Sitten-Polizei als Demokratie-Bremse?

Auch nach dem Sturz der Taliban hat sich die Situation der Frauen in Afghanistan kaum verbessert. Mit der Einführung einer Sitten-Polizei sollen ihre Rechte weiter beschnitten werden. Von Nabila Karimi-Alekozai

Afghanische Frauen in Mazar-e-Sharif; Foto: AP
"Wenn das so weitergeht, erwartet uns Frauen die gleiche Situation wie zu Zeiten der Taliban", urteilt Dr. Alema vom DED

​​Das Ausmaß der Unterdrückung, dem die Menschen und besonders die Frauen während der Zeit der Talibanherrschaft in Afghanistan ausgesetzt waren, wurde erst nach dem Fall des Regimes von der Außenwelt wahrgenommen.

Seit nunmehr viereinhalb Jahren versuchen die Menschen Afghanistans, mit Unterstützung der internationalen Friedenstruppe und internationaler Geldgeber, die frühere Diktatur in eine Demokratie umzuwandeln.

Der Demokratisierungsprozess verläuft jedoch nur langsam und mühsam, Terroranschläge gehören fast wieder zum Alltag, und nun versucht der so genannte "Rat der Gelehrten" mit der Einführung einer Sittenpolizei vor allem die Frauen in die Taliban-Zeit zurückzuversetzen.

Dieser "Rat der Gelehrten" hat vorgeschlagen das "Amt zur Bekämpfung von Laster und zur Förderung der Tugend" wieder einzuführen – wie unter dem Taliban-Regime.

Präsident Hamid Karzai hat der de-facto-Sittenpolizei schon zugestimmt - nur die Bestätigung durch das afghanische Parlament steht noch aus.

Geistliche wettern gegen Glaubensschwäche

"Eines der größten Laster hier ist die Glaubensschwäche der Menschen. Wer will, betet, und wer nicht will, betet nicht. In den Ämtern mischen sich Männer und Frauen, sie unterhalten sich ohne Einschränkungen, machen Witze und lachen miteinander", beklagt sich Mohamed Hazemie, Prediger einer Moschee in Kabul, und fährt fort:

"Die Frauen kleiden sich nicht nach islamischen Vorschriften. Wenn die Frauen zur Arbeit gehen, schminken sie sich so, dass man denkt, sie gehen zu einer Hochzeit. Und vor allem sind die ganze Stadt und der Bazar voll mit indischen Filmen und Postern indischer Schauspielerinnen. Im Moment sieht man viele Laster, die die Menschen ausüben."

Für Mohamed Hazemie und für viele andere Männer in Afghanistan steht der Demokratisierungsprozess als Bedrohung für Moral und Sitten.

Dabei sind die Phänomene, gegen die er so eifrig wettert, nur in Kabul und in einigen anderen Großstädten anzutreffen. Auf dem Land, in den Dörfern und in kleineren Städten sind die Frauen so verhüllt und unfrei wie schon zu Zeiten der Taliban.

Mädchenschulen, in den letzten viereinhalb Jahren meist mit internationaler Hilfe mühsam aufgebaut, werden schon wieder geschlossen - nach dem Motto: Frauen und Mädchen brauchen keine Bildung. Gewalt gegen Frauen ist ein immer noch alltägliches Phänomen im ganzen Land - daran hat sich auch mit dem Demokratisierungsprozess nichts geändert.

Drohungen und Anschläge gegen Mädchenschulen

Auch der Wiederaufbau geht nicht so voran, wie man anhand der milliardenschweren Hilfen aus dem Ausland vermuten sollte. Im Gegenteil, so Dr. Alema von der Vereinigung der politischen Partizipation der Frauen in Afghanistan und DED-Beraterin afghanischer Frauengruppen:

"Viele Familien haben Angst, ihre Töchter in die Schule zu schicken. Auf Flugblättern, die in den Moscheen verteilt werden, wird damit gedroht, die Mädchen mit Säure zu überschütten und sie umzubringen. Wer die Taliban-Zeit erlebt hat, weiß, dass dies keine leeren Drohungen sind. Wenn das so weitergeht, erwartet uns Frauen die gleiche Situation wie zu Zeiten der Taliban."

Dr. Alema sieht zurzeit wenig Grund zum Optimismus. Die Frauen haben kaum mehr Einfluss, als sie unter den Taliban hatten. Die Macht in Afghanistans Parlament haben die ehemaligen Kriegsführer und Warlords, die 65 Prozent der Parlamentssitze besetzen.

