
Das Ende des "Islamischen Staats"Neues Kapitel im Syrien-Konflikt
Ein Staat wollten sie sein, in dem die Gesetze des Islam herrschen und der die ganze Welt umfassen sollte – nichts weniger war das Ziel der Dschihadisten. Als ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi im Juni 2014 von der Kanzel der Al-Nuri-Moschee in Mossul ihr "Kalifat" ausrief, strich er zugleich die letzten Worte aus dem Namen "Islamischer Staat im Irak und Syrien", um die universelle Geltung ihres Staatsprojekts zu verdeutlichen.
Nicht Syrien, nicht den Irak, sondern die ganze Welt wollten sie beherrschen. Tausende Islamisten aus aller Welt begeisterte die Idee so sehr, dass sie in das Kampfgebiet reisten, um beim Aufbau dieses "Islamischen Staats" zu helfen.
"Denn bis dieser Staat nicht hervortritt, sündigen die Muslime in ihrer Gesamtheit und sind vor Gott, dem Erhabenen, dem Großen, verantwortlich für ihr Versagen, ihn zu errichten", schrieb schon Hassan al-Banna, Gründer der Muslimbruderschaft und einer der Vordenker der Idee des islamischen Staats. In seiner Vorstellung war dieser Staat ein Raum des Rechts und der Gerechtigkeit, in dem alle Muslime im Einklang mit dem Islam leben könnten. Im Irak und Syrien war die Realität von diesem Ideal freilich weit entfernt, da die Dschihadisten rasch eine Schreckensherrschaft errichteten.
Zusammenbruch des IS als Frage der Zeit
Der Versuch, ihr Staatsprojekt gegen den Widerstand der ganzen Welt zu realisieren, war ebenso zum Scheitern verurteilt wie die Vorstellung, durch Terror und Gewalt herrschen zu können. Zwar waren die Dschihadisten womöglich gar nicht mal so viel brutaler als das syrische Regime oder manche andere Miliz, doch die demonstrative Zurschaustellung der Gewalt stieß selbst viele ihrer Anhänger ab und brachte die Staatengemeinschaft in seltener Geschlossenheit zusammen. So war es letztlich nur eine Frage der Zeit, bis die Dschihadisten besiegt sein würden.

Nun also ist der Terrorstaat Geschichte, und im Syrien-Konflikt beginnt ein neues Kapitel. Mit der Einnahme der letzten IS-Bastion im Osten Syriens dürften die Amerikaner Ernst machen mit dem Abzug ihrer Truppen. US-Präsident Donald Trump hatte immer betont, dass für ihn der Kampf gegen die IS-Miliz der einzige Grund für die Präsenz in dem Bürgerkriegsland sei. Im Dezember kündigte er an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien zu holen. Zwar hat er nun erklärt, doch eine Gruppe von 400 Soldaten dort zu lassen, doch ändert dies wenig an der Grundsituation.
Für die syrischen Kurden ist der Abzug der Amerikaner ein herber Schlag. Im Kampf gegen die Dschihadisten hatte die syrische Kurdenmiliz YPG die Hauptlast getragen und hohe Verluste erlitten. Zugleich hatten ihr die Waffen, die Berater und die Luftunterstützung der USA in den vergangenen Jahren erlaubt, ihre Herrschaft über weite Gebiete außerhalb des kurdischen Siedlungsraums auszudehnen. In der Türkei stieß dies auf wütenden Protest, da die YPG eng verbunden ist mit der PKK-Guerilla, die seit Jahrzehnten gegen den türkischen Staat kämpft.
Der fehlende Rückhalt der kurdischen YPG
Für den Historiker Jean-Pierre Filiu war die Wahl der Kurdenmiliz als Verbündeter gegen die Dschihadisten von Anbeginn ein Fehler. "Es brauchte viel Blindheit zu glauben, dass eine der (sunnitisch-arabischen) Bevölkerung des Euphrat-Tals in ihrer (kurdischen) Zusammensetzung und ihrer (linken) Ideologie fremde Miliz die Situation stabilisieren könnte, nachdem das Pseudo-Kalifat von Daesh gestürzt sei", bemerkte Filiu in der Tageszeitung Le Monde. Dieser mangelnde Rückhalt erkläre auch, warum der Kampf gegen die IS-Miliz zuletzt so langsam vorankam.