"Die Magie der Musik überwindet alle Grenzen"

Seit Beginn der syrischen Revolution stellt Malek Jandali sein musikalisches Schaffen in den Dienst der Menschen und ihr Ringen um Freiheit – insbesondere in den Dienst der Kinder. Sein neuestes Album fügt sich in seine Mission, das reiche musikalische Erbe seines Heimatlandes zu bewahren und darzustellen. Mit Malek Jandali sprach Susannah Tarbush exklusiv für Qantara.de.

Von Susannah Tarbush

Ihr neues Album ist mit seinem reichen epischen Schwung, den einprägsamen Melodien und der emotionalen Vielfalt ein spannendes Hörerlebnis. Es speist sich aus westlichen klassischen Traditionen ebenso wie aus syrischer Musik: aus historischen, klassischen, folkloristischen Motiven und sogar aus populären syrischen Revolutionsliedern. Wie gehen Sie an Ihre Kompositionen heran und von welchen syrischen Quellen haben Sie sich inspirieren lassen?

Malek Jandali: Die Arbeit an großen symphonischen Werken beginnt bei mir immer am Klavier. Dort experimentiere ich zunächst mit Motiven, rhythmischen Mustern und alten Melodien aus dem reichen syrischen Erbe. Als nächstes skizziere ich die Hauptstruktur des Werks. Zum Abschluss "male" ich die Orchestrierung auf meine musikalischen Leinwände, wobei ich die vielfältigen Klänge und Effekte eines Sinfonieorchesters ausschöpfe. Nachdem die Komposition abgeschlossen ist, widme ich mich der Partitur und den Stimmen für den Dirigenten und die jeweiligen Musiker, um das Werk aufnehmen und zum Leben erwecken zu können. Das ist stets ein aufregender Moment. Schließlich höre ich dann die Musik, die ich geschrieben habe, zum ersten Mal.

Das große kulturelle Erbe Syriens ist eine unerschöpfliche Quelle musikalischer Inspiration. So beruht beispielsweise der dritte Vivace-Satz des Klavierkonzerts auf einem alten syrischen Volksthema mit dem Titel "Der Tanz meiner Großmutter". "Elegy", das letzte Stück des Albums, geht auf einen alten "Samaii" aus Aleppo zurück und wurde vom Royal Philharmonic Orchestra in London unter der Leitung von David Firman brillant aufgeführt.

Als Wiege der Notenschreibung hat Syrien die Welt mit musikalischen Schätzen bereichert. Ich empfinde es als meine Pflicht, diese Schätze zu bewahren und auf der Weltbühne aufzuführen. Dennoch beziehe ich meine größte Inspiration von den Kindern in den Flüchtlingslagern und von den Gesängen der Menschen auf den Straßen in ihrem friedlichen Ringen nach Freiheit und Würde.

Cover des Albums "Piano Concerto No. 1 Elegy" von Malek Jandali (erschienen bei Soul b Music)
Malek Jandali: Der kulturelle und historische Austausch baut Brücken. Das ist unerlässlich für die Entwicklung von Gemeinschaft und unser Werteverständnis. 'Symphonie' bezeichnet im Griechischen ja ursprünglich genau das: "zusammenklingen". Das versuche ich auch in meinen symphonischen Werken zu erreichen: "Einheit und Frieden".

Seit Ihrem Debüt "Echoes from Ugarit" aus dem Jahr 2009 ist dies bereits Ihr 11. Album. Zahlreiche Orchester haben Ihre Werke bereits aufgeführt, darunter das Royal Philharmonic Orchestra in London und das Russische Philharmonische Orchester, so auch auf dem aktuellen Album. Welche Rolle spielt die Musik dabei, den Frieden zu fördern? Welche Kraft geht von ihr aus?

Jandali: Musik verbindet die Menschen und ihre Magie überwindet alle Grenzen. Der kulturelle und historische Austausch baut Brücken. Das ist unerlässlich für die Entwicklung von Gemeinschaft und unser Werteverständnis. 'Symphonie' bezeichnet im Griechischen ja ursprünglich genau das: "zusammenklingen". Das versuche ich auch in meinen symphonischen Werken zu erreichen: "Einheit und Frieden".

Sämtliche Erlöse aus dem Album fließen in die Unterstützung syrischer Kinder in Flüchtlingslagern. Wo und wann sind Sie während der Revolution syrischen Kindern begegnet und wie haben Sie versucht, ihnen zu helfen?

Jandali: Die Welt-Tournee "The Voice of the Free Syrian Children" begann 2013 in den USA und führte seitdem auf fünf Kontinente – von der Carnegie Hall über das Wiener Konzerthaus bis hin zum Opernhaus in Sydney. Wir vermittelten dort nicht nur unser musikalisches Erbe, sondern erzählten auch die Geschichten der syrischen Kinder und gaben ihnen eine Stimme. So warben wir für mehr Aufmerksamkeit und für mehr dringend nötige humanitäre Hilfe.

Ich traf syrische Kinder nicht nur in verschiedenen Städten auf der Tournee, sondern auch in mehreren Lagern, wie dem Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien, und in Hilfseinrichtungen an der syrisch-türkischen Grenze. Diese Begegnungen haben mich tief berührt. Ich hielt die Hände der Kinder auf dem Bahnhof und begleitete sie ein Stück auf ihrem Weg ins Exil an der kroatisch-bosnischen Grenze. Während der gesamten Tour bemühten wir uns um Hilfe und organisierten Workshops, Meisterklassen und Spendenaktionen, um den Kindern auf jegliche Weise zu helfen.

