Streit mit der Türkei um Haft für Osman Kavala geht in neue Runde

Straßburg. Der in der Türkei inhaftierte Menschenrechtsaktivist Osman Kavala bleibt ein Streitthema im Europarat. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am Montag formell feststellte, verletzte Ankara mit der verweigerten Freilassung des 64-Jährigen seine Verpflichtungen gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nun will sich das Ministerkomitee des Europarates in seiner nächsten Sitzung ab 20. September erneut mit der Sache befassen. Theoretisch ist ein Ausschluss der Türkei aus dem Europarat möglich.



Die Europarats-Spitzen - der irische Außenminister und Vorsitzende des Ministerkomitees Simon Coveney, die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung Fiona O'Loughlin und Europarats-Generalsekretärin Marija Pejcinovic Buric - drängten die Türkei, als Vertragsstaat der Konvention die nötigen Schritte zu unternehmen. Gleichzeitig erneuerten sie in ihrer Reaktion am Montag die Forderung nach Kavalas sofortiger Freilassung, wie vom Menschenrechtsgerichtshof 2019 verlangt. Das Ministerkomitee werde so lange ein Auge auf die Sache halten, "bis das Urteil voll umgesetzt ist".



Kavala saß seit Ende 2017 unter dem Vorwurf staatsfeindlicher Umtriebe in Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 und dem Putschversuch 2016 in Untersuchungshaft. Er selbst weist die Anschuldigungen zurück.



Der Menschenrechtsgerichtshof bewertete das Vorgehen gegen Kavala als politisch motiviert, ohne sachlichen Grund und zu schleppend und ordnete im Dezember 2019 Kavalas Freilassung an. Die Türkei ignorierte dies. Stattdessen wurde Kavala unter ähnlichen und teils gleichlautenden Vorwürfen erneut angeklagt und am 25. März in Istanbul zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen und ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.



Die Große Kammer in Straßburg befand am Montag, weder die Anordnung einer neuerlichen Untersuchungshaft vom 9. März 2020 noch die dazugehörige Anklage enthielten "irgendwelche substanziellen neuen Tatsachen". Wie bei der anfänglichen Inhaftierung seien die Kavala zur Last gelegten Tätigkeiten gänzlich legal. Die Türkei könne nicht glaubhaft machen, dass sie "in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen und dem Geist" der Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs gehandelt habe.



Das Ministerkomitee des Europarates hatte im Dezember 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei eingeleitet. Ein solches Verfahren wegen Nichtumsetzung eines verbindlichen Urteils des Menschenrechtsgerichtshofs wurde bislang erst einmal aktiviert: 2017 gegen Aserbaidschan. Damals lenkte die Regierung in Baku vor einem Ausschluss ein, indem sie den inhaftierten Politiker Ilgar Mammadov freiließ.



Dass ein Mitgliedstaat des Europarates offen erklärt, ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs nicht umzusetzen, wäre beispiellos und käme einem offenen Bruch der Konvention gleich. Die Satzung des Europarates sieht dafür ein Ausschlussverfahren vor. Im Fall der Türkei wird erwartet, dass es zu einer Verstärkung des diplomatischen Drucks und zu einem längeren Tauziehen kommt. (KNA)