
Interview mit dem Islamwissenschaftler Benno Köpfer„In Deutschland darf man Salafist sein“
Herr Köpfer, muslimische Extremisten haben in Syrien und dem Irak ein Kalifat ausgerufen. Wie kommt das bei Salafisten in Deutschland an?
Benno Köpfer: Es gibt sehr kritische und ablehnende Stimmen unter den Salafisten, aber auch Sympathisanten aus der militant-dschihadistischen Ecke. Im Irak werden Pläne umgesetzt, die seit gut zehn Jahren in dschihadistischen Kreisen kursieren. Diejenigen in Deutschland, die militant auftreten und den Dschihad propagieren, können jetzt auf Facebook darauf hinweisen, dass sie nicht nur Maulhelden sind, sondern tatsächlich einen islamischen Staat gründen.
Der deutsche Verfassungsschutz weiß von 320 Salafisten, die nach Syrien gereist sind. Nun hat ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi Muslime in aller Welt persönlich aufgerufen, seine Kämpfer zu unterstützen. Rechnen Sie mit einem Anstieg der Dschihad-Touristen?
Köpfer: Tendenziell ja. Ein paar mehr Männer und Frauen werden sich das Ganze nun persönlich anschauen wollen. Dass Kalif Ibrahim (al-Baghdadi, d. Red.) Muslime im Ausland persönlich aufruft, macht das Thema für uns noch relevanter. ISIS kommuniziert aber schon von Anfang an auf Deutsch und anderen europäischen Sprachen. In schönen Hochglanzprospekten wird ein Krieg gezeigt, in dem es nicht nur um Kreuzigungen und Kopfabhacken geht, sondern auch um Dinge wie Verbraucherschutz und Impfkampagnen. Und in den irakischen Städten, in denen ISIS-Kämpfer die Kontrolle haben, scheinen sie noch relativ gemäßigt aufzutreten. Das mindert die Hemmung auszureisen.
Ist es für einen europäischen Dschihadisten ein Unterschied, ob er einen Terroranschlag verübt oder nach Syrien zieht?

Köpfer: Anschläge, wie sie 2004 in Madrid geschehen sind, sind etwas Anderes. Der Idealismus vieler junger Menschen momentan ist durchaus nachvollziehbar. In Syrien sehen sie zivile muslimische Opfer und ein furchtbares Regime und sagen sich: „Das muss ich stürzen!“ Ob die offiziell 320 Ausgereisten allerdings alle gekämpft haben, weiß man nicht. Der Islamische Staat besteht teils aus Militärs des ehemaligen Regimes im Irak. Die agieren viel professioneller als irgendwelche Jugendlichen aus Europa. In Syrien und dem Irak wird Geschichte geschrieben und sie wollen dabei sein.
Dass sie aber etwas anderes als Kanonenfutter sind, kann ich mir beim Großteil der Ausreisenden schwer vorstellen. Man bestaunt die Kämpfer eher. Wenn man sich zum Beispiel (den deutschen Ex-Rapper, d. Red.) Denis Cuspert anschaut, lässt sich eher eine Art Fankult beobachten. Wenn er in Raqqa unterwegs ist, sind sie bemüht, mit ihm Selfies zu machen.
Ideologen der ursprünglichen Al-Qaida um Bin Ladin hatten den Fokus militanter Dschihadisten vom „nahen Feind“, den eigenen Regimen, auf den „fernen Feind“, den Westen, gelenkt. Kehrt sich das nun wieder um?
Köpfer: In Syrien geht es momentan primär um den nahen Feind. Aber die Agenda des Islamischen Staats reicht über Syrien und den Irak hinaus. Es sind Landkarten im Umlauf, auf denen sich das Kalifat bis nach „Al-Andalus“, auf die Iberische Halbinsel, erstreckt. Sie umfassen den Balkan, Griechenland, die Türkei und den Kaukasus. Insofern ist der ferne Feind nicht ganz aus dem Blick geraten.
Dass muss doch toll klingen für jeden Salafisten. Eingangs sprachen Sie aber von kritischen Stimmen.
Köpfer: Die Salafisten sind kein monolithischer Block. Viele Gelehrte in Saudi-Arabien schreien nicht: „Hurra, der Kalif ist wieder da!“. Deren Schüler haben auch in Europa Einfluss. Sie werden als quietistisch oder puristisch bezeichnet, da sie nicht politisch aktiv sind.
