Die neu entdeckte Stadt

In diesem Sommer sind die Abende in Amman anders: Man geht aus und lauscht Konzerten. Der erste städtische Kultursommer erweist sich als großer Erfolg. Die Kulturszene und das öffentliche Leben blühen wieder auf, wie Martina Sabra berichtet.

Kettenkarussell in Amman; Foto: Ap
Der erste Kultursommer in Amman wurde zu einem erfolgreichen Fest für die ganze Familie.

​​Die Bewohner Ammans sind eigentlich dafür bekannt, dass sie nach der Arbeit schnurstracks nach Hause gehen und den Feierabend vorzugsweise in den eigenen vier Wänden verbringen.

Doch in diesem Sommer pilgerten allabendlich tausende "Ammanis" zum Hussein-Park, einer großen öffentlichen Grünanlage am südlichen Stadtrand, um unter freiem Himmel Konzerte, Theateraufführungen und Kinderbelustigung zu genießen.

Ganze Großfamilien kamen mit Bussen angefahren, um zu picknicken und Musik zu hören. Auch zahlreiche Touristen aus der arabischen Golfregion nutzten die Gelegenheit zum Flanieren. Junge Burschen mit Gelfrisur, Muskel-Shirts und Handy am Ohr tanzten ausgelassen zu volkstümlichen Rhythmen.

Billige Tickets sorgen für ein großes Publikum

Angezogen wurde das buntgemischte Publikum vom "Kultursommer", dem "mahrajan" saif Amman, den die Stadtverwaltung von Amman gemeinsam mit dem Jordan Tourism Board und dem Kulturministerium dieses Jahr zum ersten Mal organisierte.

Die kulturellen Events, die Abend für Abend auf mehren verschiedenen Bühnen im Hussein-Park stattfanden, waren gezielt auf die unterschiedlichen Bedürfnisse des Publikums zugeschnitten: auf der großen Hauptbühne volkstümliche arabische Sänger und Tanzgruppen, nebenan Kindertheater, und im schicken Amphitheater Hip Hop, Rock und andere "alternative" Musik aus Jordanien.

Dank der hochsubventionierten Tickets konnte sich das Spektakel fast jeder leisten, was letztlich auch die Künstler freute. "Dieses Festival hat vielen jungen Kolleginnen und Kollegen zum ersten Mal die Gelegenheit geboten, sich dem Hauptstadtpublikum zu präsentieren", sagt die bekannte jordanische Liedermacherin Ruba Saqr, die im Amphitheater des Parks Poesie und Sufi-Lieder vortrug. "Es wäre natürlich besser, wenn die Zuhörer nicht ständig mit ihren Handys telefonierten, um ihren Freunden zu erzählen, wie toll das Konzert ist. Aber grundsätzlich ist es eine gute Sache."

"Sie wollen feiern, und sie wollen Spaß haben"

Nicht zuletzt mit Blick auf den Tourismus wurden in Amman in den vergangen Jahren zahlreiche neue kulturelle Veranstaltungsorte und auch Parks geschaffen. Doch es dauerte eine Weile, bis die Bevölkerung die Angebote nutzte.

"Die Menschen waren es früher nicht gewöhnt, auszugehen", erklärt die Musikerin und Kulturmanagerin Sawsan Habib, die im Künstlerviertel Webdeh eine Konzertagentur betreibt. "Doch inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen, mit neuen Bedürfnissen. Die jungen Leute, auch junge Familien, haben die kulturelle Globalisierung bereits voll mitbekommen. Sie wollen wie die Menschen anderswo ihren Spaß haben, sie wollen feiern, und sie suchen nach Plätzen, wo etwas los ist."

Ein besonders augenfälliges Indiz für den Wandel des öffentlichen Lebens sind die Flohmärkte, die seit einigen Jahren in verschiedenen Stadtteilen Ammans von Bürgerinitiativen organisiert werden. Am bekanntesten ist "Suk Jara" im Traditionsviertel Jabal Amman. Hier trifft man sich freitags morgens zum Frühstück oder am späten Nachmittag zur Straßentheater-Aufführung.

