Der plurale Charakter islamischer Kultur

Im 18. Arrondissement von Paris, in dem es eine große islamische Gemeinschaft gibt, wurde auf Initiative des Rathauses von Paris das "L'Institut des Cultures d'Islam – Paris" gegründet. Seine Aufgabe ist es, die Vielfalt der islamischen Kulturen zu vermitteln. Suleman Taufiq sprach mit der Direktorin Véronique Rieffel.

Véronique Rieffel; Foto: www.institut-cultures-islam.org
"Wir im Institut der islamischen Kulturen respektieren, dass es mehrere Religionen und Glaubensgemeinschaften in Frankreich gibt und der Islam nur eine unter ihnen ist", erklärt Véronique Rieffel.

​​Woher kommt die Idee, das Institut für die Kulturen des Islam zu gründen? Braucht Paris wirklich eine neue Institution, die sich mit den islamischen Kulturen befasst?

Véronique Rieffel: Die Idee zur Gründung des Institut stammt vom Oberbürgermeister von Paris Bertrand Delanoë. Er wurde in Tunesien geboren und besitzt viele schöne Erinnerungen an die Kultur seines Landes. Von ihm stammt die Idee, einen Ort zu finden, an dem die verschiedenen Kulturen des Islam sich mit der französischen auseinandersetzen. Ein offenes Forum, nicht nur für die Muslime, sondern für alle Menschen, ob sie nun religiös sind oder nicht. Kultur steht hier im Dienst des Dialogs und des Wissens, des Verstehens und des gegenseitigen Respekts.

Der Islam ist heute die zweitgrößte Religion in Frankreich und spielt vor allem in Paris eine bedeutende Rolle. In Frankreich leben über sechs Millionen Franzosen mit islamischem Hintergrund. Sie sind ein Bestandteil dieser Stadt, aber man weiß kaum etwas über sie, oder sie sind schlecht angesehen.

Der Islam ist nicht einheitlich. Er hat verschiedene und vielfältige Kulturen. 1926 wurde mit Unterstützung der Stadt die große Moschee von Paris gebaut; als Anerkennung für die Muslime, die im Ersten Weltkrieg für Frankreich gekämpft hatten. Das war das erste islamische Projekt in Frankreich. 1980, in der Zeit von François Mitterrand, wurde das Institut der arabischen Welt gegründet, das sich mit der arabischen Kultur beschäftigt. Aber der Islam ist nicht nur arabisch. Die Mehrheit der Muslime ist nicht arabisch. So entstand die Idee ein Institut zu errichten, das sich mit allen Kulturen des Islams beschäftigt. Das ist das dritte Projekt des französischen Staates.

Francois Morellet; Foto: www.institut-cultures-islam.org
"Wir werden demnächst eine Ausstellung organisieren, die zeigt, wie sich der Künstler Francois Morellet mit der islamischen Architektur in Spanien auseinandergesetzt hat", sagt Rieffel.

​​Es ist außergewöhnlich, dass ein Land wie Frankreich beschließt, ein Institut für islamische Kulturen zu finanzieren. In Frankreich, der "Mutter des Laizismus", gibt es eine schließlich strikte Trennung zwischen Religion und Staat.

Rieffel: Das Gesetzt des Laizismus von 1905 wurde verabschiedet, um die Macht der katholischen Kirche über den Staat zu beenden. Es ist kein Gesetz gegen die Religion, im Gegenteil, es steht für Pluralismus und Vielfalt. Wir im Institut der islamischen Kulturen respektieren, dass es mehrere Religionen und Glaubensgemeinschaften in Frankreich gibt und der Islam nur eine unter ihnen ist. Wir streben nicht danach, ein religiöses Projekt in Gang zu setzen. So wie wir den Laizismus verstehen, sind wir nicht gegen die Religion, sondern nur gegen die Macht der Religion.

