Die Saat für die nächste Arabellion

In vielen arabischen Ländern fühlt sich arabische Jugend noch immer wirtschaftlich vernachlässigt und abgehängt. Der demografische Wandel in der Region könnte die nächste politische Krise auslösen, legt der aktuelle "Arab Human Development Report" nahe. Von Kareem Chehayeb

Von Kareem Chehayeb

Im letzten Jahr wurde der aktuelle "Arab Human Development Report" (AHDR) veröffentlicht, der Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) zur Lage in den arabischen Ländern. Darin geht es vor allem um die Jugend. Die Altersgruppe zwischen 15 and 29 Jahren ist in dieser Region von großer Bedeutung und nimmt zahlenmäßig immer mehr zu.

Dies ist der erste Bericht dieser Art, der nach dem Arabischen Frühling von 2010/11 verfasst wurde. Er verdeutlicht, wie das politische Bewusstsein der jungen Menschen deutlich geschärft wurde – ebenso wie ihr Drang, ihre Rechte als Bürger und Menschen in Anspruch zu nehmen. Doch insbesondere die Wirtschafts- und Sicherheitslage der Jugendlichen stellt sich noch immer höchst problematisch dar. Einerseits nimmt das politische Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung immer mehr zu, andererseits lässt die wirtschaftliche Planung der Regierungen noch immer sehr zu wünschen übrig, sodass sich die bestehenden Probleme weiter verschärfen und immer länger anhalten.

Die Plage der Arbeitslosigkeit

Im Jahr 2014 hat die Arbeitslosenquote unter arabischen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren mit fast 30 Prozent einen neuen Höhepunkt erreicht. Damit lag sie über doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Und es wird erwartet, dass diese Kluft bis 2019 noch größer wird. Laut Prognosen nimmt die Arbeitslosigkeit im globalen Durchschnitt weiter ab, wohingegen sie in der arabischen Welt immer mehr zunimmt. Angesichts der Tatsache, dass das Bevölkerungswachstum in der arabischen Region weltweit am höchsten ist, müssten dort eigentlich bis 2020 über 60 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden – allein um die Jugendarbeitslosigkeit auf ihrem bisherigen Niveau zu halten.

Was sind die Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit? Der AHDR-Bericht macht die schlechte Regierungsführung und Politik dafür verantwortlich – insbesondere jene Maßnahmen, die "das demografische Wachstum und die Bedürfnisse des Marktes in Einklang bringen" sollen. Ist für eine wachsende Bevölkerung nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden, werden diese oft nicht an die fähigsten Bewerber vergeben, sondern an diejenigen mit den besten Beziehungen.

So überrascht es nicht, dass in einer Umfrage 75,77 Prozent der arabischen Jugendlichen angegeben haben, Arbeitslosigkeit und Wirtschaft seien für sie die wichtigsten Themen. Für nur 2,99 Prozent stehen dagegen die nationale Sicherheit und Stabilität an erster Stelle.

Arabische Diktatoren: Tunesiens Ben Ali, Ägyptens Mubarak, Jemens Saleh und Libyens Gaddafi; Foto: dpa/picture-alliance
Ende des Clubs der Diktatoren: Nach dem Sturz der arabischen Diktatoren in Tunesien, Libyen, Ägypten und im Jemen regieren nach der Arabellion abermals autoritäre Machthaber über mehrere arabische Länder. Andere Umbruchsstaaten, wie Syrien, Jemen und Libyen, drohen in jahrzehntelangen militärischen Konflikten zu zerreissen. Vor allem die Jugend leidet am meisten in den krisengeschüttelten Ländern des Maghreb und Maschrek.

Arabische Jugendliche wollen mehr politische Beteiligung

Angesichts der Proteste seit 2009, die als Arabischer Frühling oder Arabisches Erwachen bekannt wurden, ist dies keine Überraschung. In der Tat erweckt der Bericht den Eindruck, dass die junge Generation im arabischen Raum immer besser ausgebildet ist und politisch immer aktiver wird. Gleichzeitig ist sie sich immer stärker der Probleme und Ungerechtigkeiten bewusst, unter denen sie leidet.

Im Jahr 2013 haben sich im arabischen Raum über 18 Prozent der Jugendlichen an Protesten beteiligt – fast doppelt so viele wie im Durchschnitt der Länder mit mittleren Einkommen. In großem Kontrast dazu steht die Wahlbeteiligung der arabischen Jugend. Sie steht mit nur 68,4 Prozent weltweit an letzter Stelle, während sie in den Ländern mit mittleren Einkommen durchschnittlich 87,4 Prozent beträgt.

Obwohl die jungen Menschen begierig sind, sich politisch zu beteiligen, und obwohl es (mit Ausnahme von acht Ländern) für einen gewissen Grad politischer Beteiligung keine formalen Hindernisse gibt, bleibt die Jugend vom politischen Prozess ausgeschlossen. So liegt beispielsweise das Durchschnittsalter in den Ministerräten der Region bei 58 Jahren.

