"Dieser Schurke ist kein Schurke - weil er mein Schurke ist"

Die USA haben sich jüngst in ihrer Iran-Politik auf die Seite Europas geschlagen. Doch für Iran wäre es ein Verhängnis, wenn Europas Politik des Ausgleichs mit dem Regime in Teheran Erfolg hätte. Von Navid Kermani

Die USA haben sich in ihrer Iran-Politik auf die Seite Europas geschlagen. Doch für Iran wäre es ein Verhängnis, wenn Europas Politik des Ausgleichs mit dem Regime in Teheran Erfolg hätte, meint Navid Kermani

Die Reformpolitik in Iran ist gescheitert, aber Irans Jugend ist weltoffen, das Selbstbewusstsein der Frauen gewachsen, Foto: Markus Kirchgessner
Die Reformpolitik in Iran ist gescheitert, aber Irans Jugend ist weltoffen, das Selbstbewusstsein der Frauen gewachsen

​​Wenn Europas Außenpolitiker sich ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung versichern wollen, sprechen sie in diesen Wochen, in diesen Tagen über Iran. Die Finger berühren sich schon, sagt zum Beispiel Joschka Fischer gern und zieht in ehrfürchtiger Anspannung die Augenbrauen hoch, wenn er zum Stand der Atomverhandlungen mit Teheran gefragt wird: Jetzt müssen sie sich bloß noch zu einem Händedruck verschränken.

Gelingt der Handschlag, so sollen wir das verstehen, hat die brave Europäische Union den mächtigen Vereinigten Staaten vorgeführt, wie die Welt sicherer zu machen ist: durch Dialog statt durch Krieg. Die Regierung von George W. Bush hält sich derweil, so heißt es, die militärische Option offen.

Sind die Rollen also wieder so klar verteilt, wie sie es im Konflikt mit dem Irak zu sein schienen, nur dass der europäische Friedensengel den amerikanischen Rambo diesmal davon abhalten könnte, um sich zu schießen? Nein, eine solche Karikatur, wie sie in der europäischen Öffentlichkeit vorherrschte, war schon in der Krise um den Irak allzu selbstgerecht. Jetzt wird sie zum Selbstbetrug.

Im Irak haben nicht bloß die Vereinigten Staaten Schuld auf sich geladen, indem sie einen Krieg vom Zaun brachen mit erlogenen Argumenten, unzureichend geplant und ohne die Ressourcen, die notwendig sind, einen Flächenstaat nicht bloß zu besiegen, sondern ihn anschließend auch zu verwalten. Versagt hat in der Irakkrise auch Europa.

Hoffnung für transatlantische Beziehungen

Die europäische Außenpolitik mitsamt der kriegskritischen öffentlichen Meinung war unfähig, eine Alternative zur amerikanischen Politik zu formulieren. Wenn die Vereinigten Staaten auf die europäischen Proteste gehört hätten, würde Saddam Hussein noch immer in Bagdad herrschen, und das Embargo der Vereinten Nationen würde auch diesen Monat wieder Tausende irakische Kinder töten.

Statt die Vereinigten Staaten dafür anzuklagen, dass sie gegen Diktaturen zu Felde ziehen, hätte Europa besser darüber nachdenken sollen, wie Diktatoren gestürzt werden können, ohne dass deren Land in den Abgrund stürzt.

Nun geben die transatlantischen Kontrahenten vor, aus dem Desaster im Irak gelernt zu haben. Im Konflikt um das iranische Atomprogramm hat die Europäische Union die Initiative ergriffen, um eine militärische Eskalation frühzeitig zu verhindern.

Den Vereinigten Staaten wiederum scheint die Lust auf Alleingänge vergangen zu sein. Selbst wenn die Verhandlungen zwischen Teheran und Brüssel scheitern, wird die Bush-Regierung nicht gleich zu den Waffen rufen, sondern den Fall vor jene Vereinten Nationen bringen, die ihr vor kurzem noch als Kaffeerunde galten.

Nicht bloß sind sich die Regierungen beiderseits des Atlantiks einig in der Einschätzung der Gefahr; unverkennbar ist das Bemühen, das Vorgehen zu koordinieren. Das macht Hoffnung für die transatlantischen Beziehungen. Hoffnung für Iran macht es nicht.

Den Preis in die Höhe treiben

Dort ist der Reformprozess längst blockiert. Zahlreiche Oppositionelle sind inhaftiert, die zuvor quicklebendige Presse mundtot gemacht, die Justiz hat die Steinigung als Strafmaß wiederentdeckt. Im Parlament haben sich die Konservativen an die Mehrheit zurückgeputscht.

Nur in Europa scheint man das nicht zu bemerken. Die europäische Außenpolitik tut so, als gelte es noch, das zarte Pflänzchen iranischer Reformen vor dem amerikanischen Stiefel zu schützen. Es war richtig, die Reformen in Iran zu unterstützen. Aber wenn Europa seine Annäherung einfach fortsetzt, obwohl es gar keine Reformen mehr gibt, verliert es jede Glaubwürdigkeit.

Indem er scheiterte, hat der Reformprozess dem Regime noch seine letzten moralischen, theologischen und sozialen Grundlagen entzogen. Das wachsende Selbstbewusstsein der Frauen, die Weltoffenheit der Jugend, die Aufklärung im religiösen Denken oder die Säkularisierung der Bevölkerung lassen sich von keiner Zwangsherrschaft mehr bändigen.

Unaufhaltsam nehmen aber auch die sozialen Spannungen zu - bereits jetzt gehört ausgerechnet das revolutionäre Iran weltweit zu den Ländern mit den größten Einkommensunterschieden. 40 Prozent der Bevölkerung leben inzwischen unter der Armutsgrenze - nach offiziellen Angaben!

