Zwischen aktivem Eingreifen und grotesker Verharmlosung

Die Gesundheitswesen Tunesiens und Ägyptens sind in katastrophalem Zustand, die Covid-19-Pandemie droht deshalb auch hier im Desaster zu enden. Doch der Umgang der Behörden mit der Krise könnte in beiden Ländern unterschiedlicher nicht sein. Von Sofian Philip Naceur aus Tunis

Von Sofian Philip Naceur

Die Straße ist wie leergefegt, die Stille nach Einsetzen der Dämmerung gespenstisch. Nur in der Ferne hört man ein Auto beschleunigen und den gedämpften Lärm eines über einem Außenbezirk von Tunis kreisenden Militärhelikopters. Diese drehen schon seit Tagen ihre Runden am Himmel und überwachen die Einhaltung der landesweit geltenden nächtlichen Ausgangssperre.

Inzwischen ist das Verlassen des Hauses in Tunesien auch tagsüber nur in Notfällen und für absolut notwendige Erledigungen gestattet. Das öffentliche Leben steht praktisch still. Schulen, Universitäten, Cafés, Restaurants und Moscheen sind bis auf weiteres geschlossen. Die Industrie ist ebenso lahmgelegt wie der öffentliche Nahverkehr und der Fähr- und Flugbetrieb.

Rasche Ausbreitung des Virus

Nachdem sich das Epizentrum der Covid-19-Pandemie im März nach Europa verlagert hat, breitet sich das Virus inzwischen auch in Nordafrika rasch aus und zwingt die Behörden zu reagieren. Die Regierungen in Tunesien und Ägypten setzen dabei fast unisono auf dieselben Mittel, die bereits in China und Europa zur Anwendung kamen, um der Pandemie Einhalt zu bieten - einschneidende Restriktionen in Alltag und Wirtschaftsleben und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Zwar liegen die Fallzahlen in beiden Ländern bisher weit hinter jenen Europas und Chinas zurück. Doch zuletzt stiegen die nachgewiesenen Infektionen auch hier stark an.

Tunesien bestätigte bisher 173 Infektionen und fünf Tote, in Ägypten sind es 456 Corona-Fälle und 21 Verstorbene (Stand 25. März). Die Dunkelziffern dürften allerdings deutlich höher liegen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät inzwischen dazu, nicht mehr nur in Verdachtsfällen, sondern großangelegt testen zu lassen.

Leere Straßen in der tunesischen Hauptstadt Tunis; Foto: picture-alliance/Xinhua News Agency
Leere Straßen in der tunesischen Hauptstadt Tunis: Auch Tunesien könnte ein Desaster bevorstehen, da das nordafrikanische Land angesichts seines schwachen Gesundheitswesens für die Bewältigung der Corona-Pandemie nicht annähernd gerüstet ist. Öffentlichen Einrichtungen mangelt es an unentbehrlicher Ausrüstung und einer ausreichenden Versorgung mit Medikamenten, Handschuhen oder Schutzmasken. Die Kliniken stehen schon im Normalzustand kurz vor dem Kollaps und sind heillos überlastet.

Doch Tunesien und Ägypten haben dafür nicht die notwendigen Kapazitäten. Die Gesundheitswesen beider Länder sind für die Bewältigung der Pandemie nicht annähernd vorbereitet. Öffentlichen Einrichtungen mangelt es an unentbehrlicher Ausrüstung und einer ausreichenden Versorgung mit Medikamenten, Handschuhen oder Schutzmasken. Die Kliniken stehen schon im Normalzustand kurz vor dem Kollaps und sind heillos überlastet.

Tunesien agiert proaktiv und transparent

Beiden Ländern könnte folglich ein Desaster bevorstehen. Entscheidend ist daher, wie und vor allem wann die jeweiligen Behörden reagieren und wie sie rhetorisch in der Krise auftreten. Der Umgang der Regierungen in Tunesien und Ägypten könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein. Während Tunesien proaktiv agierte und auf eine offensive Öffentlichkeitsarbeit setzte, wurde in Ägypten auf Covid-19 spät und in einer verharmlosenden Manier reagiert – mit potenziell verheerenden Folgen.

