Zwischen Wahlversprechen und politischer Realität

Kampf gegen die Armut und eine gerechtere Verteilung der Erdölreserven – so lauteten die Wahlversprechen Mahmoud Ahmadinejads. Der iranische Exiloppositionelle Faraj Sarkohi zweifelt, dass diese Versprechen eingehalten werden können.

Mahmoud Ahmadinejad; Foto: AP
Auf die Außen- und Sicherheitspolitik hat Mahmoud Ahmadinejad als Präsident keinen Einfluss

​​Eine erste Bilanz der hunderttägigen Präsidentschaft von Mahmoud Ahmadinejad ist nach zwei Rückschlägen wenig verheißungsvoll: Ahmadinejads Flügel im Parlament, die konservative Abgeordnetenmehrheit, sprach den drei von ihm vorgeschlagenen Ministern nicht das Vertrauen aus.

Zudem hat die Resolution der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) den Weg für eine Anrufung des UN-Sicherheitsrates geöffnet.

Die Resolution gibt Iran bis Mitte November Zeit, die Anreicherung von Uran endgültig aufzugeben und die Inbetriebnahme einer Atomanlage und den Bau eines Schwerwasserreaktors zu unterlassen.

Die Islamische Republik beharrt jedoch auf ihrem Recht, Uran anreichern zu dürfen und droht damit, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, sollte der Druck fortgesetzt werden.

Die Haltung Irans auf atomarem Gebiet ist allerdings nicht das Ergebnis der Positionen Ahmadinejads, sondern der vorherrschenden Politik der Islamischen Republik, bei deren Bestimmung der Präsident keine entscheidende Rolle spielt.

Kein inneriranischer Widerstand gegen Atompolitik

Laut iranischem Gesetz liegt die Richtlinienkompetenz in der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik einzig in den Händen des religiösen Führers und des Nationalen Sicherheitsrates, dessen Hauptmitglieder vom religiösen Führer ernannt werden.

Die Atompolitik der Islamischen Republik wird innerhalb Irans auf keinen nennenswerten Widerstand stoßen. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen nur Kandidaten zur Wahl, die vom Wächterrat zugelassen wurden. Und deren Mitglieder werden wiederum zum überwiegenden Teil vom religiösen Führer bestimmt.

Auch Radio und Fernsehen sind ein Monopol des religiösen Führers. Die strenge Zensur der Presse und die Inhaftierung von oppositionellen Intellektuellen und deren Ermordung gibt politischen Gegnern keine Möglichkeit, aktiv zu werden.

Nuklearanlage in Isfahan; Foto: AP
Die Haltung Irans in der Atompolitik wird vom religiösen Führer bestimmt

​​Liberale und laizistische Strömungen, die für Demokratie und eine Trennung von Staat und Religion eintreten, können sich nicht öffentlich betätigen. Innerhalb Irans existiert keine organisierte Opposition mehr. Die gespaltene Opposition im Exil besitzt innerhalb Irans keinen Einfluss.

Alle Regierungsströmungen in Iran sind sich bewusst, dass die inneren und äußeren Umstände für einen Ausbau der Atomanlagen Irans niemals günstiger waren.

Der neue Präsident stimmt mit dem religiösen Führer auf dem Gebiet der Außen- und Atompolitik überein. Die Außenpolitik, insbesondere die Handlungsweise auf atomarem Gebiet, wurde an den "Nationalen Sicherheitsrat" übertragen, der von Larijani, einem der Konkurrenten Ahmadinejads bei den Wahlen, geleitet wird und der als Vertreter des religiösen Führers sowie als Vorsitzender des Rates die Verhandlungen mit der Europäischen Union und der Internationalen Atomenergiebehörde führt.

Wahlversprechen nicht durchsetzbar

Doch die zweite Herausforderung, die Achillesferse des neuen Präsidenten, hat ihn bereits jetzt vor zahlreiche Probleme gestellt: Seine 17 Millionen Wähler warten ungeduldig darauf, dass er seine Wahlversprechen hinsichtlich des Kampfes gegen Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit sowie für eine gerechtere Verteilung der Erdöleinnahmen in die Tat umsetzt.

Genau auf diesen Gebieten stößt Ahmadinejad auf erbitterten Widerstand – sowohl von Teilen der Regierung und der wirtschaftlich mächtigen religiösen Stiftungen, als auch von der einflussreichen kleinen Schicht der zu plötzlichem Reichtum gelangten Multimillionäre.

Die mit dem religiösen Führer oder anderen führenden Regierungsvertretern verbundenen machtvollen religiösen Stiftungen kontrollieren mehr als 60 Prozent der Wirtschaft und sind von jeder offiziellen Rechnungsprüfung befreit.

Die Erdölgeschäfte und die Einfuhr von Waffen und Gebrauchsgütern sind ein Monopol der führenden Regierungsvertreter und ihrer Angehörigen. Diese sind durch die Nutzung der Privilegien, die die halbstaatliche und die Schattenwirtschaft offerieren, sowie durch hohe Profite aus Auslandsgeschäften zu märchenhaftem Reichtum gelangt.

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen war die weit verbreitete Armut ausschlaggebend. Unter den sechs Kandidaten, die zur Wahl zugelassen waren, konnte der bekannteste, Rafsanjani, der zu den religiösen Pragmatikern zählt, keine Mehrheit erzielen, da er für die Mehrheit der Iraner als Symbol für institutionalisierte Korruption, Despotie, Inhaftierung von Oppositionellen und politische Morde sowie als Pate der reichsten Familie im Land gilt.

