Türkische Einreisesperren: «Endstation Istanbul» für Reporter?

Führt die Türkei «schwarze Listen» über unliebsame Reporter, die an der Grenze abgewiesen werden? Auf keinen Fall, heißt es aus Ankara. Die Einreiseverbote für Journalisten werfen dennoch Fragen auf. Zum Beispiel die, wie lange sie gelten - und wer sie überhaupt verhängt. Von Can Merey

Der deutsche Journalist kam nur bis zur Passkontrolle am Istanbuler Atatürk-Flughafen. Die türkischen Beamten dort eskortierten ihn zur Abschiebezelle, wo bereits ein paar Libyer warteten. «Ich durfte mich nicht vom Fleck bewegen», erinnert sich der Reporter. Dann führten ihn schweigsame Sicherheitskräfte zum Turkish-Airlines-Schalter und zum Gate. Sie sorgten dafür, dass der Deutsche auf dem eigentlich ausgebuchten Flieger noch einen Platz bekam - «um sicherzustellen, dass ich auf der Maschine sitze».

Der Journalist möchte anonym bleiben, weil er hofft, dass die Einreisesperre gegen ihn irgendwann aufgehoben wird. Sein Fall ist einige Monate alt, andere Fälle sorgten in jüngster Zeit für neue Kritik am Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit der politischen Führung in Ankara.

Alleine seit Beginn vergangener Woche wurde zwei deutschen und einem amerikanischen Journalisten die Einreise verweigert. «Endstation Istanbul», schrieb der betroffene ARD-Korrespondent aus Kairo, Volker Schwenck, auf Twitter.

Führt die Türkei «schwarze Listen» über unliebsame Journalisten, die nicht ins Land gelassen werden? «Auf keinen Fall», sagt ein Vertreter der Regierung in Ankara, der nicht namentlich genannt werden will. «Es gibt keine «Menschen-die-wir-nicht-mögen»-Liste.»

Einreiseverbote würden nicht wegen der «Meinung oder Berichterstattung» der Reporter verhängt, sondern weil die Betroffenen «legale Kanäle umgangen» hätten. Das sei etwa dann der Fall, wenn sie beim illegalen Übertritt der syrisch-türkischen Grenze aufgefallen seien.

Konkrete Gründe für die Einreisesperren werden den Betroffenen nicht genannt. Das gilt auch für den eingangs erwähnten deutschen Reporter, der einräumt, dass er die syrische Grenze illegal überquert hat, was die Türkei übrigens lange geduldet hat. «Niemand weiß, wie lange die Einreisesperre gilt, wie man dagegen vorgehen kann, wer sie überhaupt verhängt hat», sagt der Deutsche. «Es ist eine Mischung aus schnell und rigide Leute rausschmeißen - aber wenn man klären will, wie kommt man von der Liste wieder runter, dann weiß niemand Bescheid.»

Korrespondenten, die beim türkischen Presseamt akkreditiert sind, hätten nicht zu befürchten, dass ihnen nach einer Auslandsreise die Rückkehr verweigert würde, beteuert der Regierungsvertreter.

Auch akkreditierte Korrespondenten beklagen allerdings wachsenden staatlichen Druck. Sie berichten von Beschwerden über kritische Beiträge - und immer häufiger auch darüber, bei Recherchen von der Polizei festgesetzt und befragt zu werden. Mehrere Reporter überlegen, die Türkei aus diesen Gründen zu verlassen.

Spätestens seit Jahresbeginn geht auch die Sorge um, wer eigentlich künftig noch akkreditiert werden wird. Die Presseausweise müssen jährlich erneuert werden, ohne Akkreditierung haben Korrespondenten keine Arbeitserlaubnis. Dieses Jahr verzögerte sich die Ausstellung der Ausweise so lange, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel besorgt einschaltete. Auch der Druck aus Berlin half im Fall des «Spiegel»-Korrespondenten Hasnain Kazim nicht, seine Chefredaktion zog ihn aus der Türkei ab - weil er über Monate hinweg keinen Ausweis bekam. Die Darstellung aus Ankara: Kazims Antrag sei in Arbeit.

Dass die Arbeitsbedingungen in der Türkei immer schwieriger werden, ist unter westlichen Korrespondenten unbestritten. Angesichts der hitzigen Diskussion in Deutschland über die Türkei gibt es aber auch Stimmen, die zur Mäßigung mahnen. Ein Korrespondent, der ungenannt bleiben will, sagt: «Ich habe jahrelang aus China berichtet, einer Volldiktatur. Da sind wir hier noch lange nicht.»

Ausländische Korrespondenten in der Türkei sind sich allerdings auch einig darüber, dass ihre einheimischen Kollegen unter weitaus schwierigeren Bedingungen arbeiten müssen. Sie müssen im schlimmsten Fall nicht mit der Ausreise rechnen - sondern mit Gefängnis.

Dem Chefredakteur der Zeitung «Cumhuriyet», Can Dündar, und dem Hauptstadtbüroleiter des Blattes, Erdem Gül, wird derzeit der Prozess gemacht. Beiden droht lebenslange Haft. Erst am Montag wurde Dündar außerdem in einem anderen Verfahren zu einer Geldstrafe verurteilt - wegen Beleidigung unter anderem von Präsident Recep Tayyip Erdogan. (dpa)