Zeichen der Solidarität mit Lesern

Deutschland ist Ehrengast bei der Internationalen Buchmesse in Istanbul. Einen besseren Zeitpunkt dafür könnte es nicht geben – trotz oder gerade wegen der politischen Dissonanzen. Einzelheiten von Karen Krüger

Von Karen Krüger

"Worte bewegen – Sözcüklerin etkisi" – so lautet das Moto, unter dem sich Deutschland auf der Internationalen Buchmesse in Istanbul 2016 als Ehrengast präsentiert. Es ist ein schönes und auch vieldeutiges Motto: Denn was Worte bewegen, ob Gutes oder Schlechtes, ist oftmals nicht gleich absehbar. Und in den deutsch-türkischen Beziehungen wiegen Worte seit geraumer Zeit so schwer wie nie.

Erst sorgte die von deutscher Seite geäußerte Kritik am Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei für Irritationen in Ankara. Die Beziehungen wurden zudem auf die Probe gestellt durch den Streit über ein kritisches Gedicht des deutschen Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie durch die im Juni 2016 verabschiedete Armenienresolution. Darin brachte der deutsche Bundestag die Vertreibung und Ermordung der Armenier ab 1915 mit der Bezeichnung Völkermord in Verbindung.

Der Dialog ist deutlich schwieriger geworden

Seitdem – und insbesondere nach dem Putschversuch des türkischen Militärs im Juli 2016 und die Reaktion der türkischen Regierung – ist der Dialog deutlich schwieriger geworden. Die Frage, ob Deutschland nicht riskiere, sich mit dem Auftritt bei der Buchmesse als Alibi für die zunehmend autoritär vorgehende türkische Staatsführung missbrauchen zu lassen, ist deshalb naheliegend. Nimmt man es aber genau, dann könnte es keinen besseren Zeitpunkt für einen solchen Auftritt geben.

Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Dr. Maria Böhmer; Foto: picture-alliance/dpa/H. Schmidt
Ehrengast in schwierigen Zeiten: Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Maria Böhmer hat angesichts aktueller Spannungen die Bedeutung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei hervorgehoben. Bei der Eröffnung der Internationalen Buchmesse in Istanbul sagte sie: "Bücher und Literatur vermitteln zwischen den Kulturen und helfen, sich über Grenzen hinweg zu verständigen und zu verständigen. Auch in schwierigen Zeiten setzen wir auf Verständigung, auf den Dialog - mit der Regierung und dem Parlament und mit der Zivilgesellschaft."

Schon jetzt ist klar, dass er große Aufmerksamkeit genießen wird: Etwa 500.000 Menschen finden sich jedes Jahr zu der großen Bücherschau auf dem Istanbuler Messegelände ein. Während sich das Interesse der türkischen Leser an Sachbüchern und Erzählungen zur deutsch-türkischen Migrationsgeschichte immer sehr in Grenzen gehalten hat, genießen deutsche Kinderbücher und Romane, die einen anderen Fokus haben, ein enormes Ansehen.

Deutsche Literatur wird seit Jahrzehnten ins Türkische übersetzt, sie gehört fest zum literarischen Kanon. Etwa 30 deutsche Verlage werden am Gemeinschaftsstand in Istanbul vertreten sein, darunter Rowohlt und der Christoph Links Verlag. Zudem haben mehr als 15 Literaten und Musiker ihre Teilnahme am Gastlandauftritt zugesagt.

Unter ihnen sind einige, die dem türkischen Publikum schon durch Übersetzungen ins Türkische bekannt sind: der Kinderbuchautor Finn-Ole Heinrich beispielsweise, der Schriftsteller Wilhelm Schmid und die Schriftstellerin Esmahan Aykol. Akyols Krimireihe über die deutsch-türkische Buchhändlerin Kati Hirschel findet in der Türkei reißenden Absatz. Judith Kuckart undIlija Trojanow wiederum werden auf der Messe Bücher vorstellen, die gerade erst aus der Übersetzung kommen: Kuckart ihren 1990 erschienenen Roman Wahl der Waffen über zwei Frauen zur Hochzeit des RAF-Terrors und Trojanow seinen großen Bulgarien-Roman Macht und Widerstand.

Das Potenzial, Missverständnisse zu korrigieren

Der Lyriker Achim Wagner ist in der Türkei ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Er hat seinen 2013 erschienenen Gedichtband hafif coðrafya ("leichte geografie") selbst auf Türkisch verfasst. Wagner lebt in Ankara und Berlin und war zuvor mehrfach mit Stipendien in der Türkei, unter anderem als Stipendiat der Kulturakademie Tarabya in Istanbul.

Auch die Schriftstellerinnen Olga Grjasnowa und Canan Topçu sowie unter anderem die Autoren Moritz Rinke, Peter Schneider und Matthias Göritz sind aus biografischen Gründen oder durch Stipendienaufenthalte mit den türkischen Befindlichkeiten vertraut. Das sind gute Voraussetzungen für einen Dialog, der das Potenzial hat, Missverständnisse zu korrigieren und gleichzeitig Stimmen wieder hörbar zu machen, die aufgrund der zunehmenden politischen Isolierung außerhalb der Türkei kaum noch wahrnehmbar sind. Es sind die Stimmen von Menschen, die Bücher lesen, diskutieren und sich mit der Welt verbunden fühlen – für sie ist der Auftritt Deutschlands ein wichtiges Zeichen der Solidarität.

Angesprochen auf die Lage der Meinungsfreiheit in der Türkei sagte Katja Böhne von der Frankfurter Buchmesse, die den Gastlandauftritt plant, man werde "hart in der Sache, aber höflich im Ton" auftreten. Dazu passt die neue Buchkollektion Für das Wort und die Freiheit, die in Istanbul vorgestellt wird: Sie macht auf die weltweite Verfolgung von Autoren, Journalisten und Whistleblowern aufmerksam.

Karen Krüger

© Goethe-Institut 2016