Von der Partnerschaft zur Eiszeit

Brahim Ghali im Krankenhaus in Algier; Foto: Algerian Presidency/AP Photo/picture-alliance
Brahim Ghali im Krankenhaus in Algier; Foto: Algerian Presidency/AP Photo/picture-alliance

Marokko und die Europäische Union liegen wegen der Westsahara-Frage über Kreuz. Weil Deutschland die marokkanischen Ansprüche auf das Gebiet nicht unterstützt, ist es zu einem massiven Konflikt zwischen beiden Ländern gekommen. Die deutsch-marokkanische Krise wird langsam teuer – für beide Seiten, wie Hans-Christian Rößler berichtet.

Von Hans-Christian Rößler

Brahim Ghali ist weg, aber die Krise ist noch da. In der Nacht zum Mittwoch (02.06.) verließ der Chef der Westsahara-Befreiungsfront Polisario Spanien. Doch seine Rückkehr nach Algerien bedeutet keine Entspannung zwischen Marokko und Spanien – und auch nicht mit dem Rest der Europäischen Union. Schon bevor Ghali das spanische Krankenhaus verließ, in dem er wegen einer Covid-Erkrankung behandelt wurde, hatte die Regierung in Rabat klargestellt, dass das Ermittlungsverfahren gegen Ghali für die Verstimmungen keine zentrale Rolle spielt.

Es geht um die europäische Anerkennung der marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara. Die Erklärung war mit zwei Drohungen versehen, die auch in Berlin Besorgnis hervorrufen dürften: Sie erinnert ausdrücklich daran, wie wichtig Marokko als Partner im Kampf gegen den dschihadistischen Terrorismus und die illegale Migration sei; "82 terroristische Akte seien dadurch neutralisiert“ worden. Vor gut zwei Wochen hatten die marokkanischen Sicherheitskräfte in Ceuta gezeigt, was geschieht, wenn sie an den Grenzen ihre Arbeit unterbrechen. Fast 10 000 Marokkaner waren daraufhin in die spanische Exklave gekommen.

Sicherheitszusammenarbeit eingestellt

Marokko habe seine Sicherheitskooperation mit Spanien eingestellt, heißt es in Rabat. Deutschland hat es schon früher getroffen. "Die deutsch-marokkanische Sicherheitszusammenarbeit im polizeilichen Bereich ist vorübergehend ausgesetzt“, sagte in Berlin ein Sprecher des Bundesinnenministeriums gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Marokkanische Sicherheitskräfte hatten sich in der Vergangenheit damit gebrüstet, dass sich mit ihren Informationen der Terroranschlag im Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hätte verhindern lassen. Marokkaner und Tunesier stellten zuletzt in Europa die meisten Terroristen.



Die Bundesregierung setzt sich nach eigenen Angaben für die "zeitnahe Wiederaufnahme der Zusammenarbeit ein“. Aber davon ist man weit entfernt, seit die marokkanische Regierung ihre Kontakte zur deutschen Botschaft in Rabat einstellte und die marokkanische Botschafterin Berlin verlassen hat. In Madrid erwartet man, dass die Blockade lange andauern wird, die für Deutschland im März begonnen hat und für beide Seiten langsam teuer wird.

Übersichtskarte Westsahara; Quelle: Deutsche Welle
Nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump im Dezember 2020 erklärt hatte, er werde die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkennen, hofft die Regierung in Rabat auf die internationale Akzeptanz ihrer Ansprüche auf das ressourcenreiche Gebiet. Trump bewog damals mit seiner Entscheidung Marokko dazu, volle diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Deutschland hatte Trumps Entscheidung kritisiert und dazu eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats einberufen. Seitdem ist der Konflikt zwischen Deutschland und Marokko eskaliert und gefährdet die Kooperation auf allen Feldern der Zusammenarbeit.

Beide Staaten verbindet eigentlich eine langjährige und erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit. Im vergangenen Jahr erhielt das nordafrikanische Land deutsche Zusagen in Höhe von 420 Millionen Euro, zum größten Teil in Form von Krediten. Wegen der Corona-Krise kamen weitere Kredite von 717 Millionen Euro dazu, wie das Entwicklungshilfeministerium (BMZ) mitteilt. "Aufgrund der von Marokko ausgelösten diplomatischen Krise mussten seit März 2021 Projektaktivitäten im Bereich der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit angehalten werden“, sagt ein Sprecher.



