Jesidische Opfer des IS-Terrors
Es ist Zeit zu handeln!

Hunderte verschleppte jesidische Frauen und Kinder werden weiter in den Händen der Dschihadisten des "Islamischen Staats" vermutet. Nach Berichten über ein Massaker wächst die Wut der Jesiden auf die irakische Regierung, der sie Untätigkeit vorwerfen. Einzelheiten von Judit Neurink

Nach mehr als anderthalb Jahren in den Händen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) konnten jüngst immerhin 21 irakische Jesiden, zumeist Kinder, zu ihren Familien in Iraks Kurdengebieten zurückzukehren. Nur wenigen war die Flucht aus dem Dorf Baghus gelungen, der letzten verbliebenen IS-Bastion.

Mehr als 6.000 Angehörige der religiösen Minderheit hatte der IS 2014 verschleppt - um aus den Frauen Sexsklavinnen und aus den Männern Kämpfer zu machen. 3.000 der verschleppten Frauen, Kinder und Männer werden bis heute vermisst. Die genaue Zahl der Jesiden, die aus Baghus entkommen konnten, ist unbekannt. Vermutlich ist es kaum ein Dutzend.

Eine von ihnen ist Suaad Daoud. Die 21-Jährige konnte im vergangenen Monat aus der syrischen Enklave und der IS-Familie fliehen, der sie zu dienen hatte. Nun ist sie zurück bei ihren Verwandten in einem jesidischen Lager in Kurdistan. Die erlebten Gräuel scheint sie relativ gut überstanden zu haben.

Sie weiß, dass viele Frauen und Kinder auch nach ihrer Flucht aus Baghus in IS-Familien leben und sich nicht melden. "Sie haben Angst", sagt Suaad. Als sie das Dorf verließ, widersetzte sie sich ihren Peinigern und gab den syrisch-kurdischen SDF-Truppen ihren jesidischen Namen preis. "Die IS-Kämpfer hatten uns gesagt, dass sie uns töten, wenn wir das tun", erzählt sie.

Dann berichtet sie von der Lebensmittelknappheit in Baghus nach der wochenlangen Belagerung durch die SDF-Koalition. Und noch immer seien jesidische Frauen mit IS-Kämpfern in der Stadt. "Um für sie zu kochen. Manche von ihnen wurden verheiratet", sagt sie und deutet damit – wie die meisten Rückkehrer – an, dass die Frauen auch für Sex festgehalten werden.

Nobelpreisträgerin Murad fordert Untersuchungen

Gestützt werden Suaads Erzählungen von Mirza Dinnayi, einer lautstarken Stimme der Jesiden in Europa. "Immer schon hat der IS Jesiden an die Front gebracht", meint der jesidische Aktivist, der sich derzeit in Europa aufhält. Er erwähnt Berichte, wonach über Freilassungen verhandelt werde, bevor es zur finalen Schlacht komme. "Aber wie soll man glauben, dass sie jemals Wort halten?"

Der jesidische Menschenrechtler Mirza Dinnayi; Foto: DW
Fordert die Zentralregierung in Bagdad auf, endlich Licht in das Dunkel des IS-Terrors zu bringen und eine Untersuchung nach den vermissten jesidischen Angehörigen einzuleiten: Der Menschenrechtler Mirza Dinnayi geht davon aus, dass mindestens tausend vermisste Jesiden getötet wurden. Zudem starben viele junge Männer, die in den Kampf geschickt wurden, an der Front. Hunderte Frauen und Kinder aber, vermutet Dinnayi, leben noch immer versteckt in arabischen Familien in sunnitischen Regionen des Iraks, Syriens oder in Vertriebenenlagern.

Drastisch bestätigt werden diese Zweifel von Berichten über die Enthauptung von 50 Jesidinnen und Videos, die Frauenleichen in den kürzlich befreiten Teilen von Baghus zeigen. Dinnayi zufolge gebe es glaubhafte Quellen mit IS-Verbindungen, wonach Führer der Terrormiliz die Hinrichtungen anordneten, um zu verhindern, dass befreite Frauen Informationen preisgeben könnten, aber auch, um die Botschaft zu senden: "Ihr tötet unsere Leute, also töten wir die, die ihr befreien wollt."

Dinnayi will das Europäische Parlament dazu bewegen, die getöteten Frauenleichen auf den Bildern identifizieren zu lassen. Zugleich drängt die Friedensnobelpreisträgerin und jesidische Aktivistin Nadia Murad die irakische Regierung, den Fall zu untersuchen.

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