Vom Ölgiganten zum ökologischen Vorreiter?

Saudi-Arabien will seinen Energiesektor und seine Wirtschaft diversifizieren und sich von fossilen Brennstoffen unabhängiger machen. Gleichzeitig setzt das führende OPEC-Land alles daran, seine Stellung als maßgeblichem Exporteur von Treibstoffen zu verteidigen, indem es billige Solar- und Windenergie für die Herstellung von grünem Wasserstoff nutzt. Von Stasa Salacanin

Von Stasa Salacanin

Grüner Wasserstoff ist ein Energieträger, der sich vollständig emissionsfrei herstellen lässt. Das ist sein wesentlicher Vorteil. Andererseits ist Wasserstoff hochexplosiv und wegen der Herstellungskosten ist er heute immer noch teurer als herkömmliche Energieträger aus Kohlenwasserstoffen.

Dennoch geht das Strategieberatungsunternehmen Strategy& davon aus, dass die Nachfrage nach grünem Wasserstoff künftig schnell wachsen wird. Bis zum Jahr 2050 soll der Bedarf bereits 530 Millionen Tonnen betragen, was in etwa 10,4 Milliarden Barrel Öl entspricht.

Grüner Wasserstoff lässt sich per Elektrolyseverfahren mit erneuerbaren Energien herstellen. Dabei werden die Wassermoleküle in ihre Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Die Produktion großer Mengen an grünem Wasserstoff wird einerseits durch technologische Fortschritte und andererseits durch sinkende Preise für erneuerbare Energie möglich.

Grüner Wasserstoff, der unter Einsatz erneuerbarer Energien in grünes Ammoniak als effektivem Wasserstoffspeicher umgewandelt wird, könnte zudem das Transportproblem lösen. In dieser Form wäre Wasserstoff auch ein Wegbereiter für die Dekarbonisierung von Industriesektoren, die bisher kaum ohne Kohlenwasserstoffe auskommen und die hohe Temperaturen und Wärme bei der Produktion erfordern.  

Eine Großanlage für grünen Wasserstoff ist wesentlicher Bestandteil des saudi-arabischen "Smart City"-Projekts NEOM – der Vision eines ultramodernen urbanen High-Tech-Lebensraums, innovativen Wirtschaftszentrums und globalen Zentrums für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff.

Übersichtskarte des Gebiets, in dem die geplante Stadt NEOM gebaut werden soll. Foto: discoverneom.com
Neom is a planned city in north-western Saudi Arabia. It is intended that NEOM – which will cover an area the size of Belgium (see map above) – will be an ultra high-tech smart city, ace, innovative business hub and global centre for renewable energy and green hydrogen. The project's official website claims that the city will be an "accelerator of human progress"

Bahnbrechendes Projekt mit enormen Kosten

An dem Fünf-Milliarden-Dollar-Projekt sind drei Parteien zu gleichen Teilen beteiligt: der Industriegasehersteller Air Products & Chemicals, der saudi-arabische Kraftwerksentwickler ACWA Power und NEOM. Joanne Hills, Leiterin der Kommunikationsabteilung für den Nahen Osten und Indien bei der in Pennsylvania, USA, ansässigen Air Products & Chemicals, erklärte gegenüber Qantara.de, das Projekt sei "eine bahnbrechende und beispiellose Investition von gewaltigem Ausmaß".  

Laut Frank Wouters, einem der Direktoren beim EU-GCC Clean Energy Technology Network, ist das saudische NEOM ein einzigartiges Projekt, das Solar- und Windenergie sehr günstig miteinander verbinde und somit die Herstellung von hochwettbewerbsfähigem grünen Wasserstoff und grünem Ammoniak ermögliche. Der Standort lasse zudem den Export nach Europa und Ostasien zu. 

Vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Dekarbonisierungsziele des Pariser Abkommens meint Axel Michaelowa, Senior-Gründungspartner des Beratungsunternehmens Perspectives und Forscher an der Universität Zürich, Saudi-Arabien müsse sich vom Ölexporteur zum Exporteur erneuerbarer Energien wandeln. Michaelowa glaubt, die Ereignisse der letzten Monate – vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl bis hin zur Ankündigung Chinas, bis 2060 klimaneutral werden zu wollen – zeigten, dass der internationale Klimaschutz in den nächsten Jahren ausgebaut werde und dass Saudi-Arabien daher die Chance auf eine Vorreiterrolle habe. "Falls das Land zögert, könnte es seinen Wettbewerbsvorteil auf Dauer verlieren", fügte Michaelowa hinzu.

