Über Grenzen hinweg

Mit seiner Arbeit setzt sich der Bonner Free Pen Verlag für den Dialog zwischen den Kulturen und Religionen ein und fördert die migrantische Literatur in Deutschland. Im Gespräch mit Julie Schwannecke berichten Autoren des Verlags über die Faszination des Schreibens und die Rolle der Literatur für den Kulturdialog.

Von Julie Schwannecke

Kann denn ein Deutscher ein Gedicht verstehen, das jemand in Syrien verfasst hat ohne die Kultur des Dichters zu kennen? "Selbstverständlich", meint der kurdische Schriftsteller Hussein Habasch, der schon seit mehreren Jahren in Bonn mit dem Free Pen Verlag zusammenarbeitet. "Die Gedichte sind doch für alle geschrieben: es geht darin ja meistens um menschliche Bedürfnisse, Erfahrungen und Gefühle wie Angst, Liebe und Hoffnung, die ja jeder kennt, egal woher man kommt!"

Dass Literatur sich an alle Menschen richtet und für jeden zugänglich sein sollte, finden auch die Verleger des Bonner Free Pen Verlags. Der Verlag wurde 2001 von Hıdır Çelik und Udo Steinmetz ins Leben gerufen mit dem Ziel, Migrationsliteratur zu fördern und dabei Autoren eine Plattform zum Thema Migration anzubieten.

Wie der Name "Free Pen" oder "Freie Feder" bereits ankündigt, setzt sich der Verlag auch für die Presse- und Meinungsfreiheit ein: politisch verfolgte Schriftsteller sollen die Chance erhalten, ihre Werke in Deutschland zu veröffentlichen, wenn ihnen dies aufgrund der politischen Lage in ihren eigenen Ländern nicht möglich ist.

Eigene und fremde Kulturen im Fokus

Mittlerweile hat sich das Verlagsprofil erweitert: Internationale Autoren verschiedener Nationalitäten und Kulturkreise, aber auch einheimische Autoren und Künstler aus Bonn publizieren dort ihre Werke in den Bereichen der Belletristik, Wissenschaft, der mehrsprachigen Literatur oder Kunst. Viele Autoren haben eins gemeinsam: Sie befassen sich in ihren Werken mit der eigenen und fremden Kultur, dem interkulturellen Zusammenleben sowie mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen.

Bücher des Free Pen Verlag in Bonn; Foto: Jürgen Eis
Literatur richtet sich an alle Menschen und sollte für jeden zugänglich sein, finden die Verleger des Bonner Free Pen Verlags. Der Verlag wurde 2001 von Hıdır Çelik und Udo Steinmetz ins Leben gerufen mit dem Ziel, Migrationsliteratur zu fördern und dabei Autoren eine Plattform zum Thema Migration anzubieten.

Der Verlag möchte damit die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Geschehnissen im In- und Ausland und den interkulturellen und interreligiösen Dialog im Bereich der Literatur anstoßen.

Die Literatur sei vor allem ein Spiegel unserer Gesellschaft, mit deren Hilfe gesellschaftliche oder soziale Probleme zum Ausdruck gebracht und bearbeitet werden könnten, meint Verlagsleiter Çelik. Deshalb wolle der Verlag gerade auch jüngere Autoren und Künstler einbeziehen, da sie die Zukunft unserer heutigen Gesellschaft darstellten und maßgeblich zu ihrer Entwicklung beitragen könnten, so Çelik.

Erst vor kurzem wurden Arbeiten des jungen Comic-Zeichners Alpan Yalciner im Rahmen einer Ausstellung präsentiert worden, der in seinen Bildern zu den Themen Migration, soziale Armut und Umweltverschmutzung Position bezieht.

Die Lebendigkeit von Sprache und Kultur erhalten

Seit 1984 lebt der kurdischstämmige Autor Hussein Habasch aus Syrien in Bonn, wo er Gedichte auf Kurdisch und Arabisch schreibt und aus sieben Sprachen ins Kurdische übersetzt. Sein letzter Gedichtband "Schreiben auf dem Gesicht der Zeit/Nivîs liser rûyê demê" ist 2013 beim Free Pen Verlag auf Deutsch und Kurdisch erschienen.

Sein erstes Gedicht schrieb Habasch im Alter von 14 Jahren. 40 Jahre später kann er sich noch gut daran erinnern, wie er damals in seiner Schule im syrischen Afrin vor der Klasse stand und sein ironisches Gedicht über einen Lehrer auf Kurdisch und Arabisch vortrug. Das Gedicht kam bei den Mitschülern gut an und sie ermutigten ihn weiterzumachen. Von da an präsentierte er ihnen regelmäßig seine neuesten Gedichte.

