Ehrenmorde im globalen Kontext einordnen

Rana Husseini, Gerichtsreporterin der "Jordan Times" in Amman und "Expertin für Ehrenmorde" berichtet im Interview mit Rigien Bagekany über Frauenrechte und Demokratie in der arabischen Welt und die Folgen des arabischen Frühlings.

Von Rigien Bagekany

Frau Husseini, wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Umbrüche in der arabischen Welt und welche Rolle haben insbesondere die Medien bei den Volksaufständen bislang gespielt?

Rana Husseini: Ich glaube, dass ein großes Interesse über die Vorgänge in der Region vorherrscht – nicht nur seitens der westlichen Medien, sondern auch von den regionalen arabischen Medien. Hinzu kommen die sozialen Medien, die ebenfalls bis heute eine wichtige Rolle spielen. Jedoch ist es für Journalisten noch immer sehr schwierig, das gesamte Ausmaß der Proteste zu erfassen.

Die Medienberichterstattung verlief bisher eher chaotisch, wenn man bedenkt, dass derzeit noch viel im Umbruch ist. Was wir gegenwärtig in der Region beobachten, ist von großer historischer Bedeutung. Denn diese Umbrüche machen den autoritären arabischen Machthabern klar, dass sie nicht mehr in der Lage sind, unser Leben zu bestimmen und uns unsere Rechte zu entziehen. Die Menschen wissen jetzt, dass sie ihre Stimme erheben können und in der Lage sind, einen Wandel voranzutreiben.

Sie haben die besondere Bedeutung der sozialen Medien angesprochen. Glauben Sie, dass diese Medien auch nachhaltig die arabischen Gesellschaften beeinflussen können?

Husseini: Natürlich haben die sozialen Medien bei den Aufständen eine führende Rolle gespielt, vor allem in Tunesien und Ägypten. Und gewiss werden sie auch in Zukunft das Leben der Menschen beeinflussen; es zeigt sich, dass sie abhängiger von diesen Medien geworden sind. Diese Medien haben ihren gesellschaftlichen Wirkungsgrad erhöht, da sie erfahren haben, dass ihre Botschaften in die Außenwelt übermittelt werden und dort wahrgenommen werden können.

Straßen-Graffiti in Tunis: Thank you Facebook; Foto: Thomas Rassloff/DW
"Thank you Facebook!" - digitale Medien und soziale Netzwerke spielten im Verlauf der Jasminrevolution in Tunesien eine besondere Rolle bei der Organisation der Proteste.

​​Doch müssen wir auch vorsichtig sein: Youtube, Facebook und Twitter verbreiten zwar viele Informationen, doch können auch jederzeit falsche Auskünfte übermittelt werden, Manipulationen sind also auch möglich. Soziale Medien können also auch mitunter genutzt werden, um Menschen zu diffamieren. Ich glaube aber, dass der Vorteil dieser Medien überwiegt. Es ist sehr wichtig, dass wir einen Wandel durch sie erfahren haben.

Einige Experten glauben, dass die Veränderungen in der arabischen Welt auch negative Auswirkungen auf die Frauenrechte haben könnten, wenn etwa religiös-konservative Parteien in einigen arabischen Ländern jetzt versuchen, an die Macht zu kommen.

Husseini: Das ist ein Problem, das wir in Erwägung ziehen müssen. Die Lage in Tunesien und Ägypten aber ist noch zu unübersichtlich für ein abschließendes Urteil, die Zukunft beider Länder zu ungewiss. Dennoch ist sicher, dass Frauen auf massive Hindernisse stoßen werden, falls dort konservative Parteien die Macht ergreifen.

In den letzten 17 Jahren waren Sie sehr aktiv, das gesellschaftliche Tabuthema Ehrenmorde in der jordanischen Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen. Welche Fortschritte haben Sie bislang erzielt?

Husseini: Es gibt inzwischen zahlreiche positive Veränderungen. Unser Hauptanliegen ist es, Leben zu retten und die Frauenrechte zu stärken. Wir haben sehr hart gearbeitet, um bestimmte Fälle von Ehrenmord zu dokumentieren und das öffentliche Bewusstsein für das Thema zu schärfen. Die Justiz nimmt solche Fälle nun sehr viel ernster als dies noch vor einigen Jahren der Fall war auch die Ermittlungen werden nun äußerst sorgfältig durchgeführt. Im Juli 2009 wurde ein spezielles Tribunal innerhalb des Strafgerichtshofs eingerichtet, um Gewalttaten im Namen der Ehre nachzugehen.

