König der Nacht 

Viele Berichte über Iran fokussieren sich auf das Leben der Teheraner Mittelschicht, wodurch das Bild unvollständig bleibt. Auch der neue Film "Chevalier Noir“ spielt in diesem Milieu. Gelingt es dem Film, ein facettenreicheres Bild des Landes zu zeigen? Lisa Neal hat ihn für Qantara.de gesehen.

Von Lisa Neal

Nach einem Streit brüllt der Vater seinem Sohn Iman hinterher, er solle sich zuhause nie mehr blicken lassen. Iman flüchtet zu einem Freund, Haiduk. Dieser, ein zerknautschter Maler, der mit seiner Katze "Pistache“ in einem zerbröckelnden Haus lebt, bietet seinem Freund Iman an, bei ihm zu bleiben. "Du kennst dich ja aus. Wir können zusammen depressiv sein“, sagt er. In diesen unaufgeregten und nicht einmal zynischen Ton, den den Film anschlägt, fließen viele wichtige Themen wie nebenbei ein. Es sind Themen, die großflächig zur Realität von Menschen im Iran gehören: Generationenkonflikte, Geldsorgen und Depressionen.  

In der eigentlichen Geschichte des Films "Chevalier Noir“ (Schwarzer Ritter) geht es um eine Woche im Leben zweier Brüder, Iman und Payar. Es ist keine gewöhnliche Woche, denn sie beginnt in der Nacht vor dem Begräbnis ihrer Mutter. In dieser Nacht erhält Iman einen Anruf von einem iranischen Freund,  der sonst in Los Angeles lebt. Er soll für ihn Drogen zum Feiern besorgen. Iman, immer in Bewegung, verspricht, sich darum zu kümmern.  

Parallel zu den neuen Umständen zuhause müssen sich Iman, Payar und ihr Vater um einen Familienstreit kümmern. Es geht um große Ländereien, die das noch verbliebene Vermögen der Familie darstellen. Iman macht es sich zu seiner Mission, dass dieses Land nicht verkauft wird. Währenddessen wird das Wasser in ihrer Wohnung abgestellt, der Vater weigert sich, sich darum zu kümmern.

Ein Drogensüchtiger nimmt Crystal Meth in Teheran; Foto: AP Photo/Ebrahim Noroozi) 
Ein Drogensüchtiger raucht Crystal Meth in den Straßen von Teheran. Mehr als zwei Millionen Iranerinnen und Iraner gelten als drogensüchtig. Drogen spielen in jeder Gesellschaftsschicht Irans aus unterschiedlichen Gründen eine Rolle: zum Spaß, aus Sucht, als Ausweg aus Depressionen. Die Schicht, in der sich der Film bewegt, konsumiert vor allem Partydrogen, Alkohol und Opium.  

Er sackt immer mehr in sich zusammen und rutscht ab in eine Welt aus Schmerz, Opium und verdunsteter Autorität. Payar bleibt bei ihm, er möchte Profiboxer werden und dafür verzichtet er auf Partys. Iman dagegen wird von seinem Freund aus Los Angeles damit beauftragt, Nachschub an "Superkoks“ zu organisieren. Das macht Iman zum "König der Nacht“. Doch nicht für lange.  

Partydrogen, Alkohol und Opium

Drogen spielen in jeder Gesellschaftsschicht Irans aus unterschiedlichen Gründen eine Rolle: zum Spaß, aus Sucht, als Ausweg aus Depressionen. Die Schicht, in der sich der Film bewegt, konsumiert vor allem Partydrogen, Alkohol und Opium.  

Drogenkonsum ist ein großes Problem im Iran. Von Afghanistan und Pakistan gelangen über das Transitland Iran vor allem Heroin und Opium in die Nachbarländer, aber auch nach Europa. Im Iran sind Drogen kriminalisiert und verstoßen gegen die strengen moralischen Regeln der Theokratie. Deshalb werden im Iran Süchtige in erster Linie als Kriminelle behandelt, das geht so weit, dass auf 17 verschiedene Drogen-Delikte die Todesstrafe steht.



Die strenge Handhabung schützt die Menschen jedoch nicht, denn es fehlt an gesundheitlicher Aufklärung. Immerhin gibt es seit einigen Jahren wieder mehr Entzugskliniken und sogar eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker.  