Künftige Generationen zahlen einen hohen Preis

Es wird Jahre dauern, bis die Zerstörungen und Verwüstungen in Ländern wie Syrien, Irak, Jemen, Palästina, Libyen und Somalia wieder repariert sind. Im Jahr 2014 starben laut Angaben des Berichts 68,5 Prozent der weltweiten Kriegsopfer bei Konflikten im arabischen Raum. In der Zeit zwischen 1989 und 2014 waren es 27,7 Prozent.

Selbstverständlich bezieht sich dies nur auf Staaten, die sich formal im Krieg befinden. Solche, die "lediglich" Terroranschläge erlitten haben, wurden nicht berücksichtigt. 2014 fanden in den arabischen Ländern 45 Prozent aller globalen Terroranschläge statt.

57,5 Prozent der weltweiten Flüchtlinge stammen aus der arabischen Region, ebenso wie 47 Prozent aller Menschen, die innerhalb ihres Heimatlandes vertrieben wurden. Aber die langfristigen Folgen der Konflikte dort gehen weit darüber hinaus. Die Flüchtlingswelle aus Syrien trägt erheblich zu den drastischen demografischen Veränderungen in der Region bei. Im AHDR-Bericht wird jedoch auch betont, dass dabei die Notlage der Palästinenser nicht vernachlässigt werden darf: "Die israelische Besatzung Palästinas, ... die einem ganzen Volk sein Recht auf Selbstbestimmung verweigert, ... ist die längste des modernen Zeitalters."

Panzer der saudischen Armee; Foto: AFP/Getty Images
Bis an die Zähne bewaffnet: Zwischen 1988 und 2014 wurde in der arabischen Region pro Kopf 65 Prozent mehr für militärische Zwecke ausgegeben als im weltweiten Durchschnitt. Dabei lagen die Rüstungsausgaben insgesamt bei zwei Billionen US-Dollar. Derart hohe Militärausgaben führen lediglich dazu, dass sich die bestehenden Sicherheitskrisen verlängern und verschlimmern.

Der Bericht konstatiert ferner, dass die Anzahl derjenigen Menschen, die in Gegenden mit hohem Konfliktpotenzial leben, weiter steigt. Es wird davon ausgegangen, dass bis zum Jahr 2050 in diesen Regionen drei Viertel der Menschheit leben. Diese Prognose wird auch durch haushaltspolitische Entwicklungen bestätigt: Zwischen 1988 und 2014 wurde in der arabischen Region pro Kopf 65 Prozent mehr für militärische Zwecke ausgegeben als im weltweiten Durchschnitt. Dabei lagen die Rüstungsausgaben insgesamt bei zwei Billionen US-Dollar. Und nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung verlangsamt.

Derart hohe Militärausgaben führen lediglich dazu, dass sich die bestehenden Sicherheitskrisen verlängern und verschlimmern. Die Verfasser des Berichts betonen, dass durch diese übermäßigen Ausgaben auch die Finanzierung anderer Bereiche behindert wird. So fehlen Gelder für Ausbildung, Gesundheit und Infrastruktur, die, wenn sie geschickt verwendet werden, Sicherheitsrisiken entschärfen können.

Ist ein neuer Arabischer Frühling in Sicht?

Es ist klar, dass die arabischen Regierungen diese wichtigen Themen nicht unter den Teppich kehren dürfen. In der Region leben 100 Millionen junge Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren – zwei Drittel der Gesamtbevölkerung. Viele von ihnen sind intelligent und in der Lage, Führungspositionen zu übernehmen.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die arabischen Aufstände, auch wenn sie letztlich kaum erfolgreich waren, die Probleme bei der Entwicklung sichtbar gemacht haben. Durch die Demonstrationen konnte die Zivilgesellschaft ihren Unmut über die Missstände bekunden und für ihre Forderungen kämpfen.

Auch die restriktiven staatlichen Maßnahmen gegen diese Proteste und Zusammenkünfte finden in dem Bericht abschließend Erwähnung: Die nach den Umbrüchen einsetzende restaurative Politik sorgte zwar für eine gewisse Stabilität in den arabischen Staaten, allerdings muss man neuen Protesten ausgehen, da die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Probleme von den arabischen Regierungen bislang gar nicht oder nur unzureichend nicht in Angriff genommen wurden. Doch da sich diese Probleme in Zukunft wohl noch verschärfen dürften, kann man davon ausgehen, dass auch die Proteste in der Region zunehmen werden – und angesichts der immer rigoroseren staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen – immer gewalttätigere Formen annehmen werden.

Kareem Chehayeb

© OpenDemocracy 2017

Kareem Chehayeb ist Journalist und politischer Analyst in Beirut.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff