Unsichtbares sichtbar machen

Politische Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September sowie die Aufstände während des Arabischen Frühlings haben in Europa das Interesse an arabischen Literatur-Übersetzungen  schlagartig geweckt. Ein Überblick von Susannah Tarbush

Von Susannah Tarbush

Die Verleihung des diesjährigen International Prize for Arabic Fiction (IPAF) an den libanesischen Schriftsteller Rabee Jaber für seinen Roman The Druze of Belgrade (Duruz Belghrad: Hikaya Hanna Yaqoub) brachte diesem nicht nur die Preissumme von 60.000 US-Dollar ein, sondern eröffnete ihm vielversprechende Chancen auf internationale Übersetzungen und Veröffentlichungen in vielen anderen Ländern.

Der IPAF beinhaltet eine Übersetzungsgarantie und die Veröffentlichung des Sieger-Werkes auf Englisch. Bisher wurden von Jabers 18 Romanen drei übersetzt – ins Deutsche, Französische und Italienische, nicht aber The Druze of Belgrade.

Nun aber ist die erste englischsprachige Veröffentlichung eines Romans von Jaber auf dem Weg, nachdem der New Yorker Verlag "New Directions" zwei seiner Romane gekauft hat. "New Directions" wird das Buch The Mehlis Report (Takrir Mehlis) im Frühjahr 2013 herausbringen und ein Jahr später Byretus Underground City (Byretus Madinat Taht al-Ard). Der Übersetzer beider Werke ist der aus Ägypten stammende Amerikaner Kareem James Abu-Zeid, der meint, dass Jaber wohl der einzige arabische Autor ist, der am dringendsten übersetzt werden sollte.

The Druze of Belgrade ist ein historischer Roman, der in den Jahren nach dem blutigen Konflikt zwischen Christen und Drusen im Libanon der 1860er Jahre spielt. Der Protagonist ist der christliche Eierverkäufer Hanna Yacoub, der die Identität eines Drusen annehmen muss und zusammen mit gefangenen drusischen Kämpfern in ein Lager auf dem Balkan geschickt wird.

Rabee Jaber (rechts) während der Preisverleihung des International Prize for Arabic Fiction; Foto: Susannah Tarbush
Gewann mit seinem Roman The Druze of Belgrade</em> den renommierten "International Prize for Arabic Fiction": Rabee Jaber (rechts) während der Preisverleihung

​​Jaber sieht den Roman als sehr aktuell an, mit seinen Themen wie Identität, Sektierertum und dem Kampf eines Individuums, der sich gegen die Gewalt auflehnen muss, der er seitens seines Gefängniswärters ausgesetzt ist.

Unterstützung für die arabische Literatur

Geschaffen wurde der IPAF 2007, mit finanzieller Unterstützung der in Abu Dhabi ansässigen "Emirates Foundation" und weiterer Hilfe der "Booker Prize Foundation" in London. Eines seiner Ziele besteht darin, die Übersetzung arabischer Werke ins Englische und in andere Sprachen zu fördern. Und tatsächlich konnten nicht nur die bisherigen Siegertitel, sondern auch einige andere Werke von der Shortlist des Preises an englischsprachige und andere internationale Verlage verkauft werden.

Neben diesem Preis unterstützt der IPAF junge arabische Autoren mittels Schreib-Workshops, bekannt als nadwas, die seit 2009 jährlich in Abu Dhabi stattfinden. Die Texte, die auf den ersten beiden Workshops entstanden, wurden als zweisprachige Anthologien unter dem Titel Emerging Arab Voices veröffentlicht.

Die Schaffung des IPAF ist ein wichtiger Baustein der Umwälzungen, die wir im 21. Jahrhundert auf dem Gebiet der Literaturübersetzungen aus dem Arabischen beobachten können. Die politischen Ereignisse wie der 11. September und der Arabische Frühling sind ein Grund für das gewachsene Interesse an Übersetzungen arabischer fiktionaler Literatur. Die Zahl der Übersetzungen aus dem Arabischen ins Englische ist gestiegen – sei es bei Büchern oder bei Texten in Zeitschriften und Magazinen.

Auch die dramatischen Entwicklungen in der Kommunikationswelt allgemein, im Internet, den sozialen Netzwerken und beim sogenannten Digital Publishing trugen dazu bei, dass die Veröffentlichung von, das Interesse an und die Diskussion über arabische Literaturübersetzungen ein neues Niveau erreicht haben. Nicht zuletzt gilt dies auch für den Bereich der Publizität und des Marketings: Arabische Autoren und ihre Arbeiten gewannen zuletzt große Aufmerksamkeit in den internationalen Medien, auf Buchmessen, Literaturfestivals, Konferenzen und anderen Veranstaltungen.