Hinter den Erzählsträngen über die Geschäfte mit Drogen und ihren Konsum geht es in dem Film jedoch um noch etwas Tieferliegendes. "Es ist alles ein Vermächtnis“ steht am Ende des Abspanns. Der Satz bringt damit zwei psychologische Motive zusammen, die den Regisseur und Drehbuchautor Emad Aleebrahim Dehkordi umtreiben: Vererbung und Rache.

 



 

 

Diese Motive zeigen sich in den Streitereien um das Land der Familie und um das Haus von Malerfreund Haiduk. Sie zeigen sich daran, wie wütend der Vater wird, als er Iman dabei erwischt, wie er einen Teppich der Mutter verkaufen will. Was lange in der Familie war, wird nicht weggeben, lautet eine ungeschriebene Regel. Das Motiv der Rache zeigt sich darin, wie schnell Konflikte in Gewalt münden und mit Gegengewalt beantwortet werden.  

Der Film zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der Teheraner Mittelschicht, in dem auch die Diaspora-Iraner eine Rolle spielen. Sie wirken zum Teil ungehemmter, weil sie wieder weggehen können, und weil sie den Dagebliebenen mit ihren neuen Erfahrungen indirekt vor Augen halten, wie langweilig das Leben in Teheran ist, weil man seine Möglichkeiten nicht ausschöpfen kann.

Ein Leben voller Langeweile

Der Film überrascht, weil er den Zuschauer spüren lässt, wie langweilig das eingeengte Leben in Teheran sein kann. Wem offiziell so vieles verboten ist, der sucht sich seine Schlupflöcher. Die Figuren im Film finden verschiedene Wege, mit Langeweile und den anderen Herausforderungen umzugehen. 

Iman bewegt sich in den gehobenen Teheraner Kreisen, bleibt aber immer etwas außen vor, weil er wenig Geld hat und ein Drogenbeschaffer ist. "Wenn sie dich schnappen, bist du tot“, sorgt sich sein Freund Haiduk. "Wie sollen sie mich kriegen?“, antwortet Iman, "diese Leute sind unantastbar.“ Iman wähnt sich in Sicherheit, weil er nicht auf der Straße dealt, sondern genau diese gut vernetzte Schicht bedient. Beziehungen machen einen großen Unterschied im Iran und können viele Vorteile bedeuten.  

 

 

Dass es dem Film gelingt, eine realistische Innenperspektive aufzugreifen, liegt daran, dass der Regisseur Emad Aleebrahim Dehkordi das Leben in Teheran gut kennt, obwohl er inzwischen in Frankreich lebt. Seine eigene Geschichte deutet er in der Figur der Hanna an, der Nachbarin der beiden Brüder.

Dehkordi hörte 2012 von einem Familienstreit, den er in abgewandelter Form zur Grundlage des Films machte. Die Geschichte spielt sich innerhalb einer Woche ab, die einzelnen Stränge fließen ineinander. Allerdings fehlt dem Film eine klare Zuspitzung, die Ereignisse reihen sich aneinander.  

Die Faszination des Regisseurs für die Erzählcodes persischer Märchen bereichern die Ästhetik des Films, wie zum Beispiel an der bestickten Motorradjacke von Iman ersichtlich. Gleichzeitig durchtränken sie den Film mit so viel subtilen Anspielungen, dass diese auch dann nicht klar werden, wenn man sich den Film ein zweites Mal anschaut.

Es muss zwar nicht alles auserzählt werden, aber etwas mehr Klarheit hätte dem Tempo des Films gutgetan. Zehn Jahre dauerte es diesen Film fertigzustellen, der erkennbar ein Erstlingswerk ist. 

Der Film erzählt von Aspekten des iranischen Lebens – wie exklusiven Partys, Drogendeals und Langeweile –, die bisher selten gezeigt wurden. Gleichzeitig sind auch diese Geschichten kein Portrait einer Generation. Dafür sind die Kreise, in denen der Film spielt, zu exklusiv. Dennoch ist er ein wertvolles kleines Puzzleteil, um einen vielfältigeren Eindruck vom Leben in Iran zu erhalten. 

Lisa Neal

© Qantara.de 2023