Tausende Tunesier demonstrieren wegen Wirtschaftskrise gegen Präsident Saïed

Tunis. Tausende Menschen in Tunesien haben vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise gegen Präsident Kais Saïed demonstriert. "Hau ab, hau ab!" und "Aufstand gegen den Diktator Kais!", riefen die Protestierenden in der tunesischen Hauptstadt Tunis am Samstag. Sie machen den Staatschef für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich. Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker und Kaffee knapp, die Inflation ist hoch.



Zu der Demonstration aufgerufen hatte die Nationale Rettungsfront, ein Bündnis von Oppositionsparteien, darunter die islamistisch geprägte Partei Ennahdha. "Wenn die aktuelle Staatsmacht im Amt bleibt, gibt es keine Zukunft für Tunesien. Armut, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung nehmen zu", sagte der ehemalige Regierungschef und Vize-Vorsitzende von Ennahdha, Ali Laarayedh, der Nachrichtenagentur AFP.



Rund 1500 Menschen nahmen nach Angaben des Innenministeriums an der Demonstration teil. Parallel fand eine weitere Kundgebung mit rund 1000 Teilnehmern statt, zu der die mit der Ennahdha konkurrierende säkulare Partei PDL wegen der Verschlechterung der Lebensbedingungen aufgerufen hatte.



In Anspielung auf die stark gesunkene Kaufkraft hielten die Demonstranten leere Einkaufskörbe in die Höhe. Präsident Saïed habe "nichts getan", beklagte die Rentnerin Souad. Seit seinem Amtsantritt 2019 habe sich die Lage "nur verschlimmert". Das nordafrikanische Land leidet seit Jahren unter einer Wirtschaftskrise, die sich durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg weiter verschärft hat. Tunesien ist stark abhängig von Öl- und Getreide-Importen. Inzwischen liegt die tunesische Staatsverschuldung bei über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.



Bei Verhandlungen der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Kredit erzielten beide Seiten am Wochenende eine vorläufige Einigung. Demnach erhält die tunesische Regierung laut einer Erklärung des IWF vom Samstag Wirtschaftshilfen in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar.



Im Gegenzug verpflichtet sich Tunesien über einen Zeitraum von vier Jahren zu einem "umfassenden Wirtschaftsreformprogramm", wonach die Schattenwirtschaft besteuert, "verschwenderische Preissubventionen" abgeschafft und Sozialleistungen ausgebaut werden sollen. Die Einigung bedarf noch der Zustimmung des IWF-Exekutivdirektoriums.



Saïed war Ende 2019 gewählt worden. Im Jahr 2021 entmachtete er unter Berufung auf Notstandsgesetze die Regierung und das Parlament. Er trieb zudem eine Verfassungsänderung voran, die ihm deutlich mehr Macht verlieh. Kritiker befürchten, die Verfassungsreform könnte das Land zurück zu einem autoritären Regierungssystem wie unter dem langjährigen Staatschef Zine el Abidine Ben Ali führen. Dieser war im Jahr 2011 infolge der Massenproteste des sogenannten Arabischen Frühlings entmachtet worden. (AFP)