Tropfen auf dem heißen Stein?

Mit der Erweiterung des Suezkanals kann Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi einen politischen Erfolg für sich verbuchen. Doch ägyptische Experten bezweifeln, ob ein einziges Großprojekt wirklich eine Wende für die brachliegende ägyptische Wirtschaft einläuten könnte. Aus Kairo informiert Karim El-Gawhary.

Von Karim El-Gawhary

Wer dieser Tage am Flughafen in Kairo ankommt, der kann sich an der Passkontrolle einen besonderen Stempel in sein Reisedokument drücken lassen: Der "Neue Suezkanal" – ein Geschenk Ägyptens an die Welt, heißt es dort unter dem Kanal-Logo. Die Aktion ist Teil der Festlichkeiten rund um die Eröffnung eines neuen Teilstückes des Suezkanals an diesem Donnerstag (06.08.2015). Im ägyptischen Fernsehen laufen ohne Unterlass Trailer, die den "Neuen Suezkanal" als Symbol des Willens der Ägypter anpreisen. Auch in den Sozialen Medien des Landes kann man sich diesem Ereignis kaum entziehen. Auf Youtube etwa ist ein Video zusehen, in dem ein paar Schwimmer eine fünf Kilometer lange ägyptische Fahne durch die neue Kanalrinne ziehen.

Der Chef der Suezkanalbehörde Muhab Mamish fand während einer Pressekonferenz in Kairo vor einigen Tagen große Worte für das Ereignis: "Wir ziehen mit dem 'Neuen Kanal' vom Dunkel ins Licht, unser Dank gebührt dem Erfinder dieses Projektes: Präsident Abdel Fattah al-Sisi".

Und wenn Ägyptens Präsident an diesem Donnerstag das Kanalteilstück eröffnet, soll nichts der Grandesse der Feierlichkeiten vor fast 150 Jahren nachstehen, als der ursprüngliche Suezkanal eröffnet wurde. Eigens wurde die königliche Jacht "Mahrousa", mit der einst Vizekönig Ismail Pascha mit seinen Gästen aus aller Welt als erster die neue Wasserstraße durchfuhr, gen Suezkanal verlegt. Sisi will es ihm nun gleich tun und auch auf der Jacht mit seinen Staatsgästen das neue Teilstück befahren.

Reminiszenzen an die Nasser-Ära

Damit nicht genug. Dass die Ägypter das neue Teilstück selbst finanziert, geplant und gebaut haben, soll an jene glorreichen Tage erinnern, als Präsident Gamal Abdel Nasser den Kanal 1956 verstaatlichen ließ und damit das Ende des Kolonialismus in Ägypten einleitete. Besonders stolz ist man in Ägypten darauf, es geschafft zu haben, den "Neuen Suezkanal" in nur einem Jahr fertig gestellt zu haben. Ursprünglich waren drei Jahre Bauzeit vorgesehen, doch Präsident Abdel Fattah al-Sisi wies in einer Pressekonferenz vom letzten Sommer seine Armee und die Suezkanalbehörde medienwirksam an, das Projekt in nur einem Jahr zu realisieren.

Nachdem das Ganze zur Chefsache unter Aufsicht der Armee erklärt wurde, begannen die Arbeiten am Kanal rund um die Uhr. Insgesamt wurden 258 Millionen Kubikmeter Sand versetzt, 4.500 schwere Baufahrzeuge waren im Einsatz.

Auch dass die gesamten für den Bau benötigten umgerechnet 8,5 Milliarden US-Dollar letzten Sommer innerhalb von nur einer Woche durch private Suezkanal-Investmentzertifikate mobilisiert worden sind, erfüllt viele Ägypter mit Stolz. Nach fünf Jahren sollen die investierten Gelder bei einer Verzinsung von zwölf Prozent wieder zurückgezahlt werden.

