Scheitern an einem Kampfbegriff

Zwei neue Bücher versuchen, den politischen Islam zu fassen - vergeblich. Die Behauptung, der radikale Islam würde unterschätzt, mutet dabei besonders seltsam an. Eine Rezension von René Wildangel

Von René Wildangel

Das jüngst erschienene Buch "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland" aus dem Verlag Herder ist eine Mogelpackung. Denn der in Titel und Vorwort bemühte "politische Islam" ist nicht zentraler Gegenstand des Sammelbandes.

Stattdessen werden von den beiden Herausgebern und CDU/CSU-Politikern Carsten Linnemann und Winfried Bausback die bekannten Schreckensszenarien der Islamisierung Deutschlands aufgeboten: "Zwangsehen, Kinderehen und strikte Verschleierungspflichten", welche die Herausgeber für "jemand, der bisher in einem islamischen Land gelebt hat", als normal anzusehen scheinen.

Eine solide Definition des Begriffs "politischer Islam" fehlt, stattdessen heißt es knapp: "Die radikalen Ausprägungen, die den westlichen Lebensstil zum Feindbild erheben und unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu unterlaufen suchen, bezeichnen wir als 'politischen Islam'."

Abgesehen von zwei Kapiteln zur Ideengeschichte des politischen Islam von Bassam Tibi und Marwan Abou Taam versammelt der Band zahlreiche Artikel, die hinlänglich bekannte Hintergründe behandeln.

Pauschale Urteile über die islamische Welt

Dabei lautet der Tenor der meisten Beiträge: Das Problem des Islamismus werde unterschätzt, da sich in Deutschlands Politik und Medien eine falsche Toleranz breitgemacht habe. Die kann man den meisten Autoren des Bandes jedenfalls nicht unterstellen: Ruud Koopmans pauschalisiert über die "traurige Realität in der islamischen Welt" und versucht, anhand einer Umfrage von 2016 zu dokumentieren, wie "unterschiedlich die Gedankenwelten sind, in denen Muslime und Nicht-Muslime leben".

 Goldener Halbmond Minarett Zentralmoschee in Köln (picture-alliance/dpa/O. Berg)
Bekanntes Schreckensszenario einer angeblichen Islamisierung Deutschlands: Dieses Bild zeichnen die Autoren in dem von den beiden CDU/CSU-Politikern Carsten Linnemann und Winfried Bausback herausgegebenen Buch. Danach sind "Zwangsehen, Kinderehen und strikte Verschleierungspflichten" für "jemand, der bisher in einem islamischen Land gelebt hat", als normal anzusehen.

Necla Kelek schreibt über das Kopftuch als "Fahne des politischen Islam" und behauptet, Musliminnen trügen es ausschließlich aus "Angst und Respekt und Achtung gegenüber dem Mann". Boris Palmer, Diskursrüpel und grüner Oberbürgermeister, berichtet dagegen relativ nüchtern vom Stand der Integration in Tübingen. Einen Erkenntnisgewinn über den politischen Islam bietet das aber auch nicht.

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Einen informativen Beitrag liefert Markus Kerber, "Vater" der ersten Deutschen Islamkonferenz und heute wieder als Staatssekretär im Bundesinnenministerium für das Thema zuständig. Es ist Kerber, der darauf hinweisen muss, dass der politische Islam nicht per se verfassungsfeindlich ist, sondern dass dies von den konkreten Akteuren und vertretenen Positionen abhängt.

Am Schluss schreibt Co-Herausgeber Linnemann mit seiner "Agenda gegen den politischen Islam" noch mal gegen einen angeblichen "Kulturrabatt" an, den der Islam in Deutschland zum Beispiel vor Gerichten genieße. Vorbilder für politisches Handeln sieht er im dänischen Burkaverbot und im österreichischen Islamgesetz, das "richtige Akzente" setze; diese Anleihen bei Regierungen mit rechtspopulistischem Einschlag wundern an dieser Stelle dann nicht mehr.

Niemand bestreitet die realen Gefahren

Ein weiteres Buch zum Thema, "Alles für Allah - wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert" von Heiko Heinisch und Nina Scholz (Molden-Verlag), löst immerhin ein, was thematisch versprochen wird: Die Autoren beschäftigen sich mit dem politischen Islam und unternehmen auch eine historische Einordnung und Definition.

Bombendrohung gegen Ditib-Moschee in Duisburg (picture-alliance/dpa/F. Gambarini)
Die beharrliche Behauptung, radikale Islamisten würden unterschätzt, mutet angesichts der aktuellen öffentlichen Debatten in Deutschland und Österreich bizarr an, schreibt René Wildangel in seiner Rezension. Niemand bestreite öffentlich ernsthaft die realen Gefahren durch radikale Islamisten.

Das Buch gibt einen durchaus gelungenen Überblick über islamistische Organisationen in Deutschland und Österreich, aber die darüber hinausgehenden Thesen ähneln doch sehr dem deutschen Pendant: Die Gefahr des Islamismus werde unterschätzt, der Begriff der Islamophobie von Islamisten gezielt gesteuert und die freiheitliche Grundordnung unzureichend gegen einen wachsenden islamischen Fundamentalismus gesichert.

Die beharrliche Behauptung, radikale Islamisten würden unterschätzt, mutet angesichts der aktuellen öffentlichen Debatten in Deutschland und Österreich bizarr an: Niemand bestreitet in der Öffentlichkeit ernsthaft die realen Gefahren.

Islamophobie dagegen konsequent als kalkulierten "Opferdiskurs" konservativer islamischer Verbände zu beschreiben, wie es beide Bücher wiederholt tun, mutet zynisch an angesichts der rechtspopulistischen Hetze, nicht zuletzt aber auch der real gewachsenen verbalen und physischen Angriffe gegen Muslime in Deutschland und weltweit bis hin zum traurigen Massaker in Christchurch, Neuseeland.

René Wildangel

© Qantara.de 2019

Carsten Linnemann, Winfried Bausback (Hg.): Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen. Herder-Verlag, Freiburg 2019. 288 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Nina Scholz, Heiko Heinisch: Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert. Molden-Verlag, Wien 2019. 176 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

 

René Wildangel ist Historiker und schreibt unter anderem zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.