Vom friedlichen Aufstand zum Krieg der Anderen

Nach Ansicht der deutsch-syrischen Soziologin Huda Zein geht die Eskalation der Gewalt in Syrien in erster Linie auf die Einmischung verschiedener Akteure in den Konflikt zurück. Es habe sich ein Stellvertreterkrieg entwickelt, dessen Eigendynamik nur durch eine internationale Konsenslösung aufgehalten werden könne.

Von Huda Zein

Im März 2011 begann in Syrien der von verschiedenen Gesellschaftsgruppen getragene friedliche Kampf gegen die Diktatur des Assad-Clans. Dessen exzessive Gewalt gegen Zivilisten, inzwischen kann man fast schon von Ausmaßen eines Völkermords sprechen, sowie der fehlende internationale Druck auf das Regime führten zur Bewaffnung der Opposition und zu einer zunehmenden Eskalation des Konflikts. Die Kettenreaktion von Gewalt und Gegengewalt hat sich seitdem verselbstständigt.

Der erbitterte Kampf um jede Stadt, jedes Dorf und jede Straße, die Zersplitterung der Opposition, die fehlende politische Führung und nicht zuletzt die Einmischung verschiedener regionaler wie internationaler Akteure in den Konflikt verursachten die anhaltend chaotischen Zustände in Syrien. Das Land rutscht mehr und mehr in einen Stellvertreterkrieg ab, in dem die Trennlinien zu verschwimmen drohen. Die größten Verlierer dürften dabei wohl die Syrer selbst sein.

Anti-Assad Demonstration in Kafranbel, nahe Idlib; Foto: Reuters/Shaam News Network
Verhängnisvolle Kettenreaktion: Hatte der Protest der syrischen Bevölkerung zu Beginn noch eine rein friedliche Prägung, so führte das brutale Vorgehen des syrischen Regimes zu einer Verselbstständigung der Gewalt und einer Eskalation des Konflikts.

​​Viele Akteure, viele Interessen

Dieser nun zum Krieg gewandelte Konflikt hatte zu Beginn allein den Sturz des Assad-Regimes und den Aufbau eines neuen Herrschaftssystems zum Ziel. Äußerlich trifft dies auch jetzt noch zu, jedoch gibt es eine Reihe anderer Faktoren, die die Situation momentan beeinflussen: Neben dem Regime und der einheimischen Bevölkerung spielen internationale und regionale Großmächte, in Syrien ansässige Minderheitengruppen und nicht zuletzt islamistische Fanatiker eine Rolle.

Viele dieser Beteiligten sind an dem ursprünglichen gerechten und friedlichen Widerstand nicht im Geringsten interessiert. Die Zivilisten, von denen täglich zahlreiche gefangen, gefoltert, getötet oder vertrieben werden, sind für sie nur von marginaler Bedeutung. Besonders für die in Syrien agierenden ausländischen Akteure zählen allein die politischen und wirtschaftlichen Interessen, welche sie in diesem geostrategisch bedeutenden Land verfolgen.

Ein Bruch der Allianz Damaskus-Teheran würde beispielsweise nicht nur die Position Irans in der Region erschüttern, sondern auch den russischen und chinesischen Einfluss im östlichen Mittelmeerraum und der gesamten Region deutlich vermindern. Daher halten diese drei Staaten zum Assad-Regime.

Baschar al-Assad und Mahmud Ahmadinedschad; Foto: AP
Verlässlicher Partner: Teheran hält fest zum Assad-Regime, da sein Sturz die Position Irans in der Region schwächen würde.

​​Die europäischen Staaten und die USA wiederum unterstützen, ebenso wie Saudi-Arabien, Qatar und die Türkei, Teile der syrischen Opposition und des syrischen bewaffneten Widerstands – und zwar je nach Interesse mit unterschiedlichen Mitteln. So bestätigte die Washington Post, dass Waffen und Sprengstoff aus dem Ausland an die syrische Opposition geliefert werden und dass die USA mit regionalen Akteuren, die der Opposition helfen, zusammenarbeiten.

