Gegen Diskriminierung im eigenen Land

In Tansania, der Heimat der größten muslimischen Bevölkerung Ostafrikas, dominieren in Verwaltung und höherem Bildungswesen die Christen. Um das zu ändern, gründete man die "Muslimische Universität von Morogoro" – die Lehrinhalte sind jedoch säkular. Von Charlotte Wiedemann

Muslimische Universität von Morogoro; Foto: http://www.mum.ac.tz/
An der Muslimischen Universität von Morogoro ist das Kopftuch für alle Studentinnen Pflicht, die Lehrinhalte bleiben aber überraschenderweise weitestgehend säkular.

​​ Eine muslimische Universität, an der vor allem Christen unterrichten? Wo sogar eine Hindu Dekanin ist? Diese Universität existiert tatsächlich: in der Stadt Morogoro, in Tansania. Und ihr eigentümlicher Charakter hat mit blanker Not ebenso viel zu tun wie mit Toleranz.

Ein grünes Eisentor, dahinter ein beschaulicher Campus mit Blumenrabatten. Die private "Muslim University of Morogoro" ist erst fünf Jahre alt und noch im Aufbau begriffen. Von den 1500 Studenten sind fast die Hälfte junge Frauen; die Farben ihrer Schleier prägen den Campus, von schwarz bis zum flammenden Rot. Kopftuch ist Pflicht, das gilt auch für eine Minderheit christlicher Studentinnen. Sie - oder ihre Eltern - wählten diese Universität wegen der behüteten Atmosphäre: kein Alkohol, keine Partys, Geschlechtertrennung.

Tansania wird oft für ein christliches Land gehalten; tatsächlich ist es die Heimat der größten muslimischen Bevölkerung Ostafrikas. Unter den 40 Millionen Tansaniern sehen sich beide Religionen gern in der Mehrheit; der Staat hat deshalb seit langem auf eine Zählung verzichtet.

Fakt ist: In der höheren Bildung und im Staatsdienst sind Muslime stark unterrepräsentiert. Nie stellten sie mehr als ein Fünftel der Studenten, oft weniger. Das Schulwesen ist seit der Kolonialzeit christlich dominiert, vor allem durch die mächtige katholische Kirche. Und wegen eines drastischen Mangels an Oberschulen entscheiden nicht allein die Noten darüber, wer nach der Grundschule weiter lernen darf. Es wird ausgewählt. "Ein Einfallstor für Diskriminierung", sagt Hamza Njozi, der Vize-Kanzler der Universität in Morogoro.

Ein Gefühl von Marginalisierung

Njozi, ein impulsiver, leutseliger Mann, nimmt sich selbst als Beispiel: Obwohl er zu den besten Schülern zählte, durfte er nicht an die Oberschule, wurde erst einmal Bauer. "Ich war ein Opfer meiner Religion." Später schaffte er auf jahrelangen Umwegen die Hochschulreife, wurde Literaturprofessor - und ein Vordenker radikaler muslimischer Kritik am tansanischen Staat. Eines seiner Bücher wurde verboten. "Offiziell ist dieser Staat neutral", sagt Njozi, "doch in den entscheidenden Milieus ist Christ-Sein die Norm und Muslim-Sein ein Sonderfall."

Schüler der ersten Klasse in Tansania; Foto: DW
Muslime waren im tansanischen Bildungssystem und in der Verwaltung lange benachteiligt, da Präsident Nyerere, selbst Katholik, nach der Unabhängigkeit die gebildeten Christen in der Verwaltung bevorzugte. Dieser Umstand führte unweigerlich zu Spannungen zwischen den beiden Religionsgruppen.

​​ Vor dem Hintergrund ihrer Geschichte ist der Statusverlust der tansanischen Muslime besonders dramatisch. Kisuaheli, die Sprache Tansanias, war ursprünglich die Sprache der Küsten-Muslime: Die Suaheli, weltoffene Händler, hatten eine Literatur in arabischer Schrift, lange bevor die Afrikaner im Landesinnern ans Schreiben dachten. Die deutschen Kolonialherren machten sie zu Verwaltungsgehilfen und erklärten Kisuaheli zur Amtssprache der Kolonie. Muslim-Sein hatte damals einen Nimbus der Überlegenheit.

Als die Kolonie nach dem Ersten Weltkrieg an die Briten fiel, bekamen christliche Missionare freie Hand; sie züchteten eine neue, meist katholische Bildungselite heran. Nach der Unabhängigkeit 1961 bevorzugte der erste Präsident Julius Nyerere, selbst Katholik, die gebildeten Christen als Verwaltungskader.