In Hamid Karzais Kabinett gibt es nur eine einzige Frau, die Frauenministerin, die vom Parlament noch nicht einmal bestätigt worden ist. Würde es kein spezifisches Frauenministerium geben, wären die Frauen, was die Verteilung der Ministerien angeht, völlig leer ausgegangen, so Dr. Alema.

Rückkehr zu Zeiten der Taliban?

Dr. Alema, die auch Vertreterin von Unifem, dem Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen, ist, macht sich große Sorgen über die versuchte Wiederbelegung der Sitten-Polizei in Afghanistan. Angeblich soll diese Truppe über Moral und Sitten wachen sowie über die Einhaltung der religiösen Regeln des Korans. Es ist aber heute schon klar, so Dr. Alema, was die Wiedereinführung der Sittenpolizei bewirken soll:

"Offiziell ist das Amt noch gar nicht gegründet, doch schon haben die Fundamentalisten in den Städten und Provinzen, in denen sie die Macht haben, Mädchenschulen geschlossen. Das ist immerhin ein Drittel der Provinzen. Allein im Jahr 2006 haben sie 207 Mädchenschulen angegriffen und 17 Lehrerinnen getötet."

Die Regierung Karzai hat den Menschen in Afghanistan Sicherheit, Demokratie und Gleichberechtigung versprochen. Mit der Gründung des so genannten "Amtes zur Bekämpfung von Laster und der Förderung von Tugend", also einer Sitten-Polizei, wären diese Versprechen zumindest für die Hälfte der Bevölkerung, nämlich die Frauen, aufgehoben.

"Es ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Petersberger Abkommen und auch ein Verstoß gegen die afghanische Verfassung", meint Dr. Alema.

"Meiner Meinung nach ist die Gründung dieses Amtes gegen alle demokratischen Grundregeln. Einerseits verspricht uns Karzai Demokratie und andererseits verstößt er dagegen. Statt Demokratie bekommen wir ein despotisches Regime.

"Was er macht, ist gegen unsere Verfassung, gegen die Paragraphen 24, 22, 6 und 29 der afghanischen Verfassung. Er hat diese Verfassung selbst ratifiziert, und jetzt ist er einer der ersten, die dagegen verstoßen."

Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen

Dr. Alema hat in Deutschland Sozialwissenschaften studiert. Vor vier Jahren ist sie nach Afghanistan zurückgekehrt und arbeitet aktiv in verschiedenen Wiederaufbau-Projekten.

Ihr Lebensziel war und ist die Befreiung der Frauen und Mädchen von Unterdrückung und die uneingeschränkte Anerkennung ihrer Rechte. "In einem patriarchalischen Land wie Afghanistan sind Frauen immer stärker von solchen Maßnahmen betroffen als Männer", sagt sie.

Und gibt zu bedenken, dass auch Frauen Muslime sind und nicht von der Sittenpolizei mit der Peitsche zu religiösem Gehorsam erzogen werden müssen. Außerdem weist sie darauf hin, dass auch Wiederaufbaugelder für die Sittenpolizei missbraucht werden könnten, was gegen die Absichten der Spender sein dürfte.

Nun ist für sie die letzte Hoffnung, dass das Parlament sich doch noch zum Demokratisierungsprozess bekennt:

"Wir hoffen, dass das Parlament die Gründung dieses Amtes verhindert. Große Hoffnung haben wir nicht, weil dort viele muslimische Fundamentalisten sitzen. Aber wir erwarten von den Demokraten und Intellektuellen, dass sie die Gründung eines solchen Amtes nicht zulassen, auch wenn sie in der Minderheit sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Regime des Mittelalters den Platz der Demokratie einnimmt."

Erinnerung an die Taliban-Herrschaft

Das Amt zur Bekämpfung von Laster und zur Förderung der Tugend weckt in Afghanistan besonders bei den Frauen grausame Erinnerungen an die Zeiten der Taliban. Unter dem Taliban-Regime wurde von der Sittenpolizei kontrolliert, dass Frauen nicht ohne Burka und männliche Begleitung außer Haus gingen.

Frauen hatten keinen Zugang zu Schule, Arbeit oder medizinischer Versorgung. Doch auch Männer ohne Bart oder mit westlicher Frisur wurden verfolgt. Verstöße gegen die fünf täglichen Gebetszeiten in der Moschee und jede Nichtbeachtung der strengen, religiösen Regeln wurde als Sünde bezeichnet.

Wer die Verbote nicht einhielt, wurde als Ungläubiger bezeichnet und dafür mit der Peitsche, mit Gefängnis oder gar Steinigung bestraft.

Nabila Karimi-Alekozai

©DEUTSCHE WELLE 2006

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