Sogenannte Mainstream-Salafisten dagegen erachten politische Aktivitäten als legitim. Hier gibt es einen Übergang zu militanteren Formen, zur Verbindung von revolutionärem und salafistischem Gedankengut. Und schließlich gibt es die tatsächlich terroristischen, gewaltbereiten Dschihadisten.
Aber auch die sogenannten „Takfiris“ werden den Islamischen Staat in seiner jetzigen Form ablehnen, weil die religiöse Legitimation fehlt. Wer ist dieser al-Baghdadi? Was macht ihn zum Kalifen? Aus islamisch-theologischer Sicht stellen sich sehr viele Fragen. Und auch die Strafen – Kopf ab und so weiter – oder die schiitenfeindlichen Übergriffe stoßen auch in salafistischen Kreisen teilweise auf Ablehnung.
Ihre Behörde geht von 5.500 Salafisten in Deutschland aus, von denen aber nur ein Bruchteil gewaltbereit sein soll. Ab wann ist Salafismus illegal?

Köpfer: Illegal ist Salafismus eigentlich nie. In Deutschland darf man Salafist sein, bis es verfassungsfeindlich wird. Das war bei den Vereinen „Millatu Ibrahim“ und „DawaFFM“ der Fall, die verboten wurden. Militanter, kämpferischer Aktivismus wird verfolgt. Sich aber auf einen Marktplatz zu stellen und zu werben, ist nicht illegal. In diesem Sinne haben auch Gerichte entschieden, als man Veranstaltungen rund um (den Salafistenprediger, d. Red.) Pierre Vogel verbieten wollte. Insgesamt muss man da etwas gelassener herangehen.
Auch nach Syrien zu reisen ist nicht illegal, oder?
Köpfer: Da muss man genau hinschauen. Was hat derjenige dort gemacht? War er vielleicht nur in einem Flüchtlingslager, um islamisch-soziale Wohltätigkeitsarbeit zu leisten? Oder hat er eine Ausbildung genossen, kann Sprengsätze herstellen und hat die Tötungshemmung abgelegt? Es gibt nach deutschem Recht mehrere Straftatbestände, die in solchen Fällen erfüllt sein können. Aber nicht jeder Syrienheimkehrer stellt eine Gefahr da.
Denis Cuspert rief nach dem Verbot von Millatu Ibrahim dazu auf auszuwandern. Ermuntert staatliche Repression zur Ausreise?
Köpfer: Eine wehrhafte Demokratie muss rote Karten verteilen, ganz ohne Repression geht es nicht. Aus der Forschung weiß man, dass jugendliche Ersttäter ins Grübeln kommen, wenn sie die Konsequenz ihres Handelns sehen. Auf der anderen Seite muss aber ein akzeptierender, respektvoller Umgang stehen. Das Verhältnis von Repression und Prävention tarieren wir täglich neu aus. In dieser Doppelrolle sind der Staat und die Sicherheitsbehörden teilweise überfordert.
Nach dem 11. September war viel von Schläfern die Rede. Sorgen Syrienheimkehrer jetzt für eine ähnliche Panik wie damals die Schläfer?
Köpfer: Das Bild des Schläfers hat noch nie gepasst. Wir haben diesen Begriff von Anfang an vermieden. Vieles während eines Radikalisierungsprozesses ist ja wie gesagt völlig legal. Die Syrienheimkehrer sind aber nicht nur eine gefühlte, sondern eine tatsächliche Bedrohung. Wenn jemand entsprechendes Know-How erworben und die Tötungshemmung abgelegt hat, stellt er eine Gefahr dar.
Warum ist in Deutschland noch nichts passiert?

Köpfer: Teilweise hatten wir einfach Glück. Bei dem missglückten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof 2012 hat sehr wenig gefehlt. Hinzu kommt aber auch, dass wir nicht solche Probleme haben wie die Franzosen in ihren Vororten, wo es richtig heftige Problemviertel mit entsprechender Jugendkriminalität und Arbeitslosigkeit gibt. Wenn man hier mit Leuten aus der Szene redet, stellt man fest, dass sie teilweise gern in Deutschland leben. Da sind die Hemmungen dann größer.
