Zuwanderungsgesetz als "Integrationsverhinderungsgesetz"

Memet Kilic, der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, kritisiert die Verschärfung des Zuwanderungsrechts in Deutschland. Statt Integration zu fördern, erhalte wieder der "alte Abwehrgeist" des Ausländerrechts Einzug in das Zuwanderungsrecht.

In seinem Kommentar kritisiert der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic, die Verschärfung des Zuwanderungsrechts in Deutschland. Statt Integration zu fördern, erhält wieder der "alte Abwehrgeist" des Ausländerrechts Einzug in das Zuwanderungsrecht, so Kilic.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, mitte, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, links, und die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerpolitik und Integration Maria Böhmer; Foto: AP
Kanzlerin Merkel, mitte, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, links, und die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerpolitik und Integration Maria Böhmer auf dem Integrationsgipfel

​​"Integration" ist ein Zauberwort, das am häufigsten gerade von den "Integrationsunwilligen" in den Mund genommen wird. Wir Migranten wollen "Teilhabe", und zwar wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche. Dies wird jedoch von der meinungsführenden Politik beharrlich ignoriert.

Oft wird Integration den Migranten von oben herab verordnet und an sprachlichen Fähigkeiten bzw. den Deutschkenntnissen festgemacht.

Welche Perspektiven jedoch selbst sprachkundige Migrantenkinder in Deutschland haben, die einen Universitätsabschluss vorweisen können, lässt sich schon allein an der extrem hohen Zahl von akademisch gebildeten Taxifahrern mit Migrationshintergrund sehen!

Es scheint geradezu so zu sein, dass die wirtschaftlichen und beruflichen Schlüsselpositionen einzig und allein für Deutsche reserviert sind.

Wenn Migranten und deren Verbände im Zusammenhang mit den Integrationsgipfeln befürchten, für eine Symbolpolitik herhalten zu müssen, dann ist dies keine Launenhaftigkeit, sondern ein ernst zu nehmendes Signal.

Boykott des Integrationsgipfels

Ich kann durchaus nachvollziehen, weshalb türkische Verbände ihre Teilnahme am Integrationsgipfel abgesagt haben. Man kann nicht einfach Integration durch einen bundesweiten Integrationsgipfel proklamieren, gleichzeitig bewirken diskriminierende ausländerrechtliche Gesetzesneuerungen jedoch das Gegenteil.

Die Bundesregierung will mit der Änderung des Zuwanderungsgesetzes die aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union umsetzen und nutzt dabei die Gelegenheit, eine Vielzahl an Verschärfungen vorzunehmen.

Positive Änderungsvorschläge, wie die Freizügigkeit für Nicht-EU-Bürger und Verbesserungen auf dem Gebiet des Bleiberechts können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesetz fatale Signale hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz von Migranten aussendet.

Besonders bedenklich sind die vorgesehenen Sanktionen im Bereich der Integrationskurse, die bis zur Aufenthaltsbeendigung führen können, die Neuregelungen zur Familienzusammenführung, die Einschränkungen im Einbürgerungsrecht und die Aushöhlung des Datenschutzes.

An der Grenze zur Verfassungswidrigkeit bewegen sich insbesondere die Restriktionen beim Familiennachzug. Der Zwang, vor der Einreise Sprachkenntnisse nachzuweisen, wird künftig den Familiennachzug de facto verhindern, der grundgesetzlich garantierte Schutz von Ehe und Familie wird außer Kraft gesetzt.

Schon jetzt ist hinreichend bekannt, dass weder in allen Herkunftsländern, geschweige denn in der Nähe der Wohnorte geeignete Angebote an Deutschkursen vorhanden oder allgemein zugänglich sind.

Hier wird quasi ein Zwei-Klassen-Recht geschaffen. Nämlich für diejenigen, die sich diese Kurse finanziell leisten können, und für diejenigen, denen dies eben nicht möglich ist. Mit anderen Worten handelt es sich hierbei um eine Form von Diskriminierung.