Aber in Frankreich gibt es ein Gesetz, das alle religiösen Symbole im öffentlichen Bereich verbietet; an den staatlichen Schulen ist Religionsunterricht sogar verboten. Und Ihr Projekt wird vom Steuerzahler finanziert. Gibt es da keine rechtlichen Bedenken?

Rieffel: Das Institut hat keine religiöse Ambitionen, sondern nur kulturelle. Mit diesem kulturellen Anliegen unterstützt es den Prozess, den Islam besser zu verstehen. Der Islam hat wie jede Religion eine strenggläubige Seite und eine politisch unbedenkliche kulturelle Seite. Wenn Sie den Louvre besuchen, finden Sie dort ganze Säle mit religiösen Symbolen. Wenn ein junger Mensch dort ein Bild von Maria mit dem Kind sieht, überlegt er sich vielleicht, wer diese Frau ist. In der Schule hat er über die Religionen und ihre Geschichten kaum etwas gelernt. Aber er will wissen, wer diese Frau und dieses Kind ist. So verwandelt sich dieses Bild mit der religiösen Dimension in ein kulturelles Symbol.

Begrenzt das Institut seine Aktivitäten auf die Situation in Frankreich oder will es seine Tätigkeit auf der europäischen Ebene ausbauen?

Große Moschee von Paris; Foto: Wikipedia
Große Moschee von Paris: "Wir müssen alle unsere Vorstellungen von den islamischen Kulturen noch einmal überprüfen", meint Rieffel.

​​Rieffel: Bis heute verbinden die Franzosen den Islam mit dem alten Kolonialismus und mit der Migration. Nach dem Fall der Mauer in Berlin änderte sich alles, auch in Frankreich. Wir müssen alle unsere Vorstellungen von den islamischen Kulturen noch einmal überprüfen. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Hauptstädten, wie Berlin oder Madrid, damit so etwas wie ein "europäischer Islam" entsteht, der dann ein Teil der europäischen Kultur werden könnte. Wir müssen einen Dialog führen, damit der Islam in Europa sich unabhängig macht von anderen islamischen Länden.

In vielen Ländern mit islamischer Mehrheit leben auch Menschen, die anderen Religionen und Glaubensrichtungen angehören. Sie gehören auch zum kulturellen Gebilde dieser Länder. Viele von ihnen leben auch in Frankreich. Haben diese Leute auch einen Platz in diesem Institut?

Rieffel: Wir unterscheiden zwischen dem Islam als Religion und dem Islam als Kultur. Wir versuchen eine Verbindung zwischen den beiden Begriffen, damit der religiöse Islam sich zum laizistischen und kulturellen Islam hin öffnet. Wenn wir vom kulturellen Islam sprechen, meinen wir auch die Menschen, die nicht Muslime sind, aber aus diesen islamischen Ländern stammen. Wir wollen über den Islam, der auf andere Kulturen Einfluss hatte und selbst andere Kulturen beeinflusste, informieren.

Nehmen Sie zum Beispiel den bekannten französischen Künstler Francois Morellet. Als er 1965 zum ersten Mal Andalusien besuchte und die Alhambra und die Architektur in Sevilla sah, war er begeistert. Wir werden demnächst eine Ausstellung organisieren, die zeigt, wie sich Morellet mit der islamischen Architektur in Spanien auseinandergesetzt hat. Das weiter gefasste Thema ist: die Beziehung zwischen der modernen westlichen Kunst mit der arabisch-islamischen.

Diese Auseinandersetzung mit der islamischen Kultur finden wir auch in Arbeiten von Paul Klee, Henri Matisse und Eugène Delacroix. Sie waren von der Kunst in der islamischen Kultur stark beeinflusst. Der Westen hat diesen Einfluss meist verleugnet. Es gibt sogar Personen, die meinen, der Orient habe mit dem Westen kulturell nichts zu tun. Durch unsere Aktivitäten versuchen wir, diese bestehende alte Beziehung zwischen Ost und West und ihre wechselseitige Befruchtung wiederzubeleben.

Interview: Suleman Taufiq

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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