Das neue Album ist eine Auftragsarbeit für die Queens University in Charlotte, North Carolina, USA, also Ihrer Alma Mater. Kürzlich wurden Sie an der Queens University für zwei Jahre zum ersten Composer-in-Residence ernannt. Wie werden Sie Ihre Zeit dort nutzen?

Jandali: Die Ernennung zum ersten offiziellen Composer-in-Residence an der Queens University of Charlotte empfinde ich als Ehre und als Privileg. Ich bin außerordentlich dankbar für diese wichtige Partnerschaft. Ich werde nicht nur meine Alma Mater auf der internationalen Bühne vertreten, sondern auch weiterhin symphonische Werke schreiben und produzieren, um zu einem hohen künstlerischen Niveau beizutragen. Ein besonders wichtiger Aspekt meiner Tätigkeit wird es sein, Studenten zu gewinnen und sie zu ermutigen, nach ihrer eigenen Identität und Stimme in der Welt zu suchen. Immer nach unserem Motto: non ministrari sed ministrare oder "nicht um bedient zu werden, sondern um zu dienen".

 

Neben den Aufträgen der Queens University arbeite ich derzeit an einer großen Oper mit einem Libretto, das vom Arabischen Frühling und der syrischen Revolution inspiriert ist. Mit Marin Alsop, Leiterin des Baltimore Symphony Orchestra und Chefdirigentin des Radio-Symphonieorchesters Wien, arbeite ich zusammen, um in Wien meine symphonische Dichtung "The Silent Ocean" und "Symphony No. 6" aufzunehmen.

Sie sind der regimekritischste Musiker auf der internationalen Bühne seit Beginn der Revolution. Damals führte ein Auftritt in Washington mit Ihrer Hymne "Ich bin mein Vaterland und mein Vaterland ist Ich" ("Watani Ana") dazu, dass Schergen des Assad-Regimes in Homs Ihre Eltern brutal zusammenschlugen und das Haus der Familie zerstörten. Wie reagierten die Syrer innerhalb und außerhalb Syriens auf Ihre Musik und Ihre Aktionen in den vergangenen Jahren?

Jandali: Die Welle der Unterstützung, die ich erfahren habe, hat mich demütig werden lassen. Wenn ich auf meinen weltweiten Reisen auf Syrer treffe, die mir erzählen, wie meine Musik ihnen durch die schwersten Zeiten ihres Lebens geholfen hat, beweist das, dass Musik die Macht hat, alle Grenzen zu überwinden. Am meisten hat mich die Geschichte einer syrischen Frau berührt, die in einer Gefängniszelle des Diktators eingepfercht war. Als man sie in die Folterkammer schleppte, summte sie eines meiner Werke, um sich Kraft zum Durchhalten zu verleihen. Es gibt keine Worte, die beschreiben können, wie dies meine Art zu komponieren und über Musik zu denken beeinflusst hat.

Wie wirkt sich die Coronavirus-Pandemie auf Ihre Aktivitäten und Konzerttourneen aus?

Jandali: Wegen der Pandemie wurden alle Aufführungen und Musikfestivals abgesagt. Trotzdem setze ich meine Arbeit als Komponist und Produzent in der Hoffnung fort, schon bald wieder auf die Bühne zurückzukehren.

 

2015 gründeten Sie in Atlanta die Organisation Pianos for Peace mit dem Ziel, durch Musik und Bildung Frieden zu schaffen. Die Organisation veranstaltet jährlich ein Festival in Atlanta, bei dem zahlreiche fantasievoll bemalte Klaviere in den Straßen aufgestellt werden, auf denen jeder spielen kann. Während der Pandemie führt die Organisation besondere Aktionen für Betroffene von COVID-19 durch. Hoffen Sie, dass die bunten Klaviere von Pianos for Peace in den kommenden Jahren wieder in die Straßen von Atlanta und anderswo zurückkehren werden, vielleicht sogar eines Tages in Syrien?

Jandali: Ja, selbstverständlich. Ich bin guter Dinge, dass die bunten Pianos for Peace in die Straßen von Atlanta zurückkehren werden. Darüber hinaus wollen wir auch in anderen Städten präsent sein. Während der Pandemie stellen wir unser Programm um und haben einen virtuellen Lehrplan eingeführt, damit die Schüler mit der wohltuenden Kraft der Musik in Verbindung bleiben. Ein Traum würde in Erfüllung gehen, wenn eines Tages bunte Pianos for Peace in den Straßen Syriens stünden. Unterdessen tragen unsere Programme für heilende Kunst in verschiedenen Flüchtlingslagern dazu bei, Kinder auf dem langen und schwierigen Weg der Genesung durch Kunst und Musik zu begleiten.

Die Malek Jandali International Youth Piano Competition für Pianisten bis 18 Jahre findet seit 2014 jährlich statt. Der Hauptgewinn besteht aus einem Geldpreis, einer Auszeichnung und der Möglichkeit, in der Carnegie Hall in New York aufzutreten. Steht der Preisträger 2020 bereits fest und wird das Programm fortgesetzt?

Jandali: Der Wettbewerb läuft definitiv weiter. Allerdings hat sich die Jury das Recht vorbehalten, 2020 keinen Preisträger zu küren. Wir bereiten aber gerade die Ausschreibung für den Wettbewerb 2021 vor.

Interview: Susannah Tarbush

© Qantara.de 2021

Aus dem Englischen von Peter Lammers