Von Palästina auf die Weltbühne

Faraj Suleiman im Odeon Theater Amman
International gefeierter Musiker: Faraj Suleiman bei einer Aufführung im Odeon Theater Amman, Jordanien (Foto: Razan Fakhouri Photography)

Der Pianist Faraj Suleiman hat mit ornamentreichem Spiel und wuchtiger Rock-Energie einen ganz eigenen Stil geprägt. In einer denkbar schwierigen Zeit ist "As Much As It Takes“, das neue Werk des in Israel lebenden Palästinensers, erschienen.

Von Stefan Franzen

Als westliche Journalisten verfallen wir oft in den Reflex, palästinensischen Musikern Antworten zum Konflikt zwischen der Hamas und Israel abzuverlangen. Doch was, wenn die Künstler sich aus dieser Diskussion heraushalten wollen? 

Es ist ihr gutes Recht - genauso, wie man deutschen Musikern beispielsweise kein Gespräch über die AfD oder Waffenlieferungen ins Ausland aufzwingen kann. Um vorzubeugen, kommt am Abend vor dem Zoom-Interview mit Faraj Suleiman die Anweisung von seiner Plattenfirma: Bitte keine Fragen zum Nahost-Konflikt. Wohlgemerkt: Wir befinden uns noch in der Zeit vor dem 7. Oktober.  

Kurz nachdem Faraj Sulejmans Album "As Much As It Takes“ dann erscheint, ist die Welt im Nahen Osten eine andere. Und Radiostationen und Redaktionen befinden es unmittelbar nach dem Terroranschlag und im beginnenden Gaza-Krieg zunächst als zu heikel, einen Artikel oder Beitrag über ihn zu veröffentlichen. 

Der im israelischen Haifa lebende Suleiman ist ein Paradebeispiel dafür, wie an sich unpolitische Musik angesichts des furchtbaren Hamas-Terrors und Israels nun schon über 100 Tage währender Gegenreaktion zwangsläufig zum Politikum wird. Doch um einem Musiker gerecht zu werden, muss man sein Werk losgelöst von politischen Ereignissen beurteilen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Veröffentlichung stehen.   
 
 

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Orientalische Melodien im Kopf

Faraj Suleiman wächst im nordpalästinensischen Rama auf. Schon als kleiner Junge wird er zu Klavierstunden verdonnert, doch er protestiert. Warum muss er drinnen sitzen, sich durch Bach und Beethoven ackern, während seine Freunde draußen Fußball spielen? Er kehrt der Musik den Rücken, findet erst fünfzehn Jahre später zu ihr zurück. 

Suleiman merkt, dass viele Melodien in ihm schlummern – und er entscheidet sich für den professionellen Weg des Komponisten und Bühnenmusikers. Sein Stil wird unverwechselbar. "Ich denke, diese orientalischen Melodien sind einfach in meinem Kopf“, sagt er. "Vor ihnen kann ich nicht davonlaufen. Meine Musik entspricht meiner Art zu leben, meiner Kultur, meinem Essen. Das ist das Wichtigste für mich: Deine Kunst muss deiner Umgebung entsprechen.“  

Suleiman ist zwar mit der Musik seiner Heimat groß geworden und manche seiner Stücke hören sich so an, als hätte er ein Volkslied aufgegriffen. Konkrete Verarbeitungen von Volksmusik aber umgeht er. Vorbilder hat er weniger im amerikanischen oder europäischen Jazz gefunden als im Piano-Stil des Armeniers Tigran Hamasyan. 

"Beide haben wir unsere eigene, orientalisch geprägte Musik und beide haben wir große Kenntnis von Klassik und Jazz. Wenn man uns zuhört, hört es sich überhaupt nicht nach New York oder Europa an. Ich möchte meine ursprüngliche Seele beim Komponieren behalten.“ 
 
Schaut man sich den schon richtig großen Katalog an Veröffentlichungen des Palästinensers an, fällt auf, dass er neben seinen instrumentalen Jazzalben auch ein paar Scheiben mit Songs herausgebracht hat. Zwei Seelen wohnen in seiner Brust, gibt er selbst zu. 

