Ein historisches Ereignis mit Hindernissen

Mit den Parlamentswahlen am 18. September soll der letzte Schritt für eine demokratisch geprägte Ordnung in Afghanistan vollzogen werden. Im Vorfeld der Wahlen eine Analyse von Said Musa Samimy

Auto mit Wahlplakaten; Foto: AP
Mehr als 2.700 Kandidaten stehen in Afghanistan zur Wahl

​​Die Wahlen für die "Wolesi Djirgah", die erste Kammer des afghanischen Parlaments mit 249 Sitzen, von denen 68 für Frauen reserviert sind, sind für das von bewaffneten Auseinandersetzungen geplagte Land von großer politischer Bedeutung: Durch sie wird in Afghanistan zum ersten Mal eine Legislative geschaffen.

Die Opposition benötigt endlich ein parlamentarisches Ventil, um ihre Kritik an der Regierung und ihre Anregungen zum gesellschaftspolitischen Aufbau des Landes wirksam anbringen zu können. Denn der im Oktober 2004 demokratisch gewählte Präsident Hamid Karzai regiert und verwaltet das Land seit der Bildung der Interimsverwaltung im Dezember 2001 de facto eigenmächtig.

Das macht einerseits die zersplitterte Opposition im Lande zunehmend unzufriedener. Andererseits ist auch die internationale Gemeinschaft brennend daran interessiert, das Provisorium des "Islamischen Staates Afghanistan" endgültig für beendet erklären zu können.

Breite Opposition

Das Bild der Opposition ist dabei erstaunlich facettenreich: Inzwischen sind fast 80 politische Gruppierungen entstanden, die offiziell den Status politischer Parteien genießen. Das Spektrum dieser Kräfte reicht von den ehemals kommunistisch orientierten über demokratisch konzipierte bis hin zu streng religiös geprägten Kräften.

Das Dilemma besteht jedoch darin, dass nicht politische Parteien, sondern einzelne Personen als Kandidaten zugelassen sind. Das erleichtert zwar die Entscheidung der Wähler, den gewünschten Kandidaten mit den entsprechenden Symbolen in der vier- bis sechsseitigen Wahlbroschüre zu finden. Es erschwert aber den Parteien den Zugang zu potenziellen Wählern, die über Stammesloyalität oder Religionszugehörigkeit hinaus auf die "nationale Identität" setzen.

Stammeszugehörigkeit entscheidend

Mit den ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen am Hindukusch wurde im vergangenen Jahr zum ersten Mal offiziell dokumentiert, dass in Afghanistan die Stammesloyalität nach wie vor von erstrangiger Bedeutung ist.

Diese habe seit der Präsidentschaftswahl noch zugenommen, sagt Qamar Wakili, ehemalige Vizeministerin für Arbeit und Soziales. "Meine Parole lautet daher: Nationale Einheit und soziale Gerechtigkeit. Diskriminierungen sprachlicher, Stammes-bezogener, regionaler und rassistischer Prägung haben Afghanistan einen großen Schaden zugefügt."

Gefahr für einen reibungslosen Wahlvorgang besteht aber vor allem durch die Taliban-Milizen, die die Wahlen sabotieren wollen. Paradoxerweise haben sich einige der hochrangigen Kader der Taliban auf die Wahllisten setzen lassen. Dies hat bei manchen Gruppen und Parteien zu heftigen Protesten geführt.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Die Gefahr, die von den ehemaligen regionalen Kriegsfürsten ausgeht, die sich auf die Spielregeln des neuen Afghanistan eingelassen haben und in die Entscheidungen der Zentralregierung eingebunden sind, darf ebenso nicht bagatellisiert werden.

Für die Sicherheit der Bürger und der Kandidaten und für einen reibungslosen Wahlgang sind neben den rund 40.000 einheimischen 30.000 internationale Sicherheitskräfte verantwortlich. Trotz der umfassenden Sicherheitsvorkehrungen sind von den mehr als 2.700
Parlamentskandidaten bisher sechs durch gezielte Angriffe der bewaffneten Opposition ums Leben gekommen.

Trotzdem gehen politische Beobachter wieder von einer hohen Wahlbeteiligung der afghanischen Bevölkerung aus, bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2004 lag sie bei über 80 Prozent.

Said Musa Samimy

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

Qantara.de

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