Vieles entsteht in Eigenregie

Ein weiterer Flohmarkt in Regie der Anwohner findet sich im Webdeh-Viertel: Der "Suk Baouniyeh" bietet auf dem kreisrunden Paris-Platz am östlichen Ende des Viertels neben Trödel und alten Kleidern auch moderne Poesie. Der 30-jährige Emad, Mitglied eines lokalen Dichterkollektivs, verkauft hier das erste gemeinsame Buch seiner Gruppe. "Es läuft prima", freut er sich.

Blick auf Amman; Foto: dpa
Die Hauptstadt Jordaniens erlebt zurzeit eine kleine Revolution: Cafés, Konzerte und Flohmärkte bestimmen immer mehr das öffentliche Leben.

​​Am Stand nebenan bieten Frauen aus dem Viertel selbstgebackenen Kuchen, Tee und Sandwiches feil. "Richtig voll wird es hier nach Sonnenuntergang", erzählt die 55-jährige Hiyam. "Webdeh ist eins der schönsten Viertel von Amman. Aber bis vor kurzem gab es hier kein einziges Straßencafé. Die Leute sind froh, dass sie nun Abwechslung finden. In sehr lauen Sommernächten sitzen die Gäste manchmal bis morgens früh um zwei Uhr hier."

Bei der Schaffung von Orten und Räumen für Kultur spielen Einzelinitiativen und Eigenleistung zunehmend eine Rolle. Teilweise folgen die Projekte offenen Konzepten, so zum Beispiel der "Diwan" von Mamduh Bisharat.

Verschmelzung des Öffentlichen und des Privaten

Bisharat ist ein über 70-jähriger wohlhabender Grundbesitzer, Farmer und Cambridge-Absolvent, dem vom verstorbenen König Hussein der Titel eines Herzogs verliehen wurde. Er gilt als Exzentriker, ebenso als Liebhaber der bedrohten historischen Bausubstanz in Amman. Um auf die Bedeutung des urbanen Erbes hinzuweisen, mietete Bisharat vor wenigen Jahren das einzig verbliebene alte Gebäude an der Hauptstraße im Stadtzentrum und öffnete es nahezu unrenoviert für die Allgemeinheit. Wer will, kann hereinkommen, sich umsehen und auf einen Plausch bleiben.

Ein ähnlich flexibles und partizipatives Konzept verfolgt auch der Maler Abdelaziz Abu Ghazaleh mit dem "Mohtaraf Al Rimal". Er baute eine alte Grundschule zu einem Atelier-Café um, in dem er arbeitet und wohnt. An sechs Tagen in der Woche kann man zwischen 11 und 23 Uhr jederzeit hereinkommen, einen Kaffee trinken, Bilder kaufen oder einfach nur ausspannen.

"Dieser Ort ist gleichzeitig privat und öffentlich, die Grenzen sind fließend", erklärt Abu Ghazaleh. "Die Leute, die hierher kommen, sollen nicht nur konsumieren, sondern den Ort mitgestalten."

Der öffentliche Raum soll allen offen stehen

Der Mohtaraf Al-Rimal ist nicht nur eine kulturelle Bereicherung, durch Veranstaltungen und den Verkauf von Kunstwerken wirft er mittlerweile auch Gewinn ab. Doch das wirtschaftlich erfolgreichste Kulturprojekt ist derzeit das Kulturcafé JAFRA in der Innenstadt.

"Die Einrichtung habe ich in jahrelanger Arbeit größtenteils selbst zusammengezimmert", erzählt der Raumdesigner und Jungunternehmer Aziz Mashaikh. Mittlerweile beschäftigt das JAFRA über fünfzig Angestellte in Vollzeit. Doch Geld allein interessiert Mashaikh nicht. "Downtown Amman war jahrelang kulturell so gut wie tot. Mir geht es darum, wieder Leben in die Innenstadt zu bringen, und einen Platz zu schaffen, wo inhaltlich anspruchsvolle Künstler ihre Arbeit präsentieren können."

Außerdem, so Mashaikh sollte der Ort nicht Männern vorbehalten, sondern grundsätzlich für alle offen sein: Eltern und Kinder, Männer und Frauen, Einheimische und Touristen, mit WLAN und ohne. Bislang geht Mashaikhs Konzept voll auf. Anfang Juli 2008 hat Mashaikh im Viertel Webdeh ein weiteres Café eröffnet.

Martina Sabra

© Qantara.de 2008

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