Menschen, die solche Verbrechen begehen, müssen jetzt mit einer viel höheren Strafe rechnen, als noch vor ein paar Jahren. Das öffentliche Bewusstsein ist gewachsen; gleichzeitig ist die gesellschaftliche Akzeptanz für solche Verbrechen gesunken. Diese Fälle gelten jetzt eben nicht mehr als Tabuthemen. Es gibt immer mehr Stimmen, die die Regierung auffordern, neue Gesetze gegen Ehrenmorde einzuführen. Jedoch ist es ebenso wichtig, dass sich generell die Einstellung gegenüber Ehrenmorden ändert. Erst dann, kann man wirkliche Veränderungen herbeiführen.

Ehrenmorde ereignen sich häufig in der islamischen Welt, aber auch in vielen Ländern Lateinamerikas. Warum herrscht im Westen die fälschliche Annahme vor, dass Ehremorde ihren Ursprung im Islam haben?

Husseini: Wenn wir auf die Geschichte der antiken Zivilisationen zurückblicken, können wir feststellen, dass Frauen wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr bestraft, getötet und verbrannt wurden. Es ist also falsch, dieses Verbrechen allein mit dem islamischen Kulturkreis in Verbindung zu bringen. Leider übermitteln einige westliche Medien ihrem Publikum nicht das vollständige Bild, wenn sie ausschließlich über diese Fälle im Kontext der islamischen Welt berichten.

Wie Sie erwähnt haben, kommen Ehrenmorde in vielen Ländern vor – unter Menschen mit verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen und nicht nur unter Arabern und Muslimen. Bedauerlicherweise wurde seit den Anschlägen vom 11. September das Image der islamischen und arabischen Welt in den westlichen Medien kontinuierlich mit negativen Bildern assoziiert. Auch das Thema Ehrenmorde wurde in direkten Zusammenhang mit der islamischen Welt gestellt.

Was kann also getan werden, um solchen Zerrbildern und Vorurteilen in der westlichen Öffentlichkeit entgegenzutreten?

Husseini: Das Thema Ehrenmorde müsste in jedem Fall weltweit diskutiert werden. Wenn die westlichen Medien über Ehrenmorde berichten, dann sollten sie auch über diejenigen berichten, die nicht nur in den muslimischen Ländern vorkommen.

Frauen demonstrieren gegen das Mubarak-Regime in Kairo; Foto: dpa
Widerstand gegen Despotie und Fremdbestimmung: "Wir erleben jetzt, dass diese über einen längeren Zeitraum entmündigten Menschen in der Lage sind, Veränderungen in ihren Gesellschaften herbeizuführen", meint Husseini.

​​Wenn zum Beispiel ein Durchschnittsamerikaner seine Frau wegen Ehebruchs tötet, wird keine der Schlagzeilen lauten: 'Christlicher Amerikaner tötet seine Ehefrau'. Doch wenn ein Muslim ein Verbrechen verübt, dann wird dies sofort mit seiner Religion in Verbindung gebracht. Wir brauchen daher einen Dialog, um den Umgang des Westens mit diesen Klischees über Muslime zu ändern, denn das Ansehen des Islams im Westen ist bereits seit einiger Zeit entstellt. Das ist keine wirklich neue Erscheinung.

Die Bevölkerungen der arabischen Welt werden im Westen von einigen Islamkritikern als passiv charakterisiert. Die Menschen in der Region seien außer Stande oder nicht willens, ihre eignen Menschenrechte zu verteidigen. Ist mit dem arabischen Frühling nun das Gegenteil bewiesen oder handelt es sich nur um ein kurzlebiges Phänomen?

Husseini: Die Menschen in der arabischen Welt waren niemals passiv, aber sie wurden lange unterdrückt, verfolgt, physisch gefoltert und wegen Meinungsäußerungen und Widerstand getötet. Die Menschen konnten ihre Meinungen lange nicht frei äußern. Doch werden wir nun Zeitzeugen einer neuen Ära in der arabischen Welt. Wir erleben jetzt, dass diese über einen längeren Zeitraum entmündigten Menschen in der Lage sind, Veränderungen in ihren Gesellschaften herbeizuführen.

Interview: Rigien Bagekany

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de