Das neue Gesicht des Protests

Wael Ghonim war mit seinen Protestaufrufen im Netz einer der Initiatoren der Protestwelle gegen das Regime Mubarak. Der Internet-Aktivist könnte nach seiner Haftentlassung zur Führungsfigur der Protestbewegung werden. Ein Porträt von Loay Mudhoon.

Von Loay Mudhoon

​Die Bilder aus dem ägyptischen Privatkanal Dream-TV erschütterten und rührten die Menschen in Ägypten. Da saß er: Einer ihrer führenden Freiheits-Aktivisten, weinte und rang um Worte: "Allen Mütter und Vätern, die einen Sohn verloren haben, möchte ich sagen: Es tut mir so Leid! Aber es war nicht unser Fehler. Es war der Fehler derer, die die Macht ausüben und sich an ihr festklammern." Zwölf Tage war der junge ägyptische Blogger Wael Ghonim in Haft.

Am Montag (07.02.2011) tauchte er wieder auf, am Dienstag hielt er bereits eine Rede auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Epizentrum der Protestbewegung gegen die autoritäre Herrschaft von Präsident Hosni Mubarak. Hunderttausende jubelten ihm begeistert zu.

In Wael Ghonim, so scheint es, könnte die Protestbewegung genau das finden, was ihr bisher gefehlt hat: eine Identifikationsfigur und charismatische Führungspersönlichkeit - ein Gesicht, das für die ganze Bewegung steht. Wael Ghonim kennt diese Erwartungshaltung - und kontert mit demonstrativer Bescheidenheit: "Wir in Ägypten lieben Helden - aber ich bin wahrlich kein Held! Ich habe zwölf Tage lang geschlafen", sagt Ghomin. "Die Helden, das sind die jungen Leute, die auf die Straße gegangen sind, die an den Demonstrationen teilgenommen haben, die ihr Leben geopfert haben, die geschlagen und verhaftet wurden, die ihr Leben riskierten und sich diesen Gefahren ausgesetzt haben", so der Internet-Aktivist.

Es begann mit Khaled Said

Er demonstriert politische Entschlossenheit und ist strikt gegen alle Verhandlungen mit der Regierung, solange Präsident Mubarak nicht sein Amt aufgibt. Er ermuntert die Demonstranten, nicht nachzugeben. "Dies ist Euer Land", lautet seine Botschaft an die ägyptische Jugend. Die Machthabenden hätten das Land jahrzehntelang als ihr privates Eigentum betrachtet. ​​ Der 30-Jährige Facebook-Aktivist und Vater zweier Kinder ist auch beruflich mit dem Internet verbunden: Er ist der Marketing-Direktor von Google für die Region Nahost und Nordafrika. Erst seit einem Jahr engagiert er sich intensiv politisch. Unter dem Pseudonym "Al-Schahid", Arabisch für der Märtyrer, wurde er durch seine Protestaufrufe im Internet zu einem der Hauptinitiatoren der Protestwelle gegen den Unterdrückungsapparat des Regimes.

Wael Ghonim gründete die Facebook-Gruppe „Wir sind alle Khaled Said“ und avancierte somit zum Helden der Revolution. Dem Aufruf der Facebook-Gruppe, am 25. Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz zu demonstrieren, folgten Zehntausende; Foto: AP
Wael Ghonim gründete die Facebook-Gruppe „Wir sind alle Khaled Said“ und avancierte somit zum Helden der Revolution. Dem Aufruf der Facebook-Gruppe, am 25. Januar 2011 auf dem Tahrir-Platz zu demonstrieren, folgten Zehntausende; Foto: AP

Eine wichtige Rolle spielte dabei seine Facebook-Seite "Wir sind alle Khaled Said", die nach einem Blogger benannt ist, der im Juni 2010 in Alexandria von verdeckten Ermittlern zu Tode geprügelt worden war. Dass diese Seite und die Internet-Kampagnen anderer Aktivisten ein solches politisches Erdbeben auslösen könnten, hatte er selbst nicht geahnt.

Zum "Sprecher" der Proteste gewählt

Wael Ghonim scheint bereits in seine neue Rolle hineinzuwachsen. Am Mittwoch (09.02.2011) appellierte er öffentlich an die jungen Demonstranten und die etablierten Oppositionsparteien, sich auf gemeinsame politische Forderungen zu einigen.​​

Auf einer neu eingerichteten Seite beim sozialen Netzwerk Facebook wählten ihn - in einer virtuellen Abstimmung per Mausklick - innerhalb von 24 Stunden über 150.000 Internet-Nutzer zum "Sprecher" der ägyptischen Protestbewegung. Eine wichtige Symbolfigur ist Wael Ghonim schon jetzt. Er ist populär, er kann begeistern - sein emotionaler TV-Auftritt hat ihm weitere Sympathien eingebracht.

Ob er auch eine vielschichtige Massenbewegung anführen und sich in politischen Machtkämpfen behaupten kann, muss sich noch zeigen. Auf jeden Fall demonstriert er schon jetzt Entschlossenheit und Kampfeswillen: "Wir haben uns zum Handeln entschlossen", sagt Ghomin. "Wir wollten für Ägypten kämpfen – denn es geht um unsere Heimat!" Wenn die Proteste vorbei sind, dann will Wael Ghonim allerdings wieder die Privatperson Wael werden.

Loay Mudhoon

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de