Das Projekt soll mit einer Leistung von vier Gigawatt aus Wind- und Solarenergie betrieben werden und gilt damit als das größte dieser Art weltweit und als anspruchsvolle Herausforderung, nicht nur technologisch, sondern auch bei der Finanzierung: Nach Schätzungen werden mindestens neun Milliarden US-Dollar benötigt. Sprecher von Air Products erklärten gegenüber Qantara.de, das Projekt werde zusätzliche Investitionen seitens Air Products in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar für den nachgelagerten Vertrieb erfordern. Die Gesamtinvestitionen von Air Products dürften sich demnach auf 3,7 Mrd. US-Dollar belaufen. Gleichwohl rechnet Air Products damit, die angepeilte Mindestrendite zu übertreffen. 

Wenn man die Bedenken wegen mangelnder Transparenz beim saudischen Kraftwerksentwickler ACWA Power mitberücksichtigt, stellt sich die Frage, ob das Projekt angesichts der technischen und finanziellen Herausforderungen überhaupt realistisch ist. Ohne umfangreiche Offenlegung und Veröffentlichung testierter Bilanzen könnten ACWA Power sowie der saudische Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) daran scheitern, auf den weltweiten Finanzmärkten die nötigen Summen für dieses Megaprojekt einzuwerben. 

Ölraffinerie in Saudi-Arabien. Foto: picture-alliance/dpa
Oil has been the mainstay of the Saudi economy for decades and refineries such as the one pictured here are inextricably linked with the kingdom's wealth. However, such a heavy reliance on one sector makes the country vulnerable. In April 2016, Saudi Crown Prince Mohammed bin Salman launched Vision 2030, a far-reaching reform plan that aims to diversify the economy away from oil and reduce its dependence on the fossil fuel. Despite its attempts to diversify its energy sector, the OPEC leader is keen to remain a leading fuel exporter giant by leveraging cheap solar and wind power to produce green hydrogen

Ein "Leuchtturmprojekt" als Initialzündung für den globalen Wasserstoffmarkt

Air Products ist offenbar vom Projekt überzeugt. Ein Sprecher des Unternehmens erklärte, das NEOM-Projekt beruhe auf bewährter, hochkarätiger Technologie. Die innovative Integration von mehr als vier Gigawatt an erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind und deren Speicherung solle 2025 in Betrieb gehen. Zudem verfüge Air Products über beträchtliche Finanzmittel und werde auch künftig weltweit in hochwertige Projekte wie NEOM investieren.

Laut Dolf Gielen, Direktor des Innovations- und Technologiezentrums der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) in Bonn, ist das Projekt durchaus kapitalintensiv. Der größte Teil des Kapitalaufwands entfalle jedoch auf die Komponente zur Energieerzeugung. Das Projekt sei realistisch, da alle Beteiligten über große Erfahrung auf ihren Gebieten verfügten. Außerdem werde die Anlage Ammoniak erzeugen, das als Düngemittel oder als Schiffstreibstoff verkauft werden oder zu Wasserstoff zerlegt für Mobilität vor Ort verwendet werden könne, fügte er hinzu.

Frank Wouters geht davon aus, dass ein wesentlicher Teil des Eigenkapitals außerhalb des Königreichs Saudi-Arabien eingeworben wird. "Der Löwenanteil wird jedoch von Investoren stammen, die bereits in der Vergangenheit saudische Projekte finanziert haben und dies auch in Zukunft tun werden", so Wouters. Die Megastadt NEOM sei ein wichtiger Baustein der Vision 2030 des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Daher könne man davon ausgehen, dass er alles daran setzen werde, auch inländische Kreditgeber zu "überzeugen". Der Kronprinz könnte als Vorsitzender des saudischen Staatsfonds PIF auch "einfach auf die ausländischen Geldreserven der saudischen Währungsbehörde zurückgreifen".

Saudi-Arabien habe gute Chancen, ein maßgeblicher Akteur auf dem Markt für grünen Wasserstoff und die Versorgung mit grünen Rohstoffen zu werden. Sollte das Projekt NEOM in der geplanten Größenordnung umgesetzt werden, so geht Axel Michaelowa davon aus, dass es zu einem "Leuchtturmprojekt" wird, das den Aufschwung des globalen Wasserstoffmarktes beschleunigt. Saudi-Arabien solle das Projekt in die Marktmechanismen des Pariser Abkommens einbringen, um Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionsgutschriften erzielen zu können. Das werde auch das Bild von Saudi-Arabien verändern, das derzeit noch als Bremser in der internationalen Klimapolitik gelte. Das Land werde damit zu einem Vorreiter bei der Erzeugung von grünem Strom.

Stasa Salacanin

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Aus dem Englischen von Peter Lammers