Erst im April wird sich zeigen, ob das auf Antizipation und Transparenz setzende Tunesien die Krise besser überstehen wird als Ägypten. Bisher jedoch wird der erst Ende Februar eingesetzten tunesischen Regierung von Premierminister Elyes Fakhfakh zu Gute gehalten, relativ besonnen und zügig reagiert zu haben.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des ersten positiv getesteten Patienten Anfang März begannen die Behörden an Flughäfen und Häfen im Land Temperaturmessungen bei Neueinreisenden durchzuführen und aus Italien ankommende Menschen unter Quarantäne zu stellen.

Nachdem am 9. März die Anzahl der bestätigten Infektionen von zwei auf fünf angestiegen war, verschärfte die Regierung in beachtlichem Tempo die Vorsichtsmaßnahmen. In den folgenden zwei Wochen erließen Staatspräsident Kais Saïed und Premier Fakhfakh beinahe täglich neue Restriktionen und fuhren das Land seither gradlinig und konsequent schrittweise herunter.

Noch wichtiger als die konkreten Maßnahmen war derweil die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung. Die seit Anfang März jeden Vormittag abgehaltene Pressekonferenz des Gesundheitsministeriums zeigte nicht nur der lokalen Presse wie ernst die Lage ist, sondern sorgte auch in der Bevölkerung für zunehmend mehr Achtsamkeit. Atemschutzmasken und Handschuhe waren schnell omnipräsent in der Öffentlichkeit.

Nilkreuzfahrtschiffe in Luxor, Ägypten; Foto: picture-alliance
Luxor als Epizentrum der Coronavirus-Ausbreitung in Ägypten? In Luxor waren zuletzt 45 Menschen an Bord eines Kreuzfahrtschiffs, das auf dem Nil unterwegs war, positiv getestet worden. Nach offiziellen Angaben waren etwa 170 Menschen an Bord, darunter etwa 100 Ausländer.

Nach dem Erreichen von Pandemiestufe 1 erließ die Regierung trotz geringer Fallzahlen bereits Schritte, die für Stufe 2 vorgesehen waren – eine Strategie, die die Behörden mit expliziten Verweisen auf die beschränkten Kapazitäten im Gesundheitswesen legitimierten. Die Polizei geht zudem rigoros gegen jene vor, die sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten.

Doch trotz dieser proaktiven Gangart ist die Krise in Tunesien noch lange nicht ausgestanden. In Kliniken in Sousse und Monastir wird von ersten infizierten Medizinern berichtet, während das Gesundheitsministerium jüngst in beunruhigendem Tonfall verlautbaren ließ, einige der neuen Fälle könnten nicht zurückverfolgt werden. Die tatsächlichen Fallzahlen dürften auch daher deutlich höher liegen als es die amtlichen Statistiken suggerieren, heißt es. Der Höhepunkt der Pandemie steht Tunesien noch bevor und dürfte vor allem im infrastrukturell vernachlässigten Süden und Westen des Landes heftige Folgen nach sich ziehen.

Zögerliches Krisenmanagement in Ägypten

Ägypten wiederum könnte noch härter von der Pandemie getroffen werden, reagierten die Behörden doch extrem zögerlich. Nachdem Anfang Februar der erste Fall im Land bestätigt wurde, spielten Regierungsvertreter und dem Regime nahestehende Medien die Gefahren der Pandemie zunächst aktiv herunter. In einer TV-Show wurde gar das Virus selbst interviewt – der Gesprächspartner des Moderators hatte sich eine grüne Maske über den Kopf gezogen und erklärt, Ägypter seien immun gegen das Virus – , während Regierungsvertreter weiter beschwichtigten.