Auf den CDs "Upright Biano“ und "Better Than Berlin“ hat er Stücke geschrieben, die mal an modernes arabisches Chanson, mal an rockopernartige Atmosphäre à la Queen erinnern. Aus den bilderreichen Versen seines Texters Majd Kayyal lassen sich denn auch Bezüge zur Politik herauslesen.

Cover von Faraj Suleimans Album "As much as it takes"
Erschienen in schwierigen Zeiten: Cover von Faraj Suleimans neuem Album "As much as it takes" (Quelle: Two Gentlemen, Schubert Music Publishing & Seochan)

Melancholische Betrachtungen

Diese Bezüge sind aber nicht aktionistisch, sondern eher melancholische bis verzweifelte Betrachtungen über die Lage der Palästinenser, und sie drücken den Wunsch nach Frieden aus. "Niemand auf dem alten Markt von Nazareth will meine Sorgen kaufen, kein Apotheker in Jerusalems Altstadt meine Tränen mischen“, heißt es etwa in "Unnamed Street“, und weiter: "Nichts bricht das Schweigen der Traurigkeit außer angstvolle Fragen.“

Und in "Down With London Bridge“ entlarvt Texter Kayyal die Absurdität von Verwünschungen gegen das britische Empire, eingebettet in ein viertelstündiges Rock-Hörspiel. 

Auch ohne Texte erzählt das neue Album "As Much As It Takes“ eine Geschichte: die eines Kindes, das hartnäckig das Ziel verfolgt, seine Musik eines Tages auf die großen Bühnen zu bringen. Natürlich steckt da auch eine Portion Autobiographie drin, denn heute konzertiert Suleiman von Toronto bis Montreux, hat Bands in Israel, Paris, der Schweiz und Berlin.

"Das Album beschreibt diese Reise von dem Moment an, in dem ich die Musik entwerfe, bis zur Ankunft in den Konzertsälen der ganzen Welt“, sagt er.  

Die arabische Laute Oud und die E-Gitarre schaffen gemeinsam als Dialogpartner des Klaviers eine intensive, manchmal fast aggressive Atmosphäre. Doch es gibt auch die verhaltenen, balladesken Töne auf "As Much As It Takes“, etwa in der Widmung an seinen Geburtsort Rama oder in der "Oriental Melody“ mit Gast Erik Truffaz an der Trompete. 

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Auf dem Weg zu einer palästinensischen Musik

Heute lebt Faraj Suleiman nicht mehr in Palästina, sondern im israelischen Haifa, er nennt die Stadt, in der er seit 20 Jahren lebt mit hörbarem Herzblut in der Stimme "mein Zuhause“. Er schätzt dort die lockere Atmosphäre, den Strand, die netten Leute. "Meistens nett“, fügt er dann noch hinzu.  

Ob er sich als Vertreter einer neuen palästinensischen Musik sieht? "Bis zum heutigen Tag kann man nicht von einer 'palästinensischen Musik‘ sprechen“, so seine Einschätzung. "Wir müssen mit einer Besatzung zurechtkommen und hatten bisher keine Zeit, eine typische Musik zu erschaffen oder eine Kunst. Seit höchstens 20 Jahren kommt so etwas wie eine palästinensische Musik in Gang. Und da kann man zwar ein paar Jazzsachen finden - aber Hip-Hop und Rap, die alternative Szene, die sind dominierend.“  
 
Es dürfte in der kommenden Zeit nicht leichter werden für palästinensische Musikerinnen und Musiker, die in einem Klima des blanken Hasses überleben müssen. Und ein international arrivierter Künstler wie Faraj Suleiman wird stets mit Fragen konfrontiert werden, für die er der falsche Adressat ist.   

Stefan Franzen 

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