Reden Sie nur mit den Leuten oder haben Sie auch V-Männer in der Szene? Wie recherchieren Sie eigentlich?
Köpfer: Nachrichtendienstliche Methoden wie der Einsatz von V-Männern machen den geringsten Teil unserer Arbeit aus. Viel wichtiger sind direkte Gespräche. Auch als Verfassungsschützer kann ich einfach zu den Leuten gehen und sagen: „Guten Tag, Köpfer, folgendes interessiert mich mal...“.
Wir trinken auch einmal einen Tee zusammen. Die erzählen mir natürlich nicht alles, wollen aber zeigen, dass es nicht notwendig ist, sie zu beobachten. Manchmal weisen sie auch auf andere hin. Die merken dann, dass ich im Jemen und Syrien war und sie durchaus mit mir reden können. Man darf sich das alles nicht so verkrampft vorstellen.
Interview: Jannis Hagmann
© Qantara.de 2014
Dr. Benno Köpfer, 49, ist Islamwissenschaftler und Referatsleiter der Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
Leserkommentare zum Artikel: „In Deutschland darf man Salafist sein“
In diesem Beitrag tun sich mir viele Fragezeichen auf. Es kommt mir vor allem aber mehr als merkwuerdig vor, dass ein Islamwissenschaftler diesen Moerder und Anstifter zum Mord und meistgesuchtesten Terroristen dieser Welt, Ibrahim Abu Bakr Al Baghdadi, als " Kalif Ibrahim " bezeichnet...
Ingrid Wecker17.07.2014 | 12:59 Uhr@Ingrid Wecker; das Interview ist sehr fundiert und differenziert und daher können sie mit ihm wenig anfangen. Das war zu erwarten. Gut, dass es Menschen wie Benno Köpfer gibt.
Katrin Janssen17.07.2014 | 13:08 Uhr@katrin Janssen
Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Gut ist auch, dass Benno Köpfer MIT den Muslimen redet und nicht irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen Befürchtungen verbreitet.
@Ingrid Wecker
Djibrila17.07.2014 | 19:12 UhrKönnen sie Ihre Behauptung, der Kalif wäre ein "Mörder", "Anstifter zum Mord" oder "Terrorist" beweisen?
Wenn ja, bitte ich um handfeste Beweise. Andernfalls sollten Sie sich davor hüten Verleumdug oder Rufmord zu betreiben.
Geben sie doch bitte mal bei YouTube als Suchbegriff "Souhman Azil" und sehen sich das 2. Video von oben an. t (21 Minuten und 4 Sekunden Dauer). Es ist vollkommen auf arabisch, ohne übersetzte Untertitel, so daß Sie es sich von einer vertrauenswürdigen Person übersetzen lassen können.
Aber auch ohne die Predigt zu verstehen, gibt es Ihnen vielleicht einen kleinen Einblick ob es sich um einen Gewalttäter, oder eher einen nach Gerechtigkeit strebenden Muslim handelt.
Ich denke es ist letzteres.
Liebe Djibrila! Ja klar, Abu Bakr ist der nette Onkel von nebenan und ein Gerechtigkeitskaempfer... Mir wird langsam aber sicher schlecht. Glauben Sie mir, ich kann lesen,hoeren und sehen und ich habe die letzten elf Jahre fast ausschliesslich MIT Muslimen geredet und zwar auf Arabisch in einem arabischen Land. Und wissen Sie was? 99 Prozent der Muslime die ich kenne, und das sind wahrlich nicht wenige, haben Gott sei Dank mit Ihren "Gerechtigkeitskaempfern" a la Abu Bakr nichts im Sinn sondern sehen ganz realistisch was da abgeht bei ISIS. Ihr Kommentar ist eine Verhoehnung der unzaehligen Opfer dieser Barbaren, die vor keiner Grausamkeit zurueckschrecken - und Abu Bakr ist ihr Boss!!! Gerade heute wurde aktuell berichtet ueber die Steinigung einer syrischen Frau durch diese Unmenschen. Da passen Sie mal schoen auf, dass Sie immer "brav" sind ... Bitte bringen Sie keine Religion dieser Welt mit diesen Terroristen in Verbindung, das hat der Islam wirklich nicht verdient! Hier geht es nur um Macht und viiiieeeel Geld und sonst gar nichts. Nach Gerechtigkeit strebender Muslim... ich fasse es langsam nicht mehr. Fuer diese "Gerechtigkeit" muss man Leute koepfen oder kreuzigen, Frauen steinigen und Menschen die Haende abhacken weil sie geraucht haben oder so????????? Sagen Sie mal, liebe Frau Djibrila, fuer wie bloed halten Sie eigentlich Ihre Umwelt?