Eine Explosion kreativen Schreibens

Eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung arabischer Literatur in der Welt spielt das in London herausgebene Magazin "Banipal". Diese Zeitschrift für arabische Belletristik wurde 1998 von Margaret Obank und ihrem Ehemann, dem irakischen Autoren Samuel Shimon, gegründet. Die Texte von hunderten arabischer Autoren und Übersetzer aus dem Arabischen wurden in "Banipal" veröffentlicht.

Cover der bilingualen Anthologie Emerging Arab Voices
Talentschmiede für junge Schriftsteller: Der IPAF unterstützt arabische Autoren mittels Schreib-Workshops, bekannt als nadwas</em>, die seit 2009 jährlich in Abu Dhabi stattfinden.

​​Obank schreibt über die Entwicklungen auf dem Feld der Übersetzungen aus dem Arabischen in einer 17-seitigen Würdigung des legendären Übersetzers Denys Johnson-Davies zu Ehren seines 90. Geburtstages und der 60 Jahre, die er inzwischen Pionierdienste für die Vermittlung arabischer Literatur leistet.

Obank erinnert sich, dass er sich, als sie Johnson-Davies im Jahr 2000 für "Banipal" interviewte, "wie wir alle, über die bedauernswerte Lage der Arabisch-Übersetzer beklagte sowie über den Umstand, dass Übersetzer arabischer Belletristik keinerlei Ermutigung erhielten".

Heute aber, schreibt Obank, ist "die Welt der literarischen Übersetzung aus dem Arabischen ins Englische kaum wiederzuerkennen – es hat sich so vieles verändert. Die Szene profitiert sehr von der Energie vieler angehender Übersetzer, die aus den verschiedensten Lebenswelten kommen und so in gewisser Weise zur Explosion kreativen Schreibens in der arabischen Welt beitragen".



Obank sieht Johnson-Davies als "einen der Katalysatoren des Wandels, weil er nie aufhörte, zu übersetzen und damit der anglophonen Welt eine große Zahl interessanter, kraftvoller Autoren nahe brachte. Nicht umsonst nennt man ihn auch "Talent-Scout'".

Johnson-Davies brachte es auf mehr als 30 übersetzte Bände. Und das ist noch nicht alles: Die letzte Ausgabe von "Banipal" enthält eine enthusiastische Rezension zur jüngsten, von ihm übertragenen Anthologie Homecoming: Sixty Years of Egyptian Short Stories. Erzählungen von 57 ägyptischen Autoren umspannen das ganze Übersetzerleben Johnson-Davies.

Gewachsenes Interesse an arabischer Belletristik

Abgesehen vom Magazin selbst leistet "Banipal" noch auf anderem Wege wertvolle Unterstützung für neue Übersetzungen. So etwa durch den mit 3.000 Pfund dotierten Saif Ghobash-Banipal Prize for Arabic Literary Translation, der 2006 zum ersten Mal verliehen wurde. Der Preis fügt das Arabische den Sprachen (alle anderen sind europäische Sprachen) hinzu, für die es von der der britischen Autorengewerkschaft "Society of Authors" organisierte Übersetzerpreise gibt.

Übersetzer Denys Johnson-Davies; Foto. © Banipal
"Katalysator des Wandels und Talentscout": Übersetzer Denys Johnson-Davies

​​2011 wurde der Preis an den libyschen Dichter, Wissenschaftler und Übersetzer Khaled Mattawa verliehen. Bei der Zeremonie im Februar vergangenen Jahres in London erhielt er den Preis für seine Übersetzung von Adonis: Selected Poems (Yale University Press). In der Begründung der Jury hieß es, das Buch sei "dazu bestimmt, ein Klassiker zu werden".

Das Interesse an belletristischer Literatur aus dem Arabischen hat auch Mut zur Gründung einiger neuer Verlage gemacht. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Verlag "Bloomsbury Qatar Foundation Publishing" (BQFP), gemeinsam gegründet vom Londoner "Bloomsbury Verlag" und der "Qatar Foundation".