Zunächst schrieb Habasch auf Arabisch und Kurdisch, obwohl Kurdisch in Syrien verboten war. Weder durfte man auf Kurdisch schreiben, noch gab es Kurdisch-Unterricht oder kurdische Bücher. Kurdisch sprach man damals nur in der Familie oder unter Freunden. Doch irgendwann entschied er: "Ich bin doch Kurde, also muss ich auch auf Kurdisch schreiben können." Schließlich sollten seine Familie und Bekannte verstehen, was er schrieb. Vielleicht schreibt er gerade deshalb heute noch am liebsten in seiner Muttersprache.

Buchcover Emine Balfi "Maulbeerstock und Minirock"; Foto: Free Pen Verlag
Das Schreiben erfordert auch Mut – verdeutlicht die Autorin Emine Balfi mit ihrer Autobiographie “Maulbeerstock und Minirock. Memoiren einer untypischen Gastarbeiterin“, die im November letzten Jahres im Free Pen Verlag erschienen ist.

Seit etwa drei Jahren übersetzt der Autor avestische und parthische Lyrik ins Kurdische und Deutsche. Es handelt sich dabei um bereits ausgestorbene Sprachen, die mit den heutigen kurdischen Sprachen verwandt sind. Es fasziniere ihn, mit schönen und lyrischen Sprachen wie diesen zu arbeiten und dazu beitragen zu können, dass Sprache und Kultur lebendig bleiben.

Welche Bedeutung habe die Literatur heutzutage für die Menschen und für den Kulturdialog? Ein Leben ohne Bücher ist für Habasch nicht vorstellbar. Was wäre die Menschheit ohne die literarischen Werke wie von Cervantes oder Dante? Ihr Werk habe die Menschen über Generationen begleitet und inspiriert, denn sie hätten es geschafft, die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und zu zeigen.

Die Zugehörigkeit zur Menschheit ist das höchste Ziel der Literatur und Kunst, die über alle nationalen Grenzen hinausgeht, meint Habasch. Und es sei die Aufgabe des Schriftstellers, die Zeit in der er oder sie lebt, zu spüren und seine Mitmenschen an dem Erlebten teilhaben zu lassen.

Schreiben erfordert Zivilcourage

Nicht immer fällt einem das Schreiben leicht, insbesondere wenn man von sehr komplexen oder persönlichen Dingen berichtet. Das Schreiben erfordert auch Mut – verdeutlicht die Autorin Emine Balfi mit ihrer Autobiographie "Maulbeerstock und Minirock. Memoiren einer untypischen Gastarbeiterin", die im November letzten Jahres im Free Pen Verlag erschienen ist.

Die Autorin ist in Adana, im Süden der Türkei, aufgewachsen und kam 1966 als eine der ersten Gastarbeiterinnen nach Deutschland. Heute lebt sie in Remagen, wo sie sich als Mitglied des Beirates für Migration nun selbst der Integrationsarbeit widmet. Schon seit Langem sei es ihr Wunsch gewesen, ein eigenes Buch mit den Erlebnissen aus ihrer Jugendzeit in der Türkei und der Zeit nach ihrer Einreise in Deutschland zu verfassen. Doch aus Angst, ihre Mutter oder ihren Ex-Ehemann zu verletzen, dauerte es noch eine ganze Weile bis sie den Schritt dennoch wagt.

In ihrer Autobiographie enthüllt sie schließlich die Geschichte einer jungen Türkin, die es trotz aller Demütigungen durch ihre eigene Familie und ihres Ehemanns schafft, sich ihren eigenen Weg zu bahnen und in Deutschland eine Existenz aufzubauen.

Sie berichtet vom Lebensalltag der Gastarbeiter in Deutschland, einem Leben zwischen Deutschland und der Türkei, den Herausforderungen, sich in einem fremden Land zurechtzufinden sowie von den Problemen mit den eigenen Landsleuten. Es ist die Geschichte einer verlorenen Kindheit und gleichzeitig, die eines Kampfes um die eigene Würde und Emanzipation. Das Buch reflektiert auf eindrucksvolle Weise die Entwicklung einer Person und einer ganzen Generation.

Die Botschaft, die Emine Balfi ihren Lesern mitteilen will, ist unmissverständlich: "Ich möchte besonders junge Menschen dazu ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden und sich kein Leben aufzwingen zu lassen, das ihnen nicht entspricht – mit allem gebührenden Respekt den anderen Menschen und deren Entscheidungen gegenüber."

Julie Schwannecke

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