Ingrid Wecker18.07.2014 | 15:06 UhrIch schließe mich Frau Wecker an. Nach der Lektüre dieses Interviews fehlen mir die Worte.
Ibrahim 23.07.2014 | 04:12 Uhr@Ingrid Wecker: Gehen Sie doch bitte die Artikel der "Bild"-Zeitung kommentieren. Sie gehen uns mit Ihrem Hass auf alles Arabische und Muslimische auf die Nerven !
Habibes25.07.2014 | 09:47 UhrIS(IS) kommt mir vor wie ein schwarzes Loch. Vielleicht hat auch ihr schwarzgekleideter Kalif diese Vorbedeutung. Es gehen vom wahren Islam träumende, überwiegend junge, Muslime hinein und werden zu Mördern, und es kommt kein Lichtstrahl der Religion der Barmherzigkeit und des Vorbilds der gottgesandten Barmherzigkeit, des Propheten Muhammad – Allah segne ihn und seine Familie und schenke ihnen Wohlergehen – heraus. An der Antrittspredigt des „Kalifen“ Ibrâhîm (Abû Bakr al-Baghdâdî) selbst ist eigentlich nichts auszusetzen, auch wenn sie ziemlich kurz und inhaltslos war, aber es kommt darauf an, was er und die anderen Führer von IS(IS) ihren Gefolgsleuten befehlen, und wie diese handeln.
Es ist zwar richtig, daß man Muslime davon abhalten soll, ihre Läden und anderen Geschäfte während der Gebetszeiten zu öffnen, aber dazu braucht man sie nicht öffentlich auszupeitschen, sondern es genügt, sie mit einer Geldbuße zu belegen, wie auch in Ländern wie Deutschland Ladenschlußgesetze gelten, deren Verstoß mit einer Geldbuße geahndet wird.
Die Genfer Konventionen stehen nicht im Widerspruch zu den Regeln und dem Geist der islamischen Religion, und das Vorbild des Gesandten Allahs – Allah segne ihn und seine Familie und schenke ihnen Wohlergehen – zeigt, wie Gefangene menschenwürdig behandelt, und daß sie im Normalfall nicht getötet werden sollen. Über tausend Jahre lang waren sich die Sunniten mehrheitlich darüber einige, daß Schi´iten zwar Häretiker, aber dennoch Muslime sind und nicht allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe als außerhalb des Islams stehende Ungläubige behandelt und getötet werden dürfen. Die Leute von IS(IS) jedoch (wie auch die meisten Salafisten) ignorieren einfach 1400 Jahre religiöser und kultureller Entwicklung im Islam und halten ihre eigene Meinung, bzw. diejenige ihres jeweiligen geistlichen Führers für die einzig richtige.
Im Islam ist es untersagt, die Leichen von getöteten Feinden zu verstümmeln. Angriffe auf Zivilisten sind im Islam streng verboten. Ob die Leute von IS(IS) von solchen Regeln schon einmal etwas gehört oder gelesen haben?
Wem gehört das Geld in Banken? Das sind großenteils die Guthaben auf den Konten der Kunden, und selbst wenn es sich um im Islam verbotene Zinsbanken handelt, steht ihnen ihr eingezahltes Grundguthaben ohne die Zinsen und Zinseszinsen zu. Das Geld aus den Banken zu nehmen, ohne den Kunden ihre Einlagen zurückzugeben, ist nichts anderes als Bankraub. Das ist es es, was die Leute von IS(IS) gemacht haben. Andernfalls hätten die Einwohner von Mossul, Telafar und anderen Städten feindliche Nichtmuslime sein müssen, die man im Kampf besiegt hat und deren Vermögen man als Kriegsbeute nehmen kann.
Vielleicht werden wir noch erleben, daß sie die Schreckensregime von Stalin oder Polpot übertreffen – doch hoffentlich geschieht das nicht.
Frank Walter28.07.2014 | 00:19 Uhr