BQFP gibt sowohl englisch- wie arabischsprachige Bücher heraus und zeigt sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 überaus aktiv. Auch BQFP unterstützt die Förderung neuer Übersetzungen, so etwa mit einer Reihe von Übersetzer-Konferenzen, deren dritte zwischen dem 29. April und dem 1. Mai unter dem Titel "Translation in and of the World" in der bei Doha gelegenen Qatar Education City abgehalten wurde. Partner hierbei waren das "British Council" und das "Translation and Interpreting Institute", eine neue Initiative der "Qatar Foundation".

Der in Deutschland lebende und auf Deutsch schreibende syrischstämmige Romancier Rafik Schami verwirklichte sein Ziel, aufstrebenden arabischen Autoren zu helfen, indem er den Verlag "Swallow Editions" gründete – ein Non-Profit-Unternehmen zur Veröffentlichung arabischer Belletristik in englischer Übersetzung. Im letzten Oktober startete der Imprint mit der Herausgabe des ersten Buches: Sarmada – ein Roman des syrischen Autors Fadi Azzam, übersetzt von Adam Talib. Das arabische Original des Buches steht auf der Longlist des IPAF 2012.

"Swallow Editions" erscheint unter dem Dach von "Arabia Books" in London, seinerseits Imprint des in London ansässigen Verlages "Haus Publishing", der sich auf übersetzte Werke arabischer Belletristik spezialisiert hat.

Buchcover von Fadi Azzams Roman Sarmada
"Leidenschaftlich, politisch relevant und kraftvoll": Fadi Azzams Roman "Sarmada"

​​Barbara Schwepcke, Gründerin von "Haus Publishing", erklärte anlässlich des Starts von "Swallow Editions", dass man Werke "leidenschaftlicher, kraftvoller und politisch relevanter" arabischer Stimmen herausgeben werde.

Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise

Die Entwicklungen der Übersetzungen arabischer Literatur ins Englische in jüngster Zeit sind zwar eindrucksvoll, doch der weltweite wirtschaftliche Abschwung hat auch dazu geführt, dass führende Kulturorganisationen ihre Budgets kürzen. Einige britische Verlage für arabische Literatur etwa leiden unter einer kürzlich beschlossenen Kürzung der Förderungsmittel durch das "Arts Council".

Ein vom "Projekt Literature across Frontiers" (LAF) vorgelegter Bericht untersucht sowohl die gestiegene Anzahl übersetzter arabischer Belletristik, als auch die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen für das Genre. Der Report unterstreicht dabei den nach wie vor bestehenden dringenden Bedarf an Unterstützung und Sponsoring für Übersetzungen aus dem Arabischen sowie deren Veröffentlichung.

Der 148 Seiten starke Bericht Literary Translation from Arabic into English in the UK and Ireland, 1990-2010 (Literarische Übersetzung aus dem Arabischen ins Englische in Großbritannien und Irland zwischen 1990 und 2010), wurde vom "Euro-Mediterranean Translation Programme" durchgeführt, einer Zusammenarbeit von LAF, der "Anna Lindh Euro-Mediterranean Foundation for the Dialogue between Cultures" und dem Projekt "Transeuropeennes", mit Unterstützung der EU.

Die Autorinnen des Berichts, LAF-Direktorin Alexandra Büchler und die Arabisch-Übersetzerin Alice Guthrie stellten den Report vor einigen Wochen im Free Word Centre in London vor.

Büchler erklärte dabei, der Bericht untersuche den gesamten Kontext, in dem sich Übersetzung abspielt: "Es geht es uns nicht nur um die Veröffentlichung von Büchern, sondern auch um die Ausbildung und den Status von Übersetzern sowie den Bereich der Präsentation von Literatur auf Veranstaltungen wie Literaturfestivals", so Büchler. "Wir versuchen, all diese Bereiche der Literaturpräsentation miteinander in Beziehung zu setzen."

Diskutiert wurde der Bericht während eines Podiumsgespräches, an dem zwei Arabisch-Englisch-Übersetzer teilnahmen, Dr. Peter Clark und Professorin Marilyn Booth, sowie zwei Repräsentanten der Verlagsszene, Ashley Biles, Leiter des Vertriebs und Marketings bei "Saqi Books", und Harry Hall, Geschäftsführer von "Arabia Books" und "Swallow Editions". Beide Verlagsrepräsentanten wiesen auf die schwierige Marktlage hin, mit der sie zu tun haben – insbesondere für übersetzte Belletristik.

Susannah Tarbush

© Qantara.de 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de