Wenn Kunst zur Sünde wird

Ein Kunstprojekt wird zum Präzedenzfall für Indonesiens Umgang mit körperlicher Freizügigkeit und hat eine heiße Debatte entfacht: Wo fängt Pornographie an und wo endet Freiheit? Christina Schott berichtet.

Adam und Eva, Foto: www.religion.info/artman/ uploads/0227_adam.jpg
Ein in der Kunst immer wieder verwendetes Motiv: Adam und Eva und der Sündenfall

​​Eine Hollywoodschaukel, gebaut aus dem Sitz einer Fahrradrikscha, schwingt im Halbdunkel vor einem riesigen Spiegel. Im Hintergrund ein paradiesischer Wald, darin ein nackter Mann und eine nackte Frau in wiederkehrenden Posen.

Keinerlei obszöne Gesten oder Stellungen, die Geschlechtsteile der Modelle sauber mit weißen Kreisen verdeckt. Die Installation erinnert eher an die verlorene Unschuld des Garten Eden. "Pinkswing Park" heißt dieses Werk der indonesischen Künstler Agus Suwage und Davy Linggar, das im September 2005 auf der CP Biennale in Jakarta zu sehen war, der wichtigsten internationalen Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Indonesien.

In keiner Weise hatten Künstler, Fotomodelle und Kuratoren damals damit gerechnet, dass sie sich wenig später im Mittelpunkt einer hitzigen Pornographie-Debatte wieder finden würden.

Da es sich bei dem männlichen Nacktmodell jedoch um den populären Soap-Darsteller Anjasmara handelte, kamen diverse Vertreter von Boulevardsendungen auf die Biennale. Die Ausstellung, die ansonsten eher mäßiges Interesse bei der breiten Masse hervorgerufen hätte, stand somit im medialen Mittelpunkt.

Der Aufruhr der religiösen Moralisten

Zwei Wochen später stürmten 250 Anhänger der radikalen Islamischen Verteidigungsfront (FPI) die Ausstellung und deklarierten das Werk als blasphemische Darstellung von Adam und Eva.

Inzwischen wurde die Affäre zum Kriminalfall. Suwage und seinen Kollegen drohen fünf Jahre Gefängnis wegen der verbotenen Herstellung von Pornographie.

Zu ihrem Unglück, verhandelt das Parlament ausgerechnet jetzt den umstrittenen Entwurf neuer Gesetze zur Pornographie. So wird das Kunstwerk zum Testfall.

Sollte der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form genehmigt werden, dann könnten öffentliches Küssen oder erotische Tanzbewegungen schon bald genauso harte Gefängnisstrafen nach sich ziehen wie die Darstellung sinnlicher Körperteile, dazu gehören auch Hüfte, Nabel und Dekolleté, in Filmen, Liedern, Büchern, Fotos oder Gemälden.

"Die künstlerische Technik solcher Machwerke interessiert uns nicht. Es handelt sich um Pornographie – und so lange diese öffentlich zugänglich ist, zerstört sie die Moral unserer Nation", glaubt Habib Riziek, Chef der FPI und einer der heftigsten Verfechter des Entwurfs.

Die FPI und andere islamistische Gruppen und Parteien machen unterdessen mit Massendemonstrationen gegen das geplante Erscheinen einer indonesischen Playboy-Ausgabe mobil. Die Polizei konfiszierte in Razzien bergeweise Hardcore-VCDs, Pornohefte und so genannte Männerzeitschriften, darunter FHM und Rolling Stone.

Balkan Kaplale, Vorsitzender der parlamentarischen Kommission, die den Gesetzentwurf bearbeitet, ist zuversichtlich, dass die Pornographie-Gesetze schon im Juni in Kraft treten könnten. "Nur so können wir Veröffentlichungen wie den Playboy verhindern. In Indonesien wäre dies eine Zeitbombe. Wer garantiert, dass diese Hefte nicht in die Hände unserer Kinder gelangen und die nächste Generation verderben?" sagt Kaplale.

Das Bangen um die Freiheit

Ein Aufschrei kommt dagegen von den Frauenrechtsorganisationen. Sie befürchten, dass Frauen nur noch zu Objekten degradiert werden, die einer beständigen Kontrolle unterliegen. Außerdem kritisieren sie, dass die Definition von Pornographie nicht klar genug sei. "Frauen in Indonesien haben sich immer sexy angezogen, selbst unsere traditionellen Kleider sind eng anliegend. Dieses Gesetz hat nichts mit unserer Kultur zu tun. Wir haben immer noch barbusige Frauen auf Bali und in Papua", sagt die Frauenrechtlerin Gadis Arriva.

Auch der Leiter von Balis Tourismusbehörde Gede Nurjaya ist besorgt. Der ohnehin angeschlagenen Tourismusindustrie der Ferieninsel wäre es kaum zuträglich, wenn in Zukunft ausländische Touristen verhaftet werden, weil sie sich am Strand sonnen. "Nach diesen Gesetzen könnten selbst die traditionellen Tänze und Künste auf Bali illegal werden", bemerkt Nurjaya.

Frauenrechtlerinnen, Künstler und Vertreter der Unterhaltungsindustrie sehen die Anti-Pornographie-Bewegung als Teil einer Agenda, die darauf abzielt, die Vielvölker-Demokratie Indonesiens in einen islamischen Staat umzuwandeln. Pornographie dient dabei als ein Symbol für westliche Kultur, von der viele Muslime glauben, sie wolle im Zuge der Globalisierung ihre eigene Kultur zerstören.

Agus Suwage ist überzeugt, dass in seinem eigenen Fall ein Exempel statuiert werden soll. Der 47-jährige Familienvater hat inzwischen mit anderen Kulturschaffenden eine eigene Bewegung gegründet, um gegen diese Entwicklung zu kämpfen: Die "Indonesian Arts Community for Civil Liberties" veröffentlichte Ende Februar ein Manifest, das die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks verteidigt.

"Diese Gesetze wären nicht nur sehr gefährlich für Künstler, sondern bedrohen auch viele andere Bereiche unserer Gesellschaft", warnt Suwage. "Ich glaube einfach nicht daran, dass ein Bild die moralische Einstellung eines Menschen ändern kann. Moral kommt aus dem Inneren jedes einzelnen Menschen."

Christina Schott

© Qantara.de 2006

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