
Der Iran vor der RevolutionsfeierEin zweites Syrien?
Neue Zeiten, neue Wörter. Sollte diese Maxime stimmen, dann hat im Iran vor rund vier Wochen tatsächlich eine neue Zeitrechnung begonnen. Genauer gesagt: mit den landesweiten Unruhen zu Beginn des neuen Jahres 2018.
Die Wortschöpfung, die diesen neuen Zeitabschnitt markiert, lautet Syrisation. Googelt man dieses Wort auf Persisch, so erhält man Hunderte Artikel und Essays von unterschiedlichen Autoren. Mal dient der Begriff Beobachtern und Analytikern als Prognose, der Iran werde unumgänglich in eine ähnliche Lage abgleiten wie Syrien.
Mal wird der Ausdruck von besorgten Reformern verwendet, um vor Aufruhr und Gewalt zu warnen. Und zunehmend melden sich auch enttäuschte Reformer zu Wort, die meinen, eine Syrisation des Iran könne nur verhindert werden, wenn man weiter demonstriere und zivilen Ungehorsam fordere und fördere.
Und jeder dieser Diskutanten hat für seine Position eine Reihe von Argumenten, Daten und Fakten anzubieten – vieles stimmt nachdenklich, manches gar beängstigend.
An der Debatte beteiligen sich renommierte und einflussreiche Politologen und Soziologen ebenso wie politische Aktivisten, die offenbar nur kurzfristige und taktische Ziele im Sinn haben. Und wie immer, wenn die Debatten hitzig werden, sind auch die Verschwörungstheoretiker nicht fern. Das Wort Syrisation sei eine Schöpfung des Geheimdienstes – der harte Kern des politischen Machtzentrums nutze die beängstigende Lage in Syrien als Schreckgespenst, um Menschen von Protesten und Demonstrationen abzuhalten, so ihre Theorie. Wenn das so einfach wäre.
Ein Depot voller Sprengstoff
Mögen Meinungen und Motive noch so unterschiedlich ausfallen, einig sind sich alle zumindest in einem Punkt: Im Untergrund gäre es, das Grollen vor einem großen Erdbeben hätte längst begonnen – unüberhörbar für jeden, der auch wirklich hören wolle. Die Islamische Republik throne auf einem Depot voller Sprengstoff, schrieb Mehdi Karrubi jüngst aus seinem Hausarrest in einem offenen Brief an Ali Khamenei, das religiöse Oberhaupt und der mächtigste Mann des Iran.

Dieser offene Brief des ehemaligen Parlamentspräsidenten ist zweifellos ein bleibendes Dokument, an dem künftig kein Historiker mehr vorbeikommen wird, der beschreiben will, wie der Gottesstaat vor fast 40 Jahren entstand, wie er sich veränderte, und warum er schließlich in eine Sackgasse geriet. Nur wenige standen dem Republikgründer Ruhollah Khomeini so nah wie Karrubi. Ihn bestimmte der Ayatollah zu seinem persönlichen Testamentsvollstrecker.
Bis zum Beginn seines bis heute andauernden Hausarrests vor sieben Jahren gehörte Karrubi zum engsten Kreis der Mächtigen der Republik. Nun entschuldigt sich der mittlerweile 80-Jährige in seinem Offenen Brief bei der iranischen Bevölkerung für alles, was sie in den vier Jahrzehnten seit der Revolution durchmachen mussten. Vierzig Jahre sei die Republik nun alt, und alle, die an ihrer Spitze standen oder noch stehen, müssten endlich zugeben, dass sie für die Misere des Landes verantwortlich seien, schreibt er, und fügt hinzu: "Auch ich bin für diese Düsterkeit und Bitterkeiten verantwortlich."
Leserkommentare zum Artikel: Ein zweites Syrien?
Iran ein zweites Syrien oder Heimweh? Das ist sicherlich eher ein Wunschdenken von Hr. Sadrzadeh und Co. als die politische Realität in Iran. Hr. Sadrzadeh, seit wievielen Jahren warten Sie auf ein Regimechange nochmals? Geben Sie bloß nicht auf, diesmal helfen die Saudis mit!
Ali 08.02.2018 | 17:14 Uhr