Jedoch sind alle Arten militärischer und nicht-militärischer Unterstützung Formen ausländischer Intervention. Diese Einmischung hat zur Folge, dass der syrische Staat durch die internen Kämpfe an den Rand des Kollapses gebracht wird – und es trotz allem keinen Sieger in diesem Krieg gibt.

Religiöse Instrumentalisierung

Das Assad-Regime wiederum versucht gezielt, konfessionelle Gruppen zu mobilisieren, um aus dem Protest einen religiös und ethnisch motivierten Bürgerkrieg zu entfachen. Es inszeniert sich als Sicherheitsgarant für Minderheiten wie Christen, Alawiten und Drusen und diffamiert den Widerstand als eine Verschwörung ausländischer und regionaler salafistischer Kräfte.

Es lässt Morde und Massaker begehen, die auf einen ethnischen und religiösen Hintergrund schließen lassen sollen und verbreitet gezielt Videos und Dokumentationen von Verhaftungen, Folter, Razzien und anderen Erniedrigungen der Bevölkerung, die angeblich auf Religionszugehörigkeit beruhen.

Bedrohlicher im Hinblick auf die Gefahr einer möglichen religiösen Instrumentalisierung der Situation in Syrien sind jedoch die immer mehr an Bedeutung gewinnenden dschihadistischen Kämpfer.

Die am 29. Juli 2011 von bewaffneten Deserteuren der regulären syrischen Armee gegründete und sich später aus syrischen Zivilisten rekrutierende Freie Syrische Armee (FSA) hat heute nicht nur Syrer in ihren Reihen, sondern auch ausländische sunnitische Kämpfer mit islamistischem Hintergrund, finanziell unterstützt von Staaten wie Saudi-Arabien und Qatar, die auf diese Weise die regionale Vorherrschaft der Sunniten im Nahen Osten sichern wollen.

Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo; Foto: Reuters/Goran Tomasevic
Ungewollte Islamisierung: Große Teile der syrischen Bevölkerung und auch die Führung der Freien Syrischen Armee lehnen die Teilnahme ausländischer Kämpfer mit islamistischem Hintergrund ab.

​​Nicht nur große Teile der syrischen Bevölkerung lehnen deren Teilnahme am Kampf gegen das Assad-Regime ab, auch die FSA-Führung selbst ist besorgt über diese Entwicklung. So forderte General Mustafa al-Scheich im September 2012 die Islamisten aus dem arabischen und nicht-arabischen Ausland auf, Syrien zu verlassen.

Internationale Zusammenarbeit geboten

Syrien gerät durch diesen „Krieg der Anderen“ in einen blutigen und brutalen Abnutzungskrieg, in eine Ethnisierung und Konfessionalisierung der Innenpolitik, welche die Einheit und die Kultur des Landes gefährdet.

Auch die internationale Gemeinschaft trägt hierfür Mitverantwortung, da sie bisher nicht in der Lage war, sich auf eine einheitliche Strategie zur Lösung des Konflikts zu einigen. Aus diesem Grund konnte sie, trotz der zahlreichen Massaker und Gräueltaten der Assad-Schergen, keinen ausreichenden Druck auf das Regime in Damaskus ausüben. Der Fall Syrien wird noch nicht einmal an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen.

Die internationale Staatengemeinschaft und alle in diesen Konflikt involvierten Akteure müssen daher zusammen eine schnelle Konsenslösung erwirken. Als erster Schritt müssen alle Waffenlieferungen unterbunden werden.

Die Weigerung der internationalen Gemeinschaft, Verantwortung für das Leiden der syrischen Bevölkerung zu übernehmen bedeutet letztendlich, dass diese die Serie von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien in Kauf nimmt.

Huda Zein

© Qantara.de 2012

Huda Zein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien an der Universität Marburg.