Todesurteil ist keine interne Angelegenheit

Das Todesurteil gegen den Journalisten Ruhollah Zam im Iran wurde weltweit kritisiert. Der Iran will keine Einmischung in seine "inneren Angelegenheiten" akzeptieren. Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi widerspricht. Shabnam von Hein hat sich mit ihr unterhalten.

Von Shabnam von Hein

Ruhollah Zam ist während einer Reise in den Irak verschwunden. Kurz darauf tauchte er mit Handschellen gefesselt im Iran auf, wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Reporter ohne Grenzen beschuldigt den Iran, Ruhollah Zam vor den Augen der Weltöffentlichkeit entführt zu haben. Glauben Sie, dass die Islamische Republik ihn jetzt vor den Augen der Welt hinrichten wird?

Shirin Ebadi: Ruhollah Zam leitete von Frankreich aus einen Nachrichtenkanal auf der Messanger-App "Telegram". Darauf veröffentlichte Zam eine Reihe korrekter, aber auch eine Reihe falscher Informationen. Die entscheidende Frage ist nun, ob das Strafmaß für die Verbreitung falscher Informationen die Todesstrafe sein sollte. Sollte das der Fall sein, müsste dann nicht auch der Leiter des iranischen Rundfunks und Fernsehens hingerichtet werden? Unter seiner Leitung werden erheblich mehr Falschnachrichten verbreitet als sie Zam je veröffentlicht hat.

Das Todesurteil im Fall von Ruhollah Zam ist ein politisches Urteil und kein juristisches. Er hatte keinen fairen Prozess. Die Urteilsverkündung fiel zusammen mit der Sitzung des Weltsicherheitsrats, wo auf Antrag der USA die Verlängerung des Waffenembargos gegen den Iran auf der Tagesordnung stand. Ich glaube, die iranischen Behörden dachten, die Medien weltweit wären mit dieser Sitzung beschäftigt und würden dem Todesurteil gegen Zam keine Aufmerksamkeit schenken. 

Das war jedoch nicht der Fall: Nicht nur die Medien, auch die iranische Zivilgesellschaft hat auf dieses Urteil reagiert und es verurteilt. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen: Wenn die iranische Gesellschaft und die Weltgemeinschaft bei einem Thema wachsam sind, passen die Machthaber im Iran ihre Entscheidung an, um unangenehme Konsequenzen zu vermeiden.

Die Proteste gegen das Todesurteil für Ruhollah Zam innerhalb und außerhalb des Irans sind wirksam und können Zam retten.

Der iranische Journalist Ruhollah Zam wurde zum Tode verurteilt; Foto: picture-alliance/AP
Politisch willfähriges Urteil: Im vergangenen Februar hatte der Prozess gegen den iranischen Journalisten Ruhollah Zam begonnen, der auch wegen "Verbrechen gegen die innere und äußere Sicherheit" und "Spionage für den französischen Geheimdienst" angeklagt wurde. Die iranischen Revolutionsgarden hatten im Oktober die Festnahme Zams gemeldet, der in Frankreich als Flüchtling anerkannt war. Sam wurde beschuldigt, "vom französischen Geheimdienst geführt und von Amerika und dem israelischen Regime unterstützt zu werden".

Rohullah Zam hatte den Iran 2009 verlassen und später in Frankreich politisches Asyl erhalten. Die französische Regierung hat sein Todesurteil verurteilt. Frankreich ist auch besorgt über die Situation von Fariba Adelkhah, eine französisch-iranische Anthropologin, die im Iran verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums erklärte jedoch, Frankreich solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Irans einmischen. Kann Frankreich Ruhollah Zam und Fariba Dadkhah helfen?

Ebadi: Die Menschenrechte gelten universell. Die iranische Regierung sieht es als ihr Recht an, die Menschenrechtsverletzungen in Palästina oder Saudi-Arabien zu thematisieren. Aber sie empört sich, wenn andere Länder der Welt die Menschenrechtsverletzungen im Iran kritisieren.

Frankreich kann sich an den UN-Menschenrechtsrat wenden. Dieser Rat der Vereinten Nationen sollte in den Fällen von Zam oder Adelkhah genutzt werden.

Fariba Adelkhah wurde im Iran als Geisel genommen. Die Anthropologin von der Pariser Universität Sciences Po (Institut für politische Studien Paris, Anm. d. Red.) war für einen Besuch in den Iran gereist, als sie verhaftet wurde. Wegen angeblicher "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" wurde sie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

  Die im Iran inhaftierte französisch-iranische Forscherin Fariba Adelkhah; Foto: AFP/Sciences Po/T.Arrive
Fariba Adelkhah als Geisel des Regimes in Teheran: Die im Iran im vergangenen Mai inhaftierte französisch-iranische Forscherin Fariba Adelkhah wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Gericht in Teheran hatte sie wegen "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" verurteilt. Die Anthropologin von der Pariser Universität Sciences Po wurde demnach außerdem zu einer einjährigen Haftstrafe wegen "Propaganda gegen die Islamische Republik" verurteilt.

Die Wahrheit ist aber, dass der Iran seine Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft als Geiseln nimmt, um politische Ziele in dem Land der anderen Staatsbürgerschaft zu verfolgen. Ich hoffe sehr, dass Frau Adelkhah und alle anderen im Iran inhaftierten Geiseln möglichst bald frei kommen.

Ich fordere aber gleichzeitig alle Länder der Welt auf, den politischen Forderungen der iranischen Regierung in solchen Fällen nicht nachzukommen. Der Iran muss aufhören, seine Bürger als Geiseln zu nehmen.

Die Justiz im Iran betont immer wieder ihre Unabhängigkeit. Nun gibt es einen neuen Justizchef, der sich für mehr Gerechtigkeit einsetzten möchte. Wie beurteilen Sie die neuen Entwicklungen der iranischen Justiz?

Ebadi: Der Leiter der Justiz wird vom religiösen und politischen Führer des Irans gewählt und ist allein ihm gegenüber rechenschaftspflichtig. Die Justiz kann sich nur dann ändern, wenn sich die Machtstrukturen im Iran ändern.

Das Interview führte Shabnam von Hein.

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Shirin Ebadi ist iranische Juristin und Menschenrechtsaktivistin. 2003 wurde sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.