Nachdem zwölf Menschen auf einem Nilkreuzfahrtschiff in Luxor positiv auf das Virus getestet worden waren, wurden Personal und Passagiere zwar unter Quarantäne gestellt. Doch es dauerte fast zwei Wochen bis die Regierung von einer verhaltenen Strategie in den Krisenmodus wechselte – und das obwohl sich bereits die Hinweise verdichtetet hatten, dass sich das Virus schon weitaus stärker verbreitet haben könnte als es die Behörden zuzugeben bereit waren.

Erst Mitte März kündigte die Regierung die Schließung von Schulen und Universitäten an, empfahl der Bevölkerung, zu Hause zu bleiben und Kontakte zu reduzieren und begann damit, öffentliche Einrichtungen zu desinfizieren. In derselben Ansprache, in der Premierminister Mostafa Madbouly diese Maßnahmen verkündet hatte, erklärte er jedoch auch in hanebüchener Manier, die Chancen sich in Ägypten mit dem Virus anzustecken seien geringer als in anderen Ländern, da die ägyptische Bevölkerung sehr jung sei.

Erst Tage später wurden in öffentlichen Kliniken Patienten mit Atemwegsproblemen von Menschen mit anderen Beschwerden getrennt und spezielle Areale für mögliche Corona-Fälle eingerichtet. Den halbherzigen Aufforderungen auch den Moscheen fernzubleiben wurde weitläufig nur bedingt gefolgt. Die Regierung reagierte erneut erst Tage später und ließ Moscheen und Kirchen schließlich doch per Anweisung schließen.

[embed:render:embedded:node:39536]Derweil zeigte das Regime von Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi an anderer Stelle den gewohnten Aktionismus und ließ mehrere Menschen verhaften, die "Gerüchte und falsche Erklärungen" über die angeblich deutlich stärkere Verbreitung des Virus im Land in sozialen Netzwerken verbreitet hatten. Der Ägypten-Korrespondentin des britischen Guardian wurde die Akkreditierung entzogen, hatte sie in einem Artikel für das Blatt doch Berechnungen zitiert, nach denen sich bereits mehrere tausend Menschen in Ägypten infiziert haben könnten.

Drohender gesundheitspolitischer Sturm

Al-Sisis Regime machte sich offenbar lange größere Sorgen um seinen Ruf als um die Folgen der Pandemie selbst. Spätestens nachdem Ende März zwei hochrangige Generäle an Corona-Infektionen gestorben waren, griff die Regierung jedoch endlich zu drastischeren Maßnahmen, schränkte das öffentliche Leben massiv ein und verhängte eine Ausgangssperre.

Ob diese verschärften Maßnahmen noch rechtzeitig durchgesetzt wurden, bleibt offen. Es mehren sich bereits die Anzeichen, dass dem Land ein gesundheitspolitischer Sturm bevorsteht. Die Internetzeitung Sada El Balad berichtet mit Verweis auf Quellen im Berufsverband der Mediziner von mindestens 26 infizierten Krankenhausmitarbeitern in mehreren Provinzen, darunter Ärzte und Pflegekräfte. Mehrere staatliche Kliniken hätten sich zudem beim Verband bereits über einen Mangel an Masken und Desinfektionsmittel beschwert, so die Nachrichtenplattform Mada Masr.

Das Land steht dabei im Kampf gegen Corona vor allem vor zwei Problemen: Das Gesundheitssystem liegt bereits jetzt in Ruinen und es gibt nicht annähernd genug Betten auf den Intensivstationen geschweige denn Personal. Zudem sind die wichtigsten Risikogruppen ältere Menschen und Raucher. Letztere gibt es im Land wie Sand am Meer.

Sollte die Pandemie Ägypten annähernd so hart treffen wie Italien, droht dem Land ein Desaster. Die zögerliche Strategie der Behörden könnte daher für viele Menschen in Ägypten tödliche Folgen haben.

Sofian Philip Naceur

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