach langen Jahrzehnten des Konflikts ausgerechnet Juden und Araber in einem vorbildhaften binationalen Gemeinwesen ein neues Kapitel in der Geschichte der Staatenwelt aufschlagen werden, klingt für Brumlik einfach zu schön, um wahr zu sein.

Brumlik nimmt auch eindeutig Stellung gegen "Schalom 5767", eine "Berliner Erklärung", die von siebzig sich als Juden bekennenden Personen verfasst wurde und unter anderem die Aufhebung des Boykotts gegen die seinerzeit nur aus Hamas-Angehörigen bestehende palästinensische Autonomieregierung forderte.

Er wirft den Unterzeichnern Blindheit gegenüber der antisemitischen Hamas-Charta vor, in der die Juden ganz im Sinne der berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion" als Weltverschwörer dargestellt werden.

"Unmoralischer Moralismus"

Zudem bittet Brumlik bei aller berechtigten Kritik um die Anerkennung der israelischen Ängste angesichts eines iranischen Präsidenten, der offen zur Auslöschung Israels aufruft und mit seinem Atomprogramm zumindest Spekulationen nährt, sein Ziel auch erreichen zu wollen. Brumlik wirft den pauschalen Kritikern Israels einen "letztlich unmoralischen Moralismus" vor.

​​Seinerseits legt er eine tiefergehende Analyse zionismuskritischer jüdischer Positionen aus den letzten hundert Jahren vor, von Hermann Cohen und Franz Rosenzweig über Hannah Arendt und Leo Strauss bis zu Emil Fackenheim und der derzeitigen israelischen Erziehungsministerin, Yael Tamir.

Die Auswahl mag manche überraschen. Auffallend ist vor allem das starke Übergewicht deutsch-jüdischer Denker, während die den Staat Israel – wie auch die relevante Kritik an ihm – weit mehr prägenden osteuropäischen Intellektuellen nur am Rande vorkommen.

Und kann man in einer Kritik des Zionismus die Hälfte der israelischen Gesellschaft, die aus der arabischen Welt stammt, einfach ausklammern? Man mag nicht mit allen von Brumliks Schlussfolgerungen übereinstimmen, doch bieten sie die beste deutschsprachige Vorlage für eine in anderen Ländern seit längerem geführte Debatte.

Am Ende eine Utopie

Der Zionismus ist für Brumlik eine nationale Bewegung, die nur im Kontext des 19. Jahrhunderts verstanden werden kann, die sich aber in zentralen Punkten von den imperialistischen und kolonialistischen Unternehmungen der europäischen Mächte unterschied, mit denen sie ihre Kritiker immer wieder in einen Topf werfen.

Die jüdischen Siedler kamen nicht aus ökonomischen Gründen, sondern flüchteten vor dem europäischen Antisemitismus. Sie waren stigmatisierte Untertanen, oftmals jugendliche Idealisten aus dem autokratischen Zarenreich, und keineswegs Beutejäger aus dem Herzen der europäischen Kolonialmächte.

Am Ende steht eine Utopie. Brumliks Weg in die Zukunft des Nahen Ostens führt über Europa. Er plädiert für die Aufnahme Israels in die Europäische Union und ist sich natürlich bewusst, wie weit entfernt diese Vision von jeglicher Realpolitik liegt. So schliesst er sein Buch mit David Ben Gurions oftmals zitiertem Spruch: "Wer in diesem Land nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."

Michael Brenner

© Neue Zürcher Zeitung 2008

Micha Brumlik: Kritik des Zionismus. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2007, 198 Seiten

Qantara.de

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