Abstieg ins extremistische Chaos

In seinem neuen Buch "Descent into Chaos. How the war against Islamic extremism is being lost in Pakistan, Afghanistan and Central Asia", schreibt der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, wie die Region auch sieben Jahre nach dem Sturz der Taliban von einer Stabilisierung weit entfernt ist. Von Thomas Bärthlein

In seinem neuen Buch "Descent into Chaos. How the war against Islamic extremism is being lost in Pakistan, Afghanistan and Central Asia" schreibt der pakistanische Journalist und Schriftsteller Ahmed Rashid, wie die Region auch sieben Jahre nach dem Sturz der Taliban von einer Stabilisierung weit entfernt ist. Thomas Bärthlein hat das Buch gelesen.

​​Die Liste der Probleme ist endlos: Drogen, Aufständische, Korruption, eine schwache Regierung. Wie ist es dazu gekommen? Viele in Afghanistan geben dem Nachbarland Pakistan die Schuld, dort wiederum machen die meisten die USA und den von ihnen gestützten Präsidenten Karzai verantwortlich.

Es gibt kaum einen Experten, der alle Aspekte dieser Gemengelage so gut beurteilen kann wie Ahmed Rashid. Der pakistanische Journalist, der mit seinem Standardwerk über die Taliban bekannt wurde, ist nicht nur in Islamabad, Kabul und Washington zuhause. Er kennt auch die zentralasiatischen Nachbarländer wie Usbekistan. Vor allem aber erweist er sich auch mit seinem neuen Buch als klar denkender und absolut unparteiischer Analyst.

Scharfe Kritik an der Bush-Administration

Rashid verhehlt nicht, dass er die Invasion in Afghanistan zur Entmachtung der Taliban befürwortete. Aber er zeigt auch auf, dass danach fast alles schief gelaufen ist. Besonders hart geht er mit der Bush-Administration ins Gericht, die in ihrer grenzenlosen Naivität den Aufbau von Institutionen im Nachkriegs-Afghanistan, das "Nation Building", komplett vernachlässigte.

Auch Hamid Karzai, den Rashid als persönlichen Freund vorstellt, kommt in seiner Bilanz nicht gut weg: Rashid zeichnet ihn als schwachen, ständig zaudernden Präsidenten, dem die Warlords auf der Nase herumtanzen.

Am spannendsten ist sein Buch, wenn er Schlaglichter auf die in letzter Zeit viel diskutierte Rolle Pakistans wirft. Rashid beschreibt detailgenau das Doppelspiel des damaligen Präsidenten Musharraf, den Washington (ein weiterer schwerer Fehler) als vermeintlich unentbehrlichen Verbündeten im "Krieg gegen den Terror" hofierte.

Unheilvolle Allianzen

Protestaktion in Peschawar; Foto: AP
Große Teile der pakistanischen Bevölkerung kritisierten die Politik der autoritären Musharraf-Regierung – auch wegen deren Kooperation mit den USA im "Kampf gegen den Terror".

​​ So weist er darauf hin, dass nach der US-Invasion in Afghanistan noch zahlreiche pakistanische Geheimdienstler und Paramilitärs dem einstigen Verbündeten, den Taliban, Hilfe leisteten – etwa als die Nordallianz Ende 2001 Kunduz belagerte:

"Für Pakistan entwickelte sich die Situation in Kunduz zu einem Desaster, da hunderte ISI-Offiziere und Soldaten des Grenzkorps, welche die Taliban unterstützen, dort eingeschlossen waren. Ihnen war nach 9/11 der Befehl erteilt worden, Afghanistan innerhalb von zwei Monaten zu verlassen; stattdessen blieben Sie vor Ort und kämpften jetzt auf Seite der Taliban. Musharraf telefonierte daraufhin mit Bush, um ihn um einen großen Gefallen zu bitten – nämlich die U.S.-Bombardierung temporär einzustellen und einen Luftkorridor zu öffnen, damit die pakistanische Luftflotte seine Offiziere aus Kunduz herausholen würde können. Bush und Vizepräsident Cheney willigten ein, die Operation wurde jedoch streng geheim durchgeführt, selbst die meisten Kabinettsmitglieder in Washington wurden über diese Absprache nicht informiert."

Bei der Luftbrücke kamen gleich noch eine Reihe von Taliban- und al-Qaida-Anführern mit nach Pakistan, denen Musharraf anschließend in der Grenzregion mehr oder weniger freie Hand ließ. Rashid kommt auf der Basis seiner Kontakte zu pakistanischen Ex-Geheimdienstlern zu dem Schluss, dass die pakistanische Unterstützung für die afghanischen Taliban lückenlos fortgesetzt wurde, und zwar mithilfe einer neuen, quasi im Untergrund operierenden Struktur.

Keine Befriedung Afghanistans ohne Pakistan

Talibankämpfer im Norden Afghanistans; Foto: AP
Pakistans Geheimdienstler und Paramilitärs arbeiteten mit dem einstigen Verbündeten, den Taliban zusammen – etwa als die Nordallianz Ende 2001 Kunduz belagerte.

​​Dass die pakistanische Armee die Kontrolle über die an Afghanistan angrenzenden autonomen Stammesgebiete aus freien Stücken an die Taliban abgetreten hat, macht Rashid noch an einem überzeugenden Gegenbeispiel fest: In Belutschistan unterdrückte sie gleichzeitig nationalistische Aufständische äußerst brutal und effektiv. Der Unterschied: Die Nationalisten in Belutschistan sind keine Islamisten und werden in Islamabad ebenso pro-indisch eingeordnet wie die Karzai-Regierung in Kabul.

Afghanistan lässt sich nicht befrieden, ohne Pakistan einzubinden – das wird jedem Leser von Rashids Buch deutlich werden. Und um Pakistan zu gewinnen, sind Druck und Isolation die falschen Mittel. Pakistans Sicherheits-Interessen müssen ernst genommen werden.

Rashid setzt alle Hoffnungen auf die Demokratie und wendet sich entschieden gegen Polizeistaats-Methoden im Stil von Guantánamo in der Terror- und Aufstands-Bekämpfung, die den Militanten in Pakistan, Usbekistan oder Afghanistan nur mehr Zulauf verschaffen.

Thomas Bärthlein

© Qantara.de 2009

Ahmed Rashid, Descent into Chaos. How the war against Islamic extremism is being lost in Pakistan, Afghanistan and Central Asia. London: Allen Lane, 2008. 484 Seiten.

Thomas Bärthlein ist stellvertretender Leiter der Südasien-Redaktion der Deutschen Welle.

Qantara.de

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