"Seid stolz auf euren Erfolg"

Während die Integrationsdebatte in Deutschland mit zunehmend offensiver Rhetorik geführt wird, bemühen sich NGOs um Basisarbeit in Sachen Integration. Hülya Sancak besuchte den vom Verband türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa e.V. (ATİAD) realisierten "Tag der türkischen Wirtschaft in Deutschland".

Mercedes 220 SE auf dem Tag der türkischen Wirtschaft in Deutschland; Foto: Hülya Sancak
Gefühlvolle Beziehung von der Produktion bis zur Nutzung: Der Mercedes 220 SE stand unter türkischen Gastarbeitern lange Zeit für wirtschaftlichen Erfolg.

​​ Ein Mercedes 220 SE aus dem Jahre 1964 war eines der ersten Objekte, das auf dem Tag der türkischen Wirtschaft in Deutschland im Congress Center Düsseldorf Aufmerksamkeit erregte. Der Mercedes besaß eine spezielle Bedeutung für die erste Generation der nach Deutschland immigrierten Türken: Früher fuhr man mit einem Mercedes zum Urlaub in die Türkei. Von der Produktion bis zur Nutzung pflegte man eine sehr gefühlvolle Beziehung zum Mercedes. Die türkische Schriftstellerin Adalet Agaoglu schrieb darüber sogar den Roman "Die zarte Rose meiner Sehnsucht" (1976), der auch verfilmt wurde.

Der Geschäftsmann und Oldtimerliebhaber A. Firat Baz hebt diese emotionale Bindung hervor: "Die Türken mögen Autos und viele Menschen mögen auch die Klassiker der 1950er, 60er und 70er Jahre. Anfang der 1960er Jahre arbeiteten viele türkischen Arbeitnehmer der ersten Generation in der Produktion dieses Fahrzeugs. Damals besaßen das Auto und die Marke Mercedes einen weltweiten Ruhm und Ausstrahlung. Dazu haben viele Türken sowie Arbeiter aus anderen Nationen beigetragen. Ich denke, wir müssen uns daran erinnern und auch erinnern lassen. Für diesen Zweck dachte ich, passt so ein nostalgisches Fahrzeug sehr gut."

Der Medienpartner von ATIAD (Verband türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa), die Financial Times Deutschland, hatte eine eigene Wochenendbeilage veröffentlicht. Darin wurde über das Wachstum der türkischen Wirtschaft und den Beitrag türkischer Unternehmer für die deutsche Wirtschaft informiert. In den Artikeln wurden auch Probleme wie die Visumspflicht für türkische Geschäftsmänner, andauernde Integrationsprobleme und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften angesprochen.

"Die Probleme gehören uns allen"

"Kreativität, Leidenschaft und Fleiß: Wirtschafts- und Integrationsfaktor türkischer Unternehmen" hieß das Motto des Tages. Bei der Eröffnungsrede machte der ATIAD-Vorsitzende Recep Keskin auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei aufmerksam.

Wochenendbeilage der Financial Times Deutschland; Foto: Hülya Sancak
Die Financial Times Deutschland widmete dem Tag der türkischen Wirtschaft in Deutschland eine eigene Wochenendbeilage.

​​ Er sagte, dass die Türkei ein wichtiger Handelspartner Deutschlands ist. Keskin wies auch darauf hin, dass in Deutschland rund drei Millionen Türken leben, darunter 80.000 Unternehmer. Prognosen besagten, dass diese Zahl in 10 bis 15 Jahren auf 130.000 ansteigen wird und dies bedeute, dass diese Unternehmen bis zu 70 Milliarden Euro erwirtschaften und 750.000 Arbeitsplätze schaffen werden.

Keskin betonte weiter, dass deutsch-türkische Unternehmer eine zentrale Rolle beim Aufbau von Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei einnehmen.

Wie in der Wirtschaft übernehmen sie auch im Bereich Integration und Berufsausbildung Verantwortung, fuhr Keskin fort: "Hunderte von deutsch-türkischen Jugendlichen brechen jedes Jahr ihre Berufsausbildung ab und verlassen die Schule ohne Abschluss. Sie sind unsere Zukunft, deswegen müssen wir sie auf ihrem Bildungsweg mit allen Mitteln tatkräftig unterstützen. Wir müssen bei den Bildungsprojekten zusammenarbeiten; die Probleme betreffen nicht nur die Deutschen, sondern auch uns, die türkische Gemeinde."

"Wirtschaft und Integration sind untrennbar"

Bildung, Sprache und Integration zeichneten die Schwerpunkte auf dem Tag der türkischen Wirtschaft in Deutschland aus.

Prof. Recep Keskin, Vorsitzender von ATIAD; Foto: Hülya Sancak
Recep Keskin wies auf die Bildungsmisere unter deutsch-türkischen Jugendlichen hin und erklärte: "Wir müssen bei den Bildungsprojekten zusammenarbeiten; die Probleme betreffen nicht nur die Deutschen, sondern auch uns, die türkische Gemeinde."

​​ Der nordrheinwestfälische Minister für Arbeit, Integration und Soziales Guntram Schneider betonte die große Bedeutung der Unternehmer mit Migrationshintergrund sowohl für die Wirtschaftskraft als auch die Integration: "Existenzgründungen und die Selbständigkeit Zugewanderter stärken die Wirtschaftskraft in einer Region, verbessern das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und bieten eine gute Ausgangsbasis für den sozialen Aufstieg der dort arbeitenden Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere der Jugendlichen."

"Wirtschaft und Integration sind untrennbar miteinander verbunden. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der türkischstämmigen Selbständigen mehr als verdreifacht - sie führen inzwischen rund 24.000 Firmen. Die Beschäftigtenzahl liegt bei 120.000. Das Investitionsvolumen beträgt rund 2,7 Milliarden Euro", sagte Schneider und fügte zu: "Das sind Fakten, die für sich sprechen."