Karte des erweiterten Suezkanlas; Quelle: DW
Der "Neue Suezkanal" als Prestige-Objekt für Präsident Abdel Fattah al-Sisi: Die 72 Kilometer lange Wasserstraße wurde innerhalb nur eines Jahres gebaut. Sie verläuft teilweise parallel zum inzwischen fast 150 Jahre alten Suezkanal, der das Rote Meer und das Mittelmeer miteinander verbindet. Teilweise wurde der alte, für den Welthandel äußerst wichtige Kanal erweitert und vertieft.

Der ehemalige Ingenieur und heutige Rentner Nagi Aschmawi hat für seine zwei- und fünfjährigen Enkel Suezkanal-Zertifikate im Wert von umgerechnet 12.000 Euro gekauft. "Damit ihre Namen einmal mit dem Suezkanal in Verbindung gebracht werden und wir an diesem historischen Projekt teilnehmen", erklärt er. "Dieses Projekt wird vom ägyptischen Volk finanziert, da konnten wir nicht nachstehen", fügt er hinzu. Er habe das auch aus Trotz gemacht, gegen jene, die immer behaupten, dieses nationale Projekt des neuen Kanals sei nicht viel mehr als ein kleiner Bewässerungskanal. Und natürlich waren auch die zwölf Prozent Zinsen verlockend.

Genauso wie die Übertreibungen gehen wohl auch die Behauptungen, es handle sich bei dem Projekt in Wirklichkeit nur um einen kleinen Bewässerungskanals, an der Realität vorbei geht.  Der gesamte Suezkanal ist etwa 200 Kilometer lang. Auf 80 Kilometern war er bereits zuvor gleichzeitig von beiden Seiten befahrbar. Nun wurde die parallele Befahrbarkeit auf 115 Kilometern verlängert. Dafür musste in der Wüste ein 35 Kilometer langes neues Teilstück gebaut und an einer anderen Stelle auf 37 Kilometern verbreitert und vertieft werden, so dass nun 60 Prozent des Kanals parallel befahrbar ist.

"Wir haben eine Botschaft an die Welt: Deine Lebensmittel, deine Medizin, dein Kraftstoff und deine Ersatzteile werden schneller ankommen, durch diese Idee des neuen Suezkanals", erklärte der Chef der Suezkanalbehörde während der Pressekonferenz, die angesetzt worden war, nachdem drei Containerschiffe eine erfolgreiche Testfahrt durchgeführt hatten. Um das "schneller" besser einzuordnen: Mit dem ursprünglich vor 150 Jahren gebauten Kanal verkürzte sich die Zeit für eine Schiffsreise vom Arabischen Golf nach London von 24 auf 14 Tage. Mit dem neuen weiteren Stück Parallelverkehr verkürzt sich die Wartezeit der Schiffe statt auf acht bis elf Stunden nun auf nur drei Stunden.

Zeit ist Geld

Aber Zeit ist Geld im Schiffshandel. Mit zehn Prozent des Welthandels der derzeit über den Suezkanal läuft, hat das Projekt Potenzial, glaubt der ägyptische Politökonom Amr Adly. Ob so viel wie die Regierung in Kairo vorgibt, weiß allerdings niemand abzuschätzen. Die prognostiziert, dass die Einnahmen aus dem Kanal mit der neuen Fahrrinne in den nächsten neun Jahren um 260 Prozent steigern werden. "Wie lohnend der Ausbau tatsächlich ist, das hängt von der Entwicklung des Welthandels ab. Die ägyptische Regierung hat bisher keine Studie veröffentlicht, um ihre Zahlen zu untermauern. Das macht es schwer, das Projekt zu bewerten. Es wird sicherlich Mehreinnahmen geben, wie hoch die aber sind, kann keiner heute ernsthaft sagen", sagt Adly.

Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi; Foto: Getty Images/Afp/K. Desouki
Mammut-Projekt als Machtdemonstration: Das umgerechnet fast acht Milliarden Euro teure Projekt ist insbesondere für Al-Sisi von Bedeutung: Es soll nicht nur der trägen ägyptischen Wirtschaft Schwung geben, sondern auch sein internationales Ansehen aufpolieren.