Das betrifft besonders die deutsch-marokkanische Wasserstoffallianz, zu der der Bau der ersten "großtechnischen Referenzanlage“ für grünen Wasserstoff in Afrika gehört. Deren Kosten belaufen sich voraussichtlich auf 325 Millionen Euro, die zu einem großen Teil durch Darlehen und Zuschüsse über die KfW-Entwicklungsbank im Auftrag der Bundesregierung finanziert werden sollen. „Aktuell werden laufende Projektaktivitäten verschoben“, sagt der BMZ-Sprecher diplomatisch.

Projekte der Entwicklungszusammenarbeit ruhen

In Marokko bekommt die Eiszeit neben politischen Stiftungen die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) stark zu spüren. Seit 1975 ist sie in Marokko für die Bundesregierung aktiv. Doch marokkanische Ministerien und Behörden stellten im März auch ihren Kontakt zur GIZ ein. "Der fehlende Austausch mit den marokkanischen Partnern hat zur Folge, dass die Arbeit in den etwa 50 Projekten, die die GIZ in Marokko umsetzt, nur in einem begrenzten Umfang durchgeführt werden kann“, sagt eine GIZ-Sprecherin. Personell hatte das bisher keine Konsequenzen: Noch sind die knapp 300 nationalen und entsandten GIZ-Mitarbeiter "weiterhin vor Ort“ – auch wenn ihnen derzeit wenig zu tun bleibt.

Seit mehr als einem Vierteljahr entgehen Marokko umfangreiche staatliche und private Mittel aus Deutschland. Große Summen, die aus Steuergeldern stammen, können dort nicht einfach an staatliche Stellen überwiesen werden, die dann für eine Nachverfolgung nicht mehr erreichbar sind. Nach Südafrika ist Marokko in Afrika zugleich der zweitwichtigste Investitionsstandort für deutsche Unternehmen. Bei fast 80 deutschen Unternehmen erzielen dort 30 000 Angestellte einen Umsatz von fast zwei Milliarden Euro. "Es trifft Unternehmen, die in Bereichen wie Gesundheit und Energie mit staatlichen Partnern zusammenarbeiten, die jetzt mit ihnen keinen Kontakt mehr unterhalten“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, Christoph Kannengießer.

 

Das hat auch Folgen für neue Investoren. Ursprünglich wollte der Afrika-Verein in diesen Tagen mit deutschen Unternehmern nach Marokko reisen, um über Wasserstoff-Projekte zu informieren. Doch das nordafrikanische Land ist nicht auf Deutsche oder Spanier angewiesen. "Es gibt für beide Seiten immer Alternativen. China, Russland, die Türkei und die Golfstaaten arbeiten daran, in Marokko und im Maghreb ihren Einfluss auszubauen“, sagt Christoph Kannengießer.

Streit um Libyen

Auch Marokko selbst hat im Norden Afrikas politische Ambitionen. Das gilt vor allem für eine Lösung im Libyen-Konflikt, bei der sich die Regierung in Rabat durch Deutschland ausgeschlossen und behindert sieht. So lautet zumindest einer der Gründe für die diplomatische Kontaktsperre, die man jedoch im Auswärtigen Amt nicht verstehen kann: Nur zwei Wochen vor der Abberufung der marokkanischen Botschafterin und der Veröffentlichung des entsprechenden Kommuniqués am 6. Mai hatte Marokko an einem Libyen-Treffen unter Vorsitz von Außenminister Heiko Maas teilgenommen.



Kurz davor war Marokko zur zweiten Berliner Libyen-Konferenz Ende Juni eingeladen worden. Der marokkanische Vorwurf, Deutschland wolle, dass Marokko keine Rolle bei den Friedensbemühungen spiele, entbehre jeder Grundlage, heißt es aus dem deutschen Außenministerium. Er sei als Begründung für das Aussetzen der Zusammenarbeit ebenso wenig nachvollziehbar wie für eine Eskalation der Krise durch die Abberufung der Botschafterin.

Hans-Christian Rößler

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2021