Fast alle Redner erwähnten das Thema Sarrazin. Schneider äußerte sich ein wenig detaillierter zur Sarrazin-Debatte: "Was er gesagt hat als jemand, der selbst einen migrantischen Hintergrund hat, ist nicht akzeptabel. Auf diese pauschal verurteilende Weise kann man mit Menschen nicht umgehen." Schneider machte auf das Motto des Tages "Kreativität, Leidenschaft und Fleiß" aufmerksam und sagte: "Ich möchte noch das Wort Stolz hinzufügen: Sie sollten stolz sein auf Ihre Leistung."

Nach einem großen Applaus für seine Worte fügte Schneider in Anspielung auf Sarrazin hinzu, dass die Integration der unterschiedlichen Kulturen in diesem Land viel weiter ist als in den Beschreibungen eines Buchautors.

Die EU-Mitgliedschaft folgt einem ökonomischen und politischen Prozess

Minister Schneider berührte in seiner Rede auch Themen wie das Wahlrecht für Einwanderer ohne deutschen Pass bei den Kommunalwahlen. Er betonte, sich dafür einzusetzen. Das Wahlrecht für diese Menschen, die seit Jahrzehnten im Land lebten, sei wichtig, um ein Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland zu vermitteln.

Integrationsminister von NRW, Guntram Schneider; Foto: Hülya Sancak
Der Integrationsminister von NRW, Guntram Schneider, sagte: "Wirtschaft und Integration sind untrennbar miteinander verbunden. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der türkischstämmigen Selbständigen mehr als verdreifacht ."

​​Zum EU-Beitritt der Türkei sagte Guntram Schneider, dass die
privilegierte Partnerschaft keine Alternative für eine Vollmitgliedschaft ist. Er betonte, dass Deutschland ein wichtiger Investor in der Türkei ist und die Beziehungen zu der Türkei sorgfältig pflegen sollte. Schneider machte auf das Wirtschaftswachstum der Türkei mit einem derzeitigen Wirtschaftswachstum von 11,7 Prozent aufmerksam.

Er brachte zum Ausdruck, dass die Türkei auch ein wichtiger Partner der EU, und eine starke Bindung des Landes zur EU aufgrund einer vernünftigen politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit unvermeidlich sind.

Beispiele der Integration

Der Berliner Botschafter der Türkischen Republik, Ahmet Acet, erklärte in seiner Rede: "Wir können nicht ignorieren, dass wir Probleme im Bereichen Integration und Bildung haben. Erfolg kommt mit einer guten Bildung; diese sollte vom Kindergarten bis zur beruflichen Ausbildung garantiert sein. Dafür müssen wir alle zusammen arbeiten."

Acet wies darauf hin, dass das Jahr 2011 den 50. Jahrestag der türkischen Migration nach Deutschland markiert. Die Fakten zeigten, dass die deutsch-türkischen Unternehmen für den Wohlstand der Gesellschaft arbeiten und auch in die Bildung investieren. "Ihr seid lebendige Beispiele der Integration", fügte Acet hinzu.

Eine privilegierte Partnerschaft haben wir schon

Er betonte auch die wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland und hob die Bedeutung des Landes NRW hervor: "Bundesweit leben ein Drittel der Türken in Nordrhein-Westfalen und ein Viertel der wirtschaftlichen Mobilität findet zwischen der Türkei und NRW statt."

Ahmet Acet, Botschafter der Türkei in Berlin, im Gespräch mit Guntram Schneider; Foto: Hülya Sancak
"Bundesweit leben ein Drittel der Türken in Nordrhein-Westfalen und ein Viertel der wirtschaftlichen Mobilität findet zwischen der Türkei und NRW statt", erklärte der türkische Botschafter in Berlin, Ahmet Acet (links).

​​Acet erklärte, dass seit 1995 mit der Türkei eine Zollunion besteht und es somit bereits eine privilegierte Partnerschaft gibt. Er sprach Visumprobleme an und sagte, dass er eine zufrieden stellende Lösung für das Problem von den deutschen Behörden erwartet.

Das große Interesse an der Veranstaltung zeigte, dass die deutsch-türkische Elite sich der Probleme der türkischen Gemeinde sehr bewusst ist und großes Interesse an politischer, sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe hat. Auch ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den deutschen Institutionen kam dabei klar zum Ausdruck.

Hülya Sancak

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qantara.de

Studie über deutschtürkische Akademiker und Studenten
Verschenktes Potenzial
Sie haben erfolgreich studiert, sind bilingual und in zwei Kulturen heimisch: Die türkischstämmigen Akademiker in Deutschland. Eine Studie legt nun erstmals Zahlen zu dieser Bildungselite vor und bringt überraschende Erkenntnisse zu Tage. Nimet Seker informiert

Interview mit Fırat Sunel
Sprache als Schlüssel zur Integration
Der türkische Generalkonsul in Düsseldorf, Fırat Sunel, ist der Ansicht, dass eine aktive Beteiligung der türkischstämmigen Menschen am gesellschaftlichen und politischen Leben in Deutschland nur durch bessere Bildungschancen möglich ist. Mit ihm hat sich Hülya Sancak unterhalten.

Einwanderer in Deutschland
Am gesellschaftlichen Rand
Während sich die erste Generation der Arbeitsmigranten kaum mit ihrer neuen Heimat identifizieren konnte, verstehen sich Einwanderer der zweiten und dritten Generation als Teil der deutschen Gesellschaft. Dennoch hat sich ihre soziale Stellung kaum verändert. Ein Rückblick von Ülger Polat