Das militärische Imperium

Nach dem Arabischen Frühling gewann das ägyptische Militär nie dagewesenen Einfluss. Es kontrolliert mit finanzieller Hilfe einiger Golf-Monarchien die Politik und die Wirtschaft am Nil. Einige historische Betrachtungen von Ingy Salama

Von Ingy Salama

Präsident Abdel Fattah al-Sisi beteuert, dass der Anteil von Unternehmen in Militärbesitz heutzutage nicht einmal zwei Prozent des ägyptischen Bruttoinlandprodukts betrage. Doch die Zahl scheint zu niedrig, wenn man die vielen Privilegien des Militärs betrachtet. Präzise Zahlen sind jedoch schwierig zu bekommen. Das Militär ist eine Blackbox, da es wenig Information über Hierarchien, Budget und Einfluss auf das öffentliche Leben gibt. Laut Gesetz "Law 313" dürfen jegliche Nachrichten über die Streitkräfte nur mit der Autorisierung des Direktors des Militärgeheimdienstes publiziert werden.

Traditionell sind die Streitkräfte in Ägypten für die Bürger eine Quelle nationalen Stolzes: 1952 entthronte eine Gruppe Militäroffiziere unter der Führung von Gamal Abdel Nasser – bekannt als die "Freien Offiziere" – den König und gründete die Republik. Seitdem betrachten sich die Streitkräfte als Hüter und Führer der nationalen Entwicklung.

Während seiner Präsidentschaft verstaatlichte Nasser (1956–1970) mehrere Unternehmen und legte die Grundlage für eine Industrialisierung unter der Aufsicht des Militärs. Der Bau des Assuan-Staudamms und die Verstaatlichung des Suez-Kanals waren Beispiele für die neue Rolle des Militärs in der Innenpolitik und Ökonomie.

Alle Macht den Militärs

Auf Nasser folgte Anwar al-Sadat (1970-1981), der mit einer Politik der offenen Tür ausländische Investoren anlockte. Er reduzierte die Zahl der Offiziere in Schlüsselpositionen, aber achtete darauf, dass die Streitkräfte in ökonomischen Belangen ihre privilegierte Rolle behielten. Weitere militäreigene Unternehmen wurden gegründet. Dahinter stand die Idee, dass sie die Armee und den Binnenmarkt mit erschwinglichen Gütern versorgen könnten.

Wahlplakat Abdel Fattah al-Sisis aus dem Jahr 2014 in Kairo zeigt Nasser (l.), Sadat und Al-Sisis; Foto: Arian Fariborz
In historischer Kontinuität? Während seiner Ankündigung, als Präsident zu kandidieren, trug Al-Sisi 2014 noch seine Uniform und zog sich erst später aus dem Militär zurück.

Nach Sadats Ermordung 1981 wurde Hosni Mubarak Präsident. Auch er war ein General, und er bewahrte die Rolle des Militärs als eine führende Institution im politischen und wirtschaftlichen Leben. Mubarak setzte vorzugsweise pensionierte Generäle in Schlüsselpositionen ein. 1986 erließ seine Regierung die Steuern für Importe des Verteidigungsministeriums und des Staatsministeriums für militärische Produktion. 1997 verfügte Mubarak per Erlass, dass das Militär jede unbestellte Ackerbaufläche bewirtschaften dürfe.

Die Rolle des Militärs in der Wirtschaft wurde als sozial verantwortlich betrachtet, weil es die Märkte mit Gütern zu akzeptablen Preisen belieferte. Manchmal griff das Militär ein, um das Leben der Menschen zu erleichtern – so etwa 2008, als es eine Brotknappheit gab: Mubarak forderte damals die Streitkräfte auf, die Produktion in den militäreigenen Bäckereien zu erhöhen.

Die Aufstände von 2011 läuteten eine weitere Phase der Militarisierung Ägyptens ein. Zahllose Protestierende forderten "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit". Präsident Mubarak trat zurück, und der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF), eine Gruppe hoher Militärs, ergriff die Macht.

Die Armee als gefeierte “Hüterin der Stabilität“

Die Polizei zog sich von den Straßen zurück und die Menschen hießen die Soldaten willkommen, die strategisch sichtbar in Kairo und anderen Orten stationiert wurden. Die Polizeikräfte wurden als korrupte Diener eines diskreditierten Regimes betrachtet, die Armee hingegen als Hüterin der Stabilität. Die Medien berichteten obendrein, dass das Militär der Regierung hohe Geldsummen geliehen hatte, um die Wirtschaft zu stützen.

Ägyptens Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, Führer des Obersten Rates der Streitkräfte (SCAF); Foto: AP
Die Stunde der Falken: Die Aufstände von 2011 läuteten eine weitere Phase der Militarisierung Ägyptens ein. Zahllose Protestierende forderten "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit". Präsident Mubarak trat zurück, und der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF), eine Gruppe hoher Militärs, ergriff die Macht.