Aber immerhin, schon ohne den Ausbau hatten sich die Einnahmen aus dem Suezkanal in den letzten zehn Jahren auf 5,3 Milliarden Dollar im Jahr verdoppelt, wenngleich die Bedeutung des Kanals für die ägyptische Wirtschaft oft überschätzt wird. "Anders als viele denken, stellen die Suezkanal-Einnahmen nicht einen großen Teil der ägyptischen Staatseinnahmen, sondern lediglich ungefähr vier Prozent", erklärt der ägyptische Ökonom. "Doch der Kanal bringt Ägypten Devisen. Und damit ist er für den Staat überlebenswichtig", erläutert er. "Die gesamten Exporte Ägyptens machen weniger als 30 Milliarden US-Dollar aus. Die Bedeutung des Kanals liegt also darin, dass er allein dem Staat ein Sechstel ausländischer Devisen beschert."

Adly sagt, er sei beeindruckt, wie dieses Kanalteilstück in so kurzer Zeit fertiggestellt wurde, in einer bisher einzigartigen Zusammenarbeit zwischen dem Militär, staatlichen und privaten ägyptischen Firmen. Doch auch ausländische Spezialfirmen aus Holland und Belgien, die angeheuert wurden, um die komplizierten Arbeiten bei der Ausweitung und Vertiefung des bestehenden Kanals durchzuführen, waren maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Die Umsetzung erfolgte jenseits des für seine Ineffizienz berüchtigten ägyptischen Staatsapparates – auf einer Art exterritorialen Baustelle, die wenig mit der sonstigen Realität des Landes zu tun hat.

Kein Plan für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung

Auch wenn die wirtschaftlichen Prognosen des Projektes in den Sternen stehen, kann Sisi die Eröffnung der zweiten Fahrrinne als politischen Erfolg verbuchen. "Die Führung in Kairo beweist damit, das sie etwas leisten kann – und das in der angesetzten kurzen Zeit", meint Adly. Aber er warnt auch vor dem Irrglauben – wie von der staatlichen Propaganda verbreitet –, dass ein solches einziges Großprojekt eine Wende für die brachliegende ägyptische Wirtschaft einläuten könnte. "Dieses Projekt wird die ägyptische Wirtschaft nicht zu mehr Leistungsfähigkeit reformieren und damit massiv neue Arbeitsplätze schaffen und den Lebensstandard der Ägypter erhöhen", glaubt er. "Der Staat und das Militär sind zwar fähig, ein Infrastruktur-Großprojekt auf die Beine zu stellen. Aber es gibt keinen Plan für eine Entwicklung, mit einem Bündel an Maßnahmen und mit einem bestimmten Ziel", klagt er.

Das Hauptproblem sieht er in den ineffizienten staatlichen Institutionen. "Das gegenwärtige Regime steht vor einem gewaltigen Dilemma. Denn es müsste genau die staatlichen Institutionen reformieren, auf die sich das System stützt. Man müsste also den eigenen Bündnispartner zur Veränderung zwingen", schlussfolgert Adly.

Geht es nach den Plänen der Militärregierung in Kairo, so ist das eröffnete Teilstück des Suezkanals erst der Anfang. Geplant ist ferner, ausländische Investoren für ein Mega-Logistik-Zentrum am Kanal anzulocken. Aber auch hier gibt es bislang keine verlässlichen öffentlichen Studien. "Die mangelnde Transparenz hat sehr viel mit dem Erbe des bevormundenden Staates zu tun. Das ist in etwa wie das Verhältnis vom Vater zu seinen Kindern. 'Vater Staat' will das Beste für seine Kinder ohne sich dabei mit ihnen beraten zu müssen", erklärt der ägyptische Politökonom.

Karim El-Gawhary

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