Intelligent, charmant - Regierungschefin?

"Wenn die Zeit kommt, werde ich Kandidatin sein", sagte Israels Außenministerin Tzipi Livni und forderte Ministerpräsident Ehud Olmert bereits im vergangenen Jahr zum Rücktritt auf. Jetzt könnte ihre Zeit gekommen sein. Anna Kuhn-Osius berichtet.

Tzipi Livni gilt als einflussreichste Frau Israels. Als "Überfliegerin" wird sie von Kommentatoren bezeichnet, als "starke Frau", die wisse, was sie wolle. Tzipi Livni will nach oben. Jetzt hat die 50-jährige eine klare Favoritenrolle im Kampf um die Nachfolge von Ministerpräsident Ehud Olmert.

Livni sagt, was sie denkt. Immer. Ihre Ehrlichkeit hat sie bis jetzt immer weiter gebracht. Längst gehört die Mutter zweier Kinder zu den beliebtesten Politikern des Landes. Umfragen zufolge könnte sie bei Neuwahlen recht gut abschneiden, allerdings dürfte es immer noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben – zwischen ihr und dem konservativen Benjamin Netanjahu.

Tochter eines radikalen Nationalisten

Livni kommt aus einem politischen Elternhaus: Beide Eltern gehörten zur nationalistischen Irgun-Miliz, einer militanten Widerstandgruppe gegen die britische Mandatsmacht. Diese schreckte auch vor Terroranschlägen nicht zurück. Livnis Vater war Chef der operativen Einheit und damit mit der Planung und Ausführung von Anschlägen beschäftigt. Nach seiner militanten Zeit wurde er dreimal Knessetabgeordneter für die Likud-Partei.

Spionin, Anwältin, Politikerin

Tzipi Livni war nach ihrem Wehrdienst, wie erst kürzlich bekannt wurde, vier Jahre Spionin für den Geheimdienst Mossad. Erst nach ihrer Heirat mit einem Steuerberater quittierte Livni den Dienst, weil sie, wie sie sagte, nicht mehr "dieses Leben" führen wollte.

Livni studierte Jura. Zehn Jahre lang arbeitete sie als Anwältin. 1996 begann sie dann ihre politische Karriere und trat zum ersten Mal für die Knesset an. Allerdings schaffte sie nicht den Sprung ins Parlament und wurde zunächst Generaldirektorin der Behörde für staatliche Betriebe.

1999 zog sie als Abgeordnete der Likud-Partei ins Parlament ein. Kurz darauf wurde Ariel Scharon Ministerpräsident und mit ihm kam sie sofort in Regierungsverantwortung: 2001 wurde sie Ministerin für regionale Kooperation und Landwirtschaftsministerin. Zwei Jahre später übernahm sie das Integrationsministerium und das Wohnungsbauministerium.

Traumjob Justizministerin

2004 fand Livni dann ihren "Traumjob", wie sie es nannte: Sie wurde Justizministerin. Bis heute gilt Tzipi Livni als außergewöhnliche Justizministerin: Professionell und resolut, aufgeschlossen für Reformen. Sie schreckte nicht vor öffentlichen Machtkämpfen zurück und gab sich nicht mit Meinungsverschiedenheiten zufrieden. In dieser Zeit wurde sie zur beliebsteten konservativen Politikerin.

Als Ariel Scharon der Likud-Partei den Rücken kehrte und zur neu gegründeten Kadima-Partei wechselte, kam Livni mit. Sie verfasste das Parteiprogramm für die neue Partei der Mitte.

Als Scharon 2006 seinen Schlaganfall erlitt, munkelte man über Tzipi Livni als Nachfolgerin. Die gab sich bescheiden, unterstützte Ehud Olmert. Dafür wurde sie unter Olmert sofort Außenministerin und stellvertretende Premierministerin. Zwischenzeitig behielt Livni außerdem die Posten als Justizministerin, als Ministerin für Einwanderungsfragen und für Integration.

Neues Denken

Livni und Abbas; Foto: AP
Livni befürwortet eine klare Zwei-Staaten Lösung.

​​Livni verbessert ständig ihr Image als professionelle und verlässliche politische Persönlichkeit. Beobachter loben: Sie gehe neue Wege, ohne ihre Grundsätze zu verraten.