Unzufriedenheit über Korruption

Ein weiterer Konkurrent, der ehemalige Minister Moin und Vertreter des Flügels der religiösen Reformer, konnte außer der Wiederauflage des gescheiterten Programms von Khatami keine neuen Ideen vorweisen. Zwei weitere Konkurrenten aus dem Lager der Konservativen, Larijani und Qalibaf, stießen aufgrund ihrer Vergangenheit beim Militär und Geheimdienst auf die Ablehnung der Mehrheit der Bevölkerung.

Einer der Kandidaten, Karubi, versprach im Falle eines Sieges jedem Iraner die Zahlung von monatlich 50.000 Toman (ca. 50 Euro). Dieses Versprechen brachte ihm etwa fünf Millionen Stimmen, die bei der anschließenden Stichwahl an Ahmadinejad gingen.

Die fünf Konkurrenten Ahmadinejads hatten in den letzten 27 Jahren wichtige Stellungen in der Politik, beim Militär oder Geheimdienst inne. Die wichtigste Position, die Ahmadinejad ausübte, war das Amt als Teheraner Bürgermeister.

Er hatte im Vergleich zu seinen Konkurrenten weniger hohe Posten in der Regierung inne und kritisierte energischer als alle von ihnen die herrschenden Missstände. Ahmadinejad konnte 17 Millionen Stimmen für sich gewinnen, indem er die tief reichende Unzufriedenheit der Mehrheit der Bevölkerung aufgriff:

Er kritisierte die institutionalisierte Korruption, die weit verbreitete Armut und Arbeitslosigkeit und die maßlosen Einkommensunterschiede. Er forderte soziale Gerechtigkeit, den Kampf gegen die Korruption und eine gerechtere Verteilung der Erdöleinnahmen.

Ahmadinejad folgt Unterdrückungspolitik der Konservativen

Viele Iraner, die den unteren und mittleren Schichten entstammen und die im festen Glauben an die populistischen Ideale Khomeinis einen Großteil ihrer Jugend aus freien Stücken auf den Schlachtfeldern im achtjährigen Krieg gegen den Irak verbrachten, wurden bei ihrer Rückkehr mit einer Gesellschaft konfrontiert, die in Armut versank und mit Regierenden, deren plötzlicher Reichtum und unangefochtene Macht die einstigen populistischen Ideale verhöhnten.

Jene, die in den unteren und mittleren Rängen der Revolutionsgarden und den Basij-Milizen, der Volksarmee, organisiert sind und die Hauptbasis der islamischen Regierung innerhalb der Bevölkerung bilden, fühlen sich und die Islamische Revolution verraten. Das verband sie bei den letzten Wahlen zusammen mit den Armen der Gesellschaft bei ihrer Unterstützung Ahmadinejads.

Ahmadinejad hat mit der Wahl von drei unerbittlichen Persönlichkeiten für die zentralen Posten im Informationsministerium, bei der Sicherheitspolizei im Innenministerium und im Ministerium für Kultur und islamische Rechtleitung ("Ershad") seine Übereinstimmung mit der Unterdrückungspolitik der fundamentalistischen Konservativen gezeigt.

Doch im Gegenzug hat die konservative Mehrheit im Parlament drei andere von ihm vorgeschlagene Minister abgelehnt - die einzigen, die mit dem populistischen Programmen Ahmadinejads übereinstimmten und vom Kampf gegen die wirtschaftliche Korruption und von einer gerechteren Verteilung der Erdöleinnahmen sprachen.

Der Flügel Ahmadinejads hat mit seiner Ablehnung der drei vorgeschlagenen Minister und eines Teils seines Wirtschaftsprogramms versucht ihm beizubringen, dass Wahlversprechen am Tag nach dem Sieg ihre Gültigkeit verlieren.

Neue Befugnisse für Rafsanjani

Am 3. Oktober vollendete der religiöse Führer diese Lektion. Indem er einen Teil seiner Befugnisse an Rafsanjani abgab, positionierte er den Wahlverlierer über dem Wahlsieger. Ab sofort ist Rafsanjani, neben seinem einflussreichen Amt als Leiter des Schlichtungsrates, auch Aufseher über die Exekutive, Legislative und Judikative.

Gewerkschaftsproteste in Teheran; Foto: Deutsche Welle
Gewerkschaftsproteste in Teheran

​​Die neuen Befugnisse Rafsanjanis sind eine Garantie für die vermögenden und mächtigen Gruppierungen im Land, dass der von Ahmadinejad angekündigte Kampf gegen die Korruption und für eine gerechtere Verteilung der Erdöleinnahmen im Keim erstickt wird.

Kapitalanleger mit populistischen Slogans zu ängstigen, ließe die Zahl der Investitionen, die bereits jetzt gering ist, auf Null sinken. Kapitalflucht und Kapitalanlagen im Ausland, eine der gängigsten Erscheinungen innerhalb der iranischen Wirtschaft, sind in den letzten hundert Tagen gestiegen.

Die iranische Wirtschaft ist noch immer von der Staatswirtschaft der letzten Jahrzehnte gezeichnet. Ahmadinejad hat sich bemüht, durch eine Einschränkung seiner Ausstaffierung und der Fortführung seines einfachen Lebens das Budget des Präsidentschaftsbüros zu senken.

Doch derartige Schritte lösen nicht das zentrale Problem der Bevölkerung, die verlangt, dass er seine Versprechen in die Tat umsetzt. Doch die Herausforderungen angesichts des Wirtschaftsprogramms Ahmadinejads haben bereits jetzt eines der zentralen Konzepte der islamischen Ideologie, die Verwirklichung "himmlischer Gerechtigkeit auf Erden", auf eine schwere Probe gestellt.

Faraj Sarkohi

© Qantara.de 2005

Aus dem Persischen von Sabine Kalinock

Qantara.de

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