Film "Born in Evin" auf der Berlinale
Aufarbeitung eines Traumas

Als Ayatollah Khomeini 1979 im Iran an die Macht kommt, verfolgt er seine Gegner mit Härte. Maryam Zaree wird in einem Gefängnis für politische Häftlinge geboren. Mit ihrem Film "Born in Evin" bricht sie das Schweigen. Von Laura Döing

Eines Tages rutscht es ihrer Tante einfach heraus: Maryam Zaree hat nicht in einem normalen Krankenhaus das Licht der Welt erblickt; sie wurde 1983 in Gefangenschaft geboren. Die Tante sagt, sie sei damals entsetzt gewesen, als sie merkte, dass das Mädchen dies nicht wusste.

Sie dachte, die Eltern hätten der Zwölfjährigen längst erklärt, dass sie in Evin, einem der berüchtigtsten Gefängnisse für politische Gefangene im Iran, zur Welt kam. Aber dies war nicht der Fall. Und auch nach diesem Zeitpunkt kommt es nicht zu klärenden Gesprächen oder zu einer gemeinsamen Aufarbeitung der Familiengeschichte.

Die Geschichte beginnt, als sich Zarees Eltern im Iran kennenlernen. Sie hören John Lennon, lesen Karl Marx und sind gegen den Schah und die Monarchie, in der sie aufgewachsen sind.

Doch mit der Islamischen Revolution 1979 wird ein Diktator durch den nächsten ersetzt, und sie werden zu Feinden des neuen Mullah-Regimes erklärt. 1983 werden die beiden verhaftet - und ebenfalls Maryam Zaree als Fötus im Bauch ihrer Mutter.

Als Baby hinter Gittern

Hier tut sich das große schwarze Loch auf, das die junge Frau in ihrem Dokumentarfilm-Debüt "Born in Evin" penibel versucht zu stopfen. Denn in der Familie wurde über das Thema nie gesprochen. Nicht als Mutter und Tochter das Gefängnis verlassen durften und nach Deutschland flohen. Und auch nicht, als der Vater nach sieben Jahren, in denen er auf die Todesstrafe wartete, frei kam. Er hatte das Massaker an den politischen Gefangenen, bei dem 1988 tausende Menschen hingerichtet wurden, überlebt.

Kinoplakat "Born in Evin" von Maryam Zaree auf der Berlinale 2019; Quelle: Berlinale
Schatten der Vergangenheit: In Maryam Zarees Film "Born in Evin" sind schmerzlich lange teils die Szenen zu sehen, in denen sich die Filmemacherin bis zur Verzweiflung ihren größten Ängsten aussetzt, ihre Mutter schließlich mit ihren Fragen zu dem schwarzen Loch der Familiengeschichte konfrontiert.

Das Schweigen hörte auch nicht auf, als Zarees Mutter - inzwischen promovierte Psychologin und Kommunalpolitikerin - für das Bürgermeisteramt ihrer Stadt Frankfurt kandidierte und Zaree selbst zu einer in Deutschland und Europa erfolgreichen Schauspielerin wurde. Und es geht auch weiter, nachdem Zaree ihrer Mutter im Sommerurlaub einen Trailer zu einem Film präsentierte: dem Versuch einer filmischen Aufarbeitung.

Koransuren als Folter

Dass sie tief in sich etwas von dem Grauen des berüchtigten Folter-Gefängnisses trägt, bemerkte Zaree auf einer Busfahrt durch Marokko: Plötzlich hält sie die Musik, die im Bus läuft nicht mehr aus. Sie fängt an zu schwitzen, wird panisch, glaubt den Verstand zu verlieren und schreit schließlich den Fahrer an, die Musik auszuschalten.

Erst später berichtete sie ihrem Vater von der Panikattacke, die sie sich nicht erklären konnte. Er erzählte ihr, dass Häftlinge in Evin mit der Endlosschleife von Koransuren, die wohl ebenfalls im Bus liefen, akustisch gefoltert wurden. Eine Erfahrung, die sie als Kleinkind machte, hatte es geschafft, sich in ihr Inneres einzugraben.

In ihrem Film sucht Zaree nach weiteren Kindern politischer Gefangener, um zu erfahren, wie sie mit dem erlebten Trauma umgehen - dem eigenen und dem der Eltern. Dabei trifft sie unter anderem die Autorin Sahar Delíjaní, die ebenfalls als Kind politischer Aktivisten im Teheraner Evin-Gefängnis geboren wurde und das Buch "Kinder des Jacarandabaums" über diese Erfahrungen geschrieben hat.

Eine neue Generation

Mayam Zaree begegnet auch der iranisch-französischen Anthropologin Chowra Makaremi. Sie war acht Jahre alt, als ihre Mutter hingerichtet wurde. Ihr Großvater hat aufgeschrieben, was der Mutter angetan wurde: Die Wirbelsäule war gebrochen, sie hatte Verbrennungen an mehreren Körperstellen, ihre Intimzone war mit kochendem Wasser verbrüht worden, man hatte sie an den Füßen aufgehängt und Drähte für Elektroschocks um ihre Brüste gebunden.

1992 trug Chowra Makaremi diese Zeilen ihres Großvaters vor dem sogenannten Iran-Tribunal in Den Haag vor, einem symbolischen Volksgerichtshof zur Untersuchung der staatlich angeordneten Gewalttaten im Iran in den 1980er Jahren.

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