Generation Null?

Viele Jugendliche aus Migratentenfamilien haben keinen Schulabschluss. Ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz rückt damit für sie in weite Ferne. Über die Hintergründe berichtet Petra Tabeling.

Fast ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland stammt aus Migrantenfamilien, doch obwohl die meisten von ihnen auch in Deutschland aufgewachsen sind, stellen sie den geringsten Anteil bei höheren Bildungsabschlüssen dar und erreichen seltener als ihre deutschen Altersgenossen das Abitur.

In den Klassen fünf bis 13 der allgemein bildenden Schulen stammt nur jeder zwölfte Schüler aus einer Familie, dessen Eltern ausländischer Herkunft sind. Die meisten Kinder und Jugendlichen aus diesen Familien besuchen die Hauptschule.

Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2003 blieben 19,2 Prozent der Schüler ohne Abschluss. Das trifft vor allem Jungen, nur ein Drittel sind Mädchen.

Die Perspektive nach der Schule sieht für die meisten von ihnen denkbar schlecht aus: Die Chancen für einen Ausbildungsplatz sind sehr gering, denn mit dieser Schulausbildung zählen die Jugendlichen nicht zu den auserwählten Lehrstellenkandidaten.

Schon gar nicht in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, in denen Arbeitsplätze und Lehrstellen abgebaut werden. Laut Angaben des Instituts für deutsche Wirtschaft waren im Jahr 2003 nur fünf Prozent der Auszubildenden junge Menschen mit Migrationshintergrund. Zehn Jahre zuvor waren es immerhin noch acht Prozent.

Teufelskreis mangels Herkunft und Bildung

Je niedriger der Bildungsstandard, desto schlechter sind die Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Ohne qualifizierte Lehre keine Chance auf einen Arbeitsplatz, der Start in ein selbst bestimmtes Erwachsenenleben endet in der sozialen Sackgasse. 40 Prozent der 20- bis unter 30-jährigen jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund hat gar keinen Berufsabschluss.

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und bereits im Kindergarten und in der Grundschule vorprogrammiert – trotz hoher Bildungsmotivation seitens der Eltern. Denn, so der vor einiger Zeit erschienene Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland: "Der konstruktive Umgang mit sozialer und kultureller Heterogenität und Vielfalt ist in deutschen Bildungssystemen schwach ausgeprägt."

Die letzte PISA-Studie zeigte, dass die Bildungschancen von Kindern in Deutschland stark vom sozialen Stand der Eltern abhängen, mit der Folge, dass vor allem Migrantenkinder ausgegrenzt werden. Eine Tendenz, die sich bis ins Berufsleben fortsetzt.

Außerdem sind sich Pädagogen und weitere Experten darüber einig, dass die Sprachförderung in Deutschland zu spät und zu wenig eingesetzt wird, sinnvolle bundesweite Förderansätze kaum vorhanden sind.

Eine Folge des politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses: Zu lange wurde ignoriert, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und somit auch die nötige Unterstützung in der Bildung und Integration vorhanden sein muss.

Erfolgreiche Einzelprojekte zeigen Auswege

Gerade in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit einer hohen Migrationsrate haben Einzelinitiativen bewiesen, dass gezielte Förderungen Sinn machen – auch wenn die Gelder aus Staatskassen knapp sind und Schulen die dringend erforderte individuelle Förderung gar nicht leisten können.

Beispiel Sprachförderung in der Grundschule: In NRW haben Bildungsträger erkannt, dass erst die parallele Schulförderung der Muttersprache, zum Beispiel Türkisch, zu Erfolgen im Erlernen der deutschen Sprache führt. Daher werden zusätzlich Lehrer von Muttersprachen an Schulen eingestellt.

So genannte "Rucksackprojekte" an Schulen erreichen, dass türkische Mütter, die kaum Deutsch sprechen, in den Bildungsalltag ihrer Kinder einbezogen und somit auch integriert werden.

Projekt "Betrieb und Schule"

Zurück zu den Schulabbrechern: In Nordrhein-Westfalen hat etwa sechs Prozent der Schulabgänger keinen Abschluss. Für junge Schulabbrecher mit Migrationshintergrund hat die Landesregierung vor vier Jahren deshalb das Modellprojekt "Betrieb und Schule" (BUS) ins Leben gerufen.

Das Projekt richtet sich an Jugendliche, bei denen absehbar ist, dass sie nach dem letzten Schuljahr ohne Abschluss auf der Straße stehen. Sie erhalten so eine Chance, den Übergang von der Schule ins Berufsleben doch noch zu schaffen, indem sie ein einjähriges Förderpraktikum in einem Betrieb absolvieren.

Die Betriebe, die sich daran beteiligen, erhalten einen Zuschuss, und Jugendliche lernen den Arbeitsalltag auch ohne den offiziellen Ausbildungsplatz kennen. An zwei oder drei Tagen in der Woche müssen sie allerdings zum Unterricht.

Etwa zwei Drittel der teilnehmenden Schüler hatten nach dem ersten Projektjahr wieder eine berufliche oder schulische Perspektive. Im laufenden Schuljahr nehmen 180 Schulen mit über 2.000 Schülern an BUS teil.

Ein anderes Projekt ist KAUSA: Koordinierungsstelle Ausbildung in Ausländischen Unternehmen. Das Projekt des Deutschen Industrie- und Handelskammertags unterstützt Projekte und Initiativen, die Ausbildungsplätze in Unternehmen mit Inhabern ausländischer Herkunft schaffen.

Gerade diese Betriebe sind auf Expansionskurs, 130.000 gab es noch 1991, heute sind es bereits 286.000. Immerhin fanden bereits über 5200 Jugendliche über die Netzwerkarbeit von KAUSA einen Ausbildungsplatz. Viele Inhaber ausländischer Herkunft kennen die Bildungsverhältnisse aus eigener Erfahrung - schlechte Noten zählen deshalb hier nicht immer als Ausschlusskriterium.

Petra Tabeling

© Qantara.de 2006

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