Heutzutage verschärft sich bei vielen Muslimen ein Gefühl von Marginalisierung. Die Tatsache, dass Tansania derzeit von einem muslimischen Präsidenten regiert wird, ändert daran nichts. Muslime, die es in der korrupten Politik auf hohe Posten geschafft haben, gelten bei zornigen Glaubensgenossen als Opportunisten in einem "christlichen System"; sie hätten Glaube und Würde verraten. So überkreuzen sich die Spannungen zwischen Christen und Muslimen mit Spannungen innerhalb des muslimischen Lagers.

Christliche Dozenten

Aus dieser Situation heraus entstand 2005 die Muslimische Universität. Der damalige Staatspräsident Benjamin Mkapa, ein Christ, wollte vor seinem Ausscheiden aus dem Amt ein Signal der Versöhnung senden; er schenkte den Muslimen den Campus in Morogoro, ein ehemaliges staatliches Trainingszentrum für Elektroingenieure.

Das Geschenk löste unter den staatskritischen Vordenkern der muslimischen Sache heftigen Streit aus: Nur Gebäude mit nichts drin, nach Jahrzehnten der Diskriminierung?! Hamza Njozi schlug sich damals auf die Seite der Pragmatiker. Hatten Muslime nicht schon seit der Unabhängigkeit von einer eigenen Universität geträumt?

Benjamin Mkapa; Foto:AP
Der frühere Staatspräsident Tansanias, Benjamin Mkapa (links), schenkte daher den Muslimen den Campus in Morogoro als Zeichen der Versöhnung.

​​ Njozi ist heute der exekutive Leiter; offiziell steht eine Frau an der Spitze der Uni. Im tansanischen System hat Mwatumu Malale als Kanzlerin zwar nur eine zeremonielle Rolle, dennoch setzte ihre Berufung ein Zeichen. Als nächstes überrascht der weitgehend säkulare Lehrstoff.

Die meisten Studenten sind angehende Lehrer; das hat auch finanzielle Gründe: Für solche Mangelberufe vergibt die Regierung Studienkredite, und damit können wiederum die rund 600 Dollar Studiengebühren pro Jahr bezahlt werden. Diese Gebühren sind bisher die wesentliche Einnahmequelle der privaten Uni; außerdem kommt Geld von tansanischen Geschäftsleuten. Abkommen mit der saudischen "World Assembly of Muslim Youth" und der Aga-Khan-Universität in Karachi haben sich bisher nicht finanziell ausgewirkt. "Wahrscheinlich wollen die erst mal sehen, dass wir keine Terroristenschmiede sind", brummt Njozi.

Die Journalistenausbildung an der Uni ist säkular; im Studienfach Jura ist ein Sharia-Teil nur ergänzend – und selbst das wurde von einem christlichen Experten abgesegnet. Denn alle Curricula bedürfen in Tansania staatlicher Genehmigung, und der Kreis der wissenschaftlichen Gutachter, die von der Regierung betraut werden, besteht vorwiegend aus Christen.

Weil es so wenig hochqualifizierte muslimische Akademiker gibt, unterrichten an der Muslimischen Uni mehr Christen als Muslime, meist als externe Dozenten. "Wir wollen gute Leute, sonst schneiden wir uns ins eigene Fleisch", sagt Njozi lapidar. Die Dekanin der naturwissenschaftlichen Fakultät ist sogar eine Hindu, eine fröhliche Inderin mit rotem Fleck auf der Stirn.

Der Unterschied zwischen islamisch und muslimisch

Der Unterschied zwischen islamisch und muslimisch ist bei dieser Lehranstalt eklatant. "Diese Uni ist muslimisch", erklärt der Vizekanzler, "weil sie Muslimen gehört, von ihnen geleitet und finanziert wird. Und weil die meisten Studenten Muslime sind." Islamisch seien vor allem die Werte, denen die Studenten folgen sollen, "eine Erziehung zu Würde und Selbstlosigkeit". Die Lehrerstudenten verpflichten sich, später auch in abgelegenen Landesteilen zu unterrichten.

Hamdun Sulayman, Dekan und Leiter der Qualitätskontrolle, ist erleichtert, dass die Uni gerade eine Überprüfung durch den Inter-Universitären Rat Ostafrikas bestanden hat. Sulayman hat selbst in den Vereinigten Arabischen Emiraten studiert und in Südafrika promoviert. Nach seinem Traum befragt, antwortet er: "Ich träume davon, dass wir in dieser Gesellschaft Einfluss haben. Wenn künftig für hohe Posten im Staat nicht-korrupte Leute gesucht werden, dann sollen sie von hier kommen."

Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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Website der Muslim University of Morogoro