Gleichzeitig wies das Militär jegliche Kritik an seinem Wirtschaftsimperium zurück. General Mahmoud Nasr erklärte 2012 im Namen des Verteidigungsministeriums, dass das Militär "niemals militärisch kontrollierte Projekte irgendeiner anderen Autorität übergeben würde". Seiner Ansicht nach waren diese Unternehmen kein staatliches Eigentum, sondern entstanden "aus dem Schweiß des Verteidigungsministeriums".

Während des Arabischen Frühlings gab es auch Arbeiterunruhen in Ägypten. Sit-ins und Streiks waren an der Tagesordnung. Der SCAF schlug die Streiks nieder. Demonstranten wurden vertrieben und viele verhaftet.

2012 wurde Mohamed Mursi von der lang unterdrückten Muslimbruderschaft zum Präsidenten gewählt. Nasser hatte die islamistische Organisation verboten mit der Begründung, sie seien 1954 in ein Mordkomplott verwickelt gewesen. Sadats und Mubaraks Haltung war die gleiche. Viele Muslimbrüder saßen im Gefängnis.

Gegenwind für die Muslimbrüder

Eine neue Verfassung gab dem Militär rechtliche Immunität und schützte es vor öffentlichen Untersuchungen. Mursis Beziehungen zum Militär verschlechterten sich jedoch rapide, als er Pläne bekanntgab, den Suez-Kanal-Korridor zu entwickeln und ihn in einer Partnerschaft zusammen mit Indien in eine lukrative industrielle Zone zu verwandeln – ohne dies vorher mit dem Verteidigungsministerium abgesprochen zu haben. Für Ägyptens Militär war der Suez-Kanal immer von höchstem geschäftlichen Wert. Entsprechend wiesen die Streitkräfte Mursis Pläne ab.

2013 wurde Mursi durch einen blutigen Militärputsch gestürzt und General Abdel Fattah al-Sisi kam als Führer einer Militärjunta an die Macht. Hunderte Muslimbrüder wurden getötet. Während seiner Ankündigung, als Präsident zu kandidieren, trug Al-Sisi  2014 noch seine Uniform und zog sich erst später aus dem Militär zurück, um seine Wahlkampagne als Zivilist zu führen.

Inhaftierter Ex-Präsident Mohamed Mursi; Foto: dpa/picture-alliance
Vom Militär abserviert und bis heute inhaftiert: Massive Proteste hatten Mursis Absetzung gefordert, deswegen stützten viele Ägypter Al-Sisis harte Haltung gegenüber den Muslimbrüdern. Ein Gericht in Kairo hatte im vergangenen Dezember Mursi in einem neuen Verfahren zu drei Jahren Haft wegen Beleidigung der Justiz verurteilt.

Er gewann die Wahlen, doch die Muslimbrüder, welche die vorherigen Wahlen in Ägypten gewonnen hatten, durften gar nicht antreten. Auf der anderen Seite war Mursi immer unpopulärer geworden, da er das harte Leben der Menschen nicht erleichtert, sondern den Staat seiner religiösen Bewegung untergeordnet hatte.

Massive Proteste hatten seine Absetzung gefordert, und deswegen stützten viele Ägypter Al-Sisis harte Haltung gegenüber den Muslimbrüdern. Die Medien stellten es so dar, dass das Militär auf Seiten des Volkes stand.

In Abhängigkeit von den Golfstaaten

Heute ist Abdel Fattah al-Sisis Regierung finanziell von den Golfstaaten abhängig. Der Einfluss des Militärs hat unter seiner Präsidentschaft zugenommen. So betreibt Al-Sisi beispielsweise zwei Megaprojekte mit direkter militärischer Beteiligung: den Ausbau des Suez-Kanals und den Bau einer neuen Hauptstadt. 2015 erlaubte seine Regierung Offizieren des Militärs, Polizei und des Geheimdienstes, private Sicherheitsfirmen zu gründen. Gleichzeitig sind militäreigene Unternehmen in allen wirtschaftlichen Bereichen aktiv.

Obwohl das Regime scheinbar strikte Kontrolle über das Land ausübt, gibt es offenbar Konflikte mit dem "tiefen Staat": So säuberte Al-Sisi den Geheimdienst, mehr als 100 Beamte wurden entlassen. Mitte Januar entließ der Präsident den Direktor des Geheimdienstes und ersetzte ihn vorläufig mit seinen Stabschef General Major Abbas Kamel.

Währenddessen wächst die Unzufriedenheit in anderen staatlichen Institutionen. Al-Sisi wurde öffentlich von mehreren Militärführern kritisiert, weil er zwei Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien übergeben und Ägyptens Anspruch aufgegeben hatte.

Obendrein tweetete Generalleutnant Ahmed Shafiq ein scharf formuliertes Statement gegen Al-Sisi, als Ägypten den Bau des äthiopischen Renaissance-Damms stromaufwärts am Nil nicht unterbinden konnte. In der Regel ist jedoch öffentliche Kritik an dem Regime selten geworden. Ägyptens Medien sind nicht frei.

Ingy Salama

© Zeitschrift für Entwicklung & Zusammenarbeit 2018