Kampf um die Frauenquote im Parlament

Die türkische Frauenrechtsorganisation KADER bemüht sich seit langem darum, den Anteil weiblicher Führungskräfte in der türkischen Politik zu erhöhen. Henriette Wrege berichtet.

Die türkische Frauenrechtsorganisation KADER bemüht sich seit langem darum, den Anteil weiblicher Führungskräfte in der türkischen Politik zu erhöhen - so zum Beispiel durch eine 30-prozentige Frauenquote, die noch vor den kommenden Parlamentswahlen festgeschrieben werden soll. Henriette Wrege berichtet.

Als unter Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, das erste Parlament zusammentrat, betrug der Frauenanteil 4,5 Prozent. Das war zwar nicht viel, aber doch immerhin mehr als im heutigen Parlament. 18 weibliche Abgeordnete zogen damals in die Volksversammlung ein.

Atatürk hatte die Gleichberechtigung von Mann und Frau per Dekret von oben erlassen. Allerdings seien die weiblichen Abgeordneten von Atatürk handverlesen worden, sagt die Rechtsanwältin und Vorsitzende der türkischen Frauenrechtsorganisation KADER, Seyhan Eksioglu. Es hätten sich nämlich auch Frauenrechtlerinnen um die Parlamentssitze beworben. Sie kamen jedoch nicht zum Zug.

Benachteiligung von Frauen in der Politik

Heute sitzen 24 Frauen im Parlament - elf gehören zur Fraktion der sozialdemokratischen CHP und 13 zur Fraktion der regierenden, islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), so die Anwältin:

"Im türkischen Parlament beträgt der Frauenanteil heute 4,2 Prozent. Es ist schwierig, diesen geringen Frauenanteil auf 50 Prozent zu erhöhen", sagt Seyhan Eksioglu. "Wir fordern daher, dass die 30-prozentige Frauenquote im Wahlgesetz festgeschrieben wird."

Die Gesetzesänderung solle so schnell wie möglich verabschiedet werden, damit sie noch vor den nächsten Parlamentswahlen in Kraft treten kann. Das würde bedeuten, dass 165 Frauen ins Parlament gewählt werden müssten, so Eksioglu:

"Wir verhandeln derzeit mit der Regierung. Dort hat man uns bereits Unterstützung signalisiert. Flankierend wird KADER eine große Öffentlichkeitskampagne beginnen, um die Bevölkerung für dieses Thema zu sensibilisieren. Und wir werden uns mit den 24 Parlamentsabgeordneten und allen am Thema interessierten Frauengruppen treffen."

Die Argumente gegen eine Frauenquote in der Türkei ähneln denen, die man überall auf der Welt hören kann. Die betroffenen Frauen wollten angeblich keine Hilfe von außen in Anspruch nehmen. Sie würden es schon alleine schaffen, und eine Frauenbevorzugung würde der Verfassung widersprechen.

Dies sei jedoch falsch, sagt die Juristin Seyhan Eksioglu. Laut Verfassung sei der türkische Staat sogar verpflichtet, die Chancengleichheit von Männern und Frauen durch geeignete Maßnahmen herzustellen.

Frauenquote in der AK-Partei

Anfang des Jahres hat sich die regierende AK-Partei selbst verpflichtet, den Frauenanteil in den verschiedenen Parteigremien zu erhöhen. Die Partei habe zwar beschlossen, den Frauenanteil in allen Entscheidungsgremien auf 30 Prozent heraufzusetzen, dieser Beschluss sei jedoch nicht rechtsverbindlich und könne jederzeit widerrufen werden, kritisiert Eksioglu.

Wenn nun die islamisch-konservative AKP beginnt, den Anteil der politisch aktiven Frauen zu erhöhen, wird das gleichzeitig bedeuten, dass der Weg der Frauen ins Parlament nur über das Kopftuch zu führen sein wird, fürchtet Seyhan Eksioglu.

Ihre Frauenorganisation KADER versucht trotzdem erst einmal unabhängig vom Parteibuch, Frauen dazu zu ermuntern, in die Politik einzusteigen: "Wir haben in verschiedenen Provinzen unsere Schulen für Politikerinnen aufgebaut. In diesen Projekten haben wir vor allem politisch interessierte Frauen mit aktiven Politikerinnen zusammengebracht. Das Ziel ist, Frauen darin zu bestärken, den Parteien beizutreten und so ihr Selbstbewusstsein zu stärken, so dass sie dann für alle möglichen Ämter und Positionen kandidieren."

Es sei zwar ein Erfolg, dass seit einiger Zeit in der Türkei die Zahl der Frauen, die auf den verschiedenen Ebenen kandidieren, steige. Das bedeute jedoch nicht, dass sie auch gewählt werden, so Eksioglu. Dafür müssten sie einen Platz oben auf den Kandidatenlisten erreichen. Deshalb fordert ihre Organisation innerparteiliche Quoten, damit Frauen auch für aussichtsreiche Posten nominiert werden können.

Henriette Wrege

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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