Kultur als Träger politischer Liberalisierung?

In Damaskus wurden jetzt zwei Ausstellungen eröffnet, darunter das Kunstprojekt "Paper Roads" des Hannoveraners Wolfgang Tiemann, der seine Werke bereits an mehreren Stationen der alten Seidenstraße ausgestellt hat. Von Werner Bloch

In Damaskus wurden jetzt zwei Ausstellungen eröffnet, darunter das Kunstprojekt "PaperRoads" des Hannoveraners Wolfgang Tiemann, der seine Werke bereits an mehreren Stationen der alten Seidenstraße ausgestellt hat und der den Weg des Papiers von China über Arabien bis nach Europa nachzeichnet. Gleichzeitig zeigt das Goethe-Institut eine regimekritische Ausstellung eines oppositionellen Künstlers. Von Werner Bloch

Foto: AP
Wolfgang Tiemann vor einem seiner Gemälde auf der Ausstellung "PaperRoads" in Damaskus

​​Damaskus im Dezember - eine nervöse Stadt, eine quirlige arabische Metropole mit chaotischem Verkehr, in der eigentlich alles ganz normal aussieht. Und doch ist die Atmosphäre gespannt, haben viele das Gefühl, dass bald etwas Dramatisches geschehen könnte, dass die Amerikaner vielleicht ihre Drohungen gegen Damaskus wahr machen.

In dieses isolierte und seltsam aufgeregte Land hat der deutsche Künstler Wolfgang Tiemann große Kunst gebracht: Sechs Kisten mit über fünf Meter langen, monumentalen Aquatinta-Radierungen - die größten Tiefdrucke im Ätzverfahren, die es weltweit gibt, meint Wolfgang Tiemann:

"Man transportiert über pure Größe auch eine Absicht. Aquatinta ist nichts anderes als ein Halbtonätzverfahren im Tiefdruck. Man verliert ja, wenn man im Arbeitsrausch ist, sämtliche Sicherheitsgefühle. Man steigt mit Socken oder Turnschuhen in die Ätze. Man vergisst, dass der Körper eine Schwachstelle ist. Ohne Gasmaske hätte ich gar nichts machen können."

Positives Echo in der syrischen Öffentlichkeit

Kunst, die mit der Gasmaske entstand - und die jetzt in Damaskus gefeiert wird. Stolz hängen die monumentalen Bilder in der Eingangshalle des Nationalmuseums, dem höchsten Tempel syrischer Kunst. Alle Fernsehprogramme und alle Zeitungen feiern den deutschen Künstler.

Sogar Staatspräsident Bashar al-Asad schaut vorbei - allerdings nicht zur Vernissage, sondern zum Kinderworkshop. Kein Zweifel: Wolfgang Tiemann, der diesen Auftritt selbst organisiert hat, macht Politik. Und die Regierungssprecherin, Boutheina Shabaan, nimmt den Ball auf, wenn sie sagt:

"In einer Zeit, in der unsere Region unter Gewalt, Mord, Krieg und Besetzung leidet, ist die Kultur vielleicht die einzige Antwort. Wir müssen uns über unsere Literaturen und unsere Künstler als Menschen verständigen; das schützt am besten vor der Logik der Polarisierung. Syrien ist ein Land, in dem Juden, Moslems und Christen seit Tausenden von Jahren zusammen leben. Und wir leben gern zusammen."

Bei seinem Auftritt im Nationalmuseum gibt sich der Präsident bescheiden, fast schüchtern - in Freizeitkleidung. Ganz anders als sein Vater Hafis al-Asad. Bashar al-Asad äußert sich fast nie in der Öffentlichkeit - oft schickt er seinen Informationsminister vor:

"Syrien hat sich verändert, seit die Zusammenarbeit mit Europa im Barcelona-Prozess beschlossen wurde", so der Minister und fügt hinzu: "Die Wirtschaft und das ganze Leben der Syrer haben sich liberalisiert. Im nächsten Frühling findet eine große Konferenz der Baath-Partei statt, auf der eine Wende gegenüber der Vergangenheit beschlossen wird. Das Ziel ist die Rückkehr zur Sozialdemokratie. Die Partei wird das Privateigentum als heilig anerkennen und die Meinungsfreiheit."

Zeichen politischer Liberalisierung?

Schöne Worte. Aber halten sie der Wirklichkeit stand? Noch am selben Abend konnte man sich davon ein Urteil bilden. Im Goethe-Institut wurde eine Ausstellung eröffnet, und die ist für ein arabisches Land einfach sensationell kritisch.

"Land und Lehm" heißt die Schau, und zu sehen sind jeweils Paare von Fotografie und Text. Der Text handelt von den Menschen- und Bürgerrechten, die Fotos illustrieren sie. Texte, die Syrien offiziell anerkennt und die teilweise sogar in der Verfassung stehen, doch sie sind eben keine Praxis: Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit, Versammlungsfreiheit.

Nun werden sie unter anderem im Goethe-Institut "eingefordert" - vom Künstler Ahmad Moualla, der in Damaskus mit einem Berufsverbot belegt wurde.

Und die syrische Staatsmacht? Sie verhält sich freundlich. Der stellvertretende Kulturminister besucht sogar die Ausstellung und äußert sich anerkennend. Natürlich bleiben Zweifel. Doch die Zeichen in Damaskus stehen derzeit eher auf Öffnung.

Werner Bloch

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

Mehr über das Kunstprojekt von Wolfgang Tiemann erfahren Sie bei East West Culture Org.