Verhinderte Einbürgerungen

Kurz nach der Wiedervereinigung wurden in Deutschland verstärkt nationale Töne laut. Die schrecklichen Anschläge auf Migranten in Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen sorgten für Negativ-Schlagzeilen in den Medien und rückten die Bundesrepublik wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Memet Kilic; Foto: www.heidelberg.de
Mit der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes steht die politische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel, so Memet Kilic

​​Um den internationalen Imageschaden abzuwenden, traf die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1993 eine Regelung für die so genannte Anspruchseinbürgerung. Der Architekt dieser Regelung war der damalige und heutige Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble.

Der überwiegende Teil der deutschen Politik hat diese widerwillig und nur taktisch getroffene Regelung nie wirklich akzeptiert. Daher wurde der Versuch unternommen, die Anspruchseinbürgerung mit hohen Hürden zu versehen bzw. faktisch zu verhindern (z.B. durch qualifizierte Sprachkenntnisse sowie im aktuellen Gesetzesentwurf durch Sprachprüfungen mit Deutsch-Zertifikaten oder etwa durch Gesinnungstests).

Lediglich zwei wichtige Ausnahmen von diesen stetigen Verschärfungen gibt es: die so genannte Kinderstaatsangehörigkeit und die Herabsetzung der erforderlichen rechtmäßigen Aufenthaltszeiten, die beide von der ehemaligen rot-grünen Regierung durchgesetzt wurden.

Unklare Rechtsbegriffe

Sobald ein unbestimmter Rechtsbegriff von der Rechtsprechung konkretisiert oder zugunsten der Betroffenen ausgelegt wird (z.B. "ausreichende Sprachkenntnisse"), findet der Gesetzgeber womöglich einen anderen unbestimmten Begriff, mit dem er den Einbürgerungsbehörden ein Verweigerungsinstrument in die Hand gibt:

Der Gesetzgeber versucht nun, Kenntnisse der "Lebensverhältnisse" als Einbürgerungsvoraussetzung zu erheben. Doch was genau ist mit "Lebensverhältnissen" gemeint?

Die Verschärfungen der Einbürgerungsvoraussetzungen für Jugendliche führen im Ergebnis zur vollständigen, faktischen Abschaffung der Anspruchseinbürgerung. Doch Einbürgerung muss erleichtert und nicht verschärft werden.

Schon jetzt sind die Einbürgerungszahlen in Deutschland rückläufig. Und nun wird bei denjenigen angesetzt, die in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt am meisten benachteiligt sind: junge Menschen unter 23 Jahren.

Ihnen die Einbürgerung zu verweigern, wenn sie sich weder in der Ausbildung befinden noch ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, bedeutet einen integrationspolitischen Faustschlag.

Migranten als gläserne Menschen

Die erweiterten Zugriffsrechte auf das Ausländerzentralregister und die Erweiterung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist ein gefährlicher Eingriff in das durch das Grundgesetz garantierte informationelle Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen.

Sicherheitsaspekte sind kein Argument für weitere Restriktionen. Demokratie kann man nicht schützen, indem man ihre freiheitlichen Grundrechte Schritt für Schritt demontiert. Vielmehr ist die rechtsstaatliche und freiheitlich-demokratische Grundordnung das beste Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus.

Auch die abgespeckte Bleiberechtsregelung stellt keine wirkliche Lösung für die Mehrheit der in Deutschland lebenden Flüchtlinge dar. Die vielen Ausschlussgründe werden künftig dafür sorgen, dass nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge davon profitieren kann. Kettenduldungen werden in Deutschland daher auch in Zukunft an der Tagesordnung bleiben.

Mit der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes steht die politische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel. Statt Integration zu fördern, hält nun wieder der "alte Abwehrgeist" des Ausländerrechts Einzug in das Zuwanderungsrecht.

Memet Kilic

© Qantara.de 2007

Der Autor ist Mitbegründer und Vorsitzender des Bundesausländerbeirates und Rechtsanwalt in Heidelberg. Er sitzt außerdem für die Grünen im Heidelberger Gemeinderat.

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