Sie wage sich an tradierte Ideologien, ohne ihre Gesinnung zu leugnen. Sie schaffe es, neues Denken mit nationalen Werten zu verbinden. Ihr leiser, doch deutlicher Ton hat ihr in der Karriere oft geholfen. Sie sucht die Konfrontation mit Gleich- oder Höhergestellten - und tritt nicht gegen Schwächere.

Mit Olmert hat Livni einige Gemeinsamkeiten: Bei beiden waren die Eltern in rechten Untergrundbewegungen aktiv, die sich für ein Großisrael ohne einen Staat für die Palästinenser einsetzten. Beide haben sich davon gelöst, sind pragmatisch und ambitioniert. Beide bewegten sich mehr und mehr zu einer Politik der Mitte, wechselten von der konservativen Likud-Partei zur Kadima-Partei. Aber es gibt Unterschiede.

Während Olmert die Ellenbogen ausfuhr und Schwächere erniedrigte, macht Livni die Beamten im Außenministerium glücklich. Sie ist Chefin, aber sie hört auf ihre Untergebenen. Politischen Ernennungen und Gefälligkeiten wie in der Vergangenheit gibt es nicht mehr. Früher wurde auch schon mal ein lieb gewonnener Chauffeur mit dem Diplomatenstatus belohnt. Diese Zeiten sind unter Livni vorbei.

Charmant im Ton, hart in der Sache

Livni bewegt sich sicher, ob im eigenen Haus oder auf internationalem Parkett. Sie ist führend in die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern eingebunden. Sie kann zuhören, antwortet auf Hebräisch, Englisch oder Französisch, ist diplomatisch sicher und geht trotzdem keinem Konflikt aus dem Weg.

Beobachter loben ihre Intelligenz, ihren Charme, ihre Weltläufigkeit. Zwar ist ihre harte Linie im Libanonkrieg und ihre Kritik an der UN umstritten, aber ihre Gegner müssen eingestehen: Livni argumentiert hervorragend, ihre Positionen sind durchdacht.

Ideologische Wende

Livni und der Emir von Qatar; Foto: AP/GPO
"Die Konflikte im Nahen Osten sind nicht die Wurzel, sondern eine Konsequenz von Radikalismus und Terrorismus"

​​Interessant ist vor allem Livnis ideologische Wende während ihrer Laufbahn. Sie war konservativ und gegen die Palästinenser. Jetzt will sie aktiv den Frieden – durch eine Anerkennung des Staates Palästina. Hart ist ihre Haltung allerdings gegenüber der radikalen Hamas: Sie lehnt Verhandlungen mit den Radikalen ab und fordert eine weitere völlige Isolation des Gazastreifen.

Klares Ziel: Frieden

Livni nennt Palästinenser, die sich gegen israelische Soldaten wehren, als erstes Regierungsmitglied nicht Terroristen sondern Widerstandskämpfer. Viele Beobachter schreiben ihr zu, sie habe das Zeug und vor allem auch den Mut dazu, nicht nur Frieden zu wollen, sondern auch Frieden aktiv umzusetzen.

Livni will so schnell wie möglich einen entwaffneten Staat Palästina schaffen. Bereits zum Jahresende will Livni eine Einigung mit den Palästinensern erzielen.

Eines will Livnis Regierungspartei Kadima nach dem Rückzug Olmerts auf jeden Fall verhindern: Vorgezogene Neuwahlen. Das kann die Partei nur, wenn es dem Nachfolger Olmerts gelingt, eine neue Koalition zu schmieden. Die Arbeitspartei würde Kadima unter einer Führung Livnis unterstützen. Schwieriger sieht es mit der ultra-orthodoxe Schas-Partei aus.

42 Tage hätte Livni als neue Staatschefin Zeit für eine neue Regierungsbildung. Scheitert sie, müsste sie sich bei Neuwahlen ihrem Hauptgegner stellen, dem Chef der Likud-Partei, Benjamin Netanjahu. Er ist schärfster Kritiker des Friedensprozesses und noch liegt Netanjahu bei Umfragen vorn.

Regierungschefin? Mit Sonderwünschen!

Hillary Clinton und Ségolène Royal zeigten: Einfach ist es für Frauen noch immer nicht, Regierungschefin zu werden. Sollte Livni trotz aller Widrigkeiten den Sprung an die Spitze schaffen, wäre sie auf westlichem Parkett die zweite Regierungschefin neben Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Den Speiseplan müssten die beiden bei ihren Weltgesprächen dann allerdings aufeinander abstimmen: Livni gilt als strenge Vegetarierin.

Anna Kuhn-Osius

© Deutsche Welle 2008

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