Ungewöhnliche Ansätze

Mit "Etana Books" hat sich eine neue Adresse für Kunst, Kultur und Begegnungen in Damaskus etabliert. Der Ort ist einer von zahlreichen neuen Kulturräumen, die in den letzten Jahren in der syrischen Hauptstadt entstanden sind. Charlotte Bank war vor Ort.

"Etana Books" ist Bibliothek und Buchhandlung in einem, aber genauso ein Ort für kulturelle und künstlerische Projekte unterschiedlicher Art. Und obwohl private Initiativen dieser Art in Syrien immer noch oft mit einem gewissen Grad an Misstrauen betrachtet werden, ist es Maan Abdul Salam, dem Initiator und Leiter von "Etana Books" gelungen, diesen Ort als Zentrum für die Entstehung und freie Entwicklung von Ideen zu schaffen.

"Etana Books soll eine kulturelle Produktionsstätte werden. Wir möchten dazu beitragen, eine neue Kultur des freien Denkens und Lesens in Syrien entstehen zu lassen", erzählt Abdul Salam im Gespräch mit Qantara.de. In einem Haus im franco-arabischen Stil im Stadtteil Chaalan gelegen, soll "Etana Books" den Rahmen um ein breit gefächertes kulturelles Angebot bilden.

Syriens weltoffene Seite

Chaalan mit seiner zentralen Lage und der Nähe zu etlichen ausländischen wissenschaftlichen Instituten sowie dem syrischen Institut für dramatische Kunst scheint für ein solches Zentrum der ideale Standort in Syrien, gilt der Stadtteil doch als weltoffen und eher intellektuell orientiert. Und tatsächlich scheint das Leben in Chaalan in einem anderen Rhythmus zu verlaufen als im Rest der Stadt. Hier werden in Cafés Filmprojekte, Kunst und Literatur diskutiert, lebhaft neue Ideen hervorgebracht, alles in einem Klima, das von Offenheit und dem Interesse an Austausch und Neuentwicklung zeugt.

Plakat Etana Books; Foto: Etana Books
"In Syrien gibt es einen großen Nachholbedarf an theoretischer Bildung, ganz gleich ob es sich um philosophische, künstlerische, soziale oder kulturelle Theorie handelt", erzählt Abdul Salam.

​​ "In Syrien gibt es einen großen Nachholbedarf an theoretischer Bildung, ganz gleich ob es sich um philosophische, künstlerische, soziale oder kulturelle Theorie handelt", erzählt Abdul Salam weiter. "Deswegen kaufen wir für unsere Bibliothek gezielt Werke ein, die diesen Mangel beheben." Das Zentrum erscheint wie ein persönlicher Lebenstraum seines Leiters.

Das Haus ist sorgfältig restauriert worden, um den besonderen Charakter zu erhalten und gleichzeitigt einen Ort zu schaffen, der modernen Ansprüchen gerecht wird. Es finden sich individuelle Arbeitsplätze mit Internetanschluss neben Räumlichkeiten für Besprechungen. Ein Café im Untergeschoss, ausgestattet mit bequemen Sesseln lädt zum Verweilen, Lesen und mit seiner abgeschiedenen, anregenden Atmosphäre zum Nachdenken ein.

Zukünftig soll das Zentrum als Ort für Literaturlesungen, Vorträge und Workshops genutzt werden, aber auch für gelegentliche Ausstellungen, Filmvorführungen und Diskussionen. Dabei geht es darum, einen Ort zu schaffen, an dem sich Wissen sammeln und entwickeln kann, und wo Gedanken sich in Freiheit entfalten können. Dies alles war lange Zeit nicht selbstverständlich in Syrien.

Gender-Debatten in der "Achse des Bösen"

Seit etlichen Jahren bemüht sich Abdul Salam um die Stärkung des individuellen zivilen Engagements in der syrischen Gesellschaft. Seit 2001 leitet er "Etana Press", eine Organisation, die sich für eben dieses Ziel einsetzt. Zu den Initiativen gehört unter anderem "Thara e-magazine", eine auf Frauenfragen spezialisierte Online-Zeitschrift, in der junge Journalisten zu verschiedenen Themen schreiben. Gelegentlich werden in diesem Rahmen Workshops organisiert, um junge Journalisten gezielt in einem Gender-sensibilisierten Zugang zu gesellschaftlichen Fragen zu unterrichten.

Logo Etana Books; Foto: Etana Books
"Unser Ziel ist es, alle Menschen der Gesellschaft zu erreichen und über gängige Klischees hinauszublicken. Unsere Arbeit zielt nicht nur auf die Eliten ab", betont Abdul Salam.

​​ 2003 fand auf Initiative von "Etana Press" ein Kongress an der Universität Damaskus statt, auf dem Fragen zu Frauenrechten und Problemen wie z.B. häuslicher Gewalt diskutiert wurden. Die Rolle der Medien bei der Sensibilisierung für gesellschaftliche und frauenspezifische Fragestellungen kam ebenfalls zur Sprache und gab dem Kongress einen richtungsweisenden Charakter.

2006 wurde ein Foto-Projekt initiiert, bei dem Journalisten mit Frauen aus verschiedenen syrischen religiösen Gemeinschaften zusammenarbeiteten. Die teilnehmenden Frauen waren eingeladen, über ihre Identität und Lebenssituation innerhalb ihres religiösen Umfeldes zu reflektieren und diese zu dokumentieren. Solche Ansätze sind insofern ungewöhnlich, als Auseinandersetzungen mit den besonderen Verhältnissen in religiösen Gemeinschaften eher unüblich sind in intellektuellen Kreisen, die meistens ausgesprochen säkular orientiert sind.

"Unser Ziel ist es, alle Menschen der Gesellschaft zu erreichen und über gängige Klischees hinauszublicken. Unsere Arbeit zielt nicht nur auf die Eliten ab", betont Abdul Salam und erzählt von weiteren Projekten ähnlicher Art, die für die Zukunft geplant sind. Dabei sollen weitere gesellschaftliche Themen beleuchtet werden, jeweils mit verschiedenen Blickwinkeln und Schwerpunkten.

Freies Denken in einem kritikfeindlichen Umfeld

Tritt man als Besucher durch die Tür von "Etana Books", sieht man sich von einem freundlichen und offenen Team begrüßt. Die Team-Mitglieder arbeiten eng zusammen, können alle von den verschiedenen Spezialisierungen der anderen profitieren und geben auch immer gerne ihre Erfahrungen und Expertise weiter. Wer sich dafür interessiert, ähnliche Initiativen anderswo in Syrien selbst zu starten, kann mit der Unterstützung der Mitarbeiter von "Etana Books" rechnen.

Diese besondere Atmosphäre hängt auch damit zusammen, dass viele persönliche Freunde des Leiters zum Entstehen und Erfolg dieses Zentrums beigetragen haben. So hat der bekannte syrische Künstler Youssef Abdelke, der lange Zeit in Frankreich im Exil gelebt hat und kürzlich nach Syrien zurückgekehrt ist, unter anderem das Logo des Zentrums entworfen.

Damaskus erlebt in diesen Jahren eine beachtliche Entwicklung auf dem Gebiet der Kunst und Kultur, und es mangelt nicht an Ideen und Erfindungsreichtum. "Etana Books" ist mit seiner Professionalität und Offenheit unter den vielen neuen Initiativen eine der interessantesten und hoffnungsvollsten; es entwickelt sich zu einer Oase der freien geistigen Entfaltung in der sonst oftmals eher intellektuell einengenden Umgebung der syrischen Hauptstadt.

Charlotte Bank

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

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