Hinzu kommen die Allgegenwart der Korruption und die epidemische Ausbreitung von Drogen, um nur zwei weitere Stichworte zu nennen. Dass die gewaltigen Probleme, vor denen das Land im Inneren steht, oder die außenpolitischen Herausforderungen im neuen Nahen Osten im Rahmen des bestehenden politischen Systems zu bewältigen wären, scheint ausgeschlossen.

Das Regime weiß das genau. Isoliert von der eigenen Bevölkerung wie nie zuvor, sieht es die einzige Chance des dauerhaften Machterhalts darin, die Isolation wenigstens nach außen zu durchbrechen. Der Ausgleich mit dem Westen - einschließlich der Vereinigten Staaten, deren Embargo schwer auf der Wirtschaft lastet - ist heute ein lebenswichtiges strategisches Ziel der Islamischen Republik. Darum treibt sie das Spiel mit der Atomwaffe so weit: um am Ende international rehabilitiert zu sein.

Und was machen die Europäer? Sie folgen den Machthabern in Teheran wie der Esel der hingehaltenen Karotte. Für den Fall, dass Iran von der Atombombe lässt, locken sie mit politischer, wirtschaftlicher und technologischer Zusammenarbeit. Und weil Teheran die Panik des Westens vor einer iranischen Atombombe realistisch einschätzt, treibt es den Preis in die Höhe, indem es immer wieder neu die Uran- Anreicherung oder eine andere Karte ins Spiel bringt.

Der Gewinn, den Teheran am Ende einstreichen will, ist jetzt schon klar: Auch die Vereinigten Staaten sollen dem Deal zustimmen, die Sicherheit des Regimes garantieren und alle Sanktionen aufheben - daher das europäische Flehen, die Amerikaner mögen eine Verhandlungslösung nicht torpedieren, sprich: sich einer dauerhaften Akzeptanz Irans durch die westliche Staatengemeinschaft nicht versperren.

Es geht um Interessen

Von einer Demokratisierung Irans, gar von regime change spricht in Europa niemand. Man bevorzugt das Modell Gaddafi: die Mutation des Schurken zum Partner. An Werte wie Säkularität, Gleichberechtigung oder Menschenrechte scheint sich Europa nur dann zu erinnern, wenn es die eigene muslimische Minderheit zum Aufklärungsrisiko erklärt. Im Umgang mit muslimischen Diktatoren erlischt aller Missionseifer. Realpolitik muss auch Steinigungen tolerieren.

In Amerika haben die Neokonservativen erkannt, dass eine Politik, die sich allein an den eigenen Interessen orientiert, zum eigenen Schaden ausfällt, wenn sie das Interesse allzu kurzfristig definiert.

Gewiss haben die Vereinigten Staaten Saddam Hussein nicht aus Menschenliebe gestürzt. Ebenso wenig zeugt die Forderung nach Demokratie in Iran von plötzlicher Sympathie für eine Bevölkerung, die wie wenige andere unter der amerikanischen Außenpolitik gelitten hat: vom CIA-Putsch gegen den gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh 1953 über die Unterstützung des Iraks beim Einmarsch in Iran 1980 bis hin zum Abschuss eines vollbesetzten iranischen Zivilflugzeuges 1988. Es geht um Interessen. Wie könnte es anders sein in der Weltpolitik?

Aber das amerikanische Projekt einer Neuordnung des Nahen Ostens scheint den meisten Iranern heute ungleich näher als die sich so altruistisch gebende Politik der Europäer. In dieser kehrt nämlich ein Ungeheuer zurück, das entscheidend zu den Verheerungen im Nahen Osten beigetragen hat, die heute auch die Sicherheit des Westens bedrohen: der Schurke, der kein Schurke ist, weil er mein Schurke ist.

Wer nicht auf einem Minimum gemeinsamer Werte besteht und bereit ist, selbst mit den finstersten politischen Geschöpfen zu paktieren, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Geschöpfe sich eines Tages gegen ihre Gönner wenden. Wer selbst keine Moral hat, sollte sie von Schurken schon gar nicht erwarten.

Befreiung ist nicht falsch

Im schlimmsten Fall haben die Europäer Erfolg. Die Iraner geben die gewünschten Garantien (und werden heimlich weiter an der Atombombe zu basteln versuchen). Dafür wird Iran aufgenommen in den Club der Gutstaaten, auch die Amerikaner willigen ein, das Regime konsolidiert sich und sitzt fester im Sattel als je im vergangenen Jahrzehnt.

Die Dummen sind zunächst die Iraner. Auf lange Sicht aber könnte sich erneut zeigen, wie gefährlich genau diese Hypostase der Sicherheitspolitik ist. Der jetzige Zustand Irans lässt sich auch mit westlichem Zement nicht auf Dauer aufrechterhalten.

Ohne eine politische Liberalisierung wird es in Iran keine Stabilität geben. Die Reformen Chatamis waren eben ein Versuch, das Regime von innen zu verändern, um es zu retten. Der Versuch ist gescheitert, damit aber langfristig auch das Regime. Und die Iraner werden nicht vergessen, wer bis zum Ende daran festgehalten hat. Krieg ist das falsche Mittel.

Aber Befreiung ist nicht das falsche Ziel. Gewiss braucht es Geduld, um die Verhältnisse in Teheran zu ändern. Eine Invasion wäre nicht bloß aufgrund der iranischen Aufrüstung unverantwortlich. Aber anders als im Irak Saddams Husseins hat sich in Iran ein umfassendes demokratisches Bewusstsein bereits herausgebildet.

In den Universitäten und Theologischen Hochschulen werden Debatten geführt, die tiefer gehen als in den westlich orientierten arabischen Staaten. Auch wenn die Schritte noch so klein sind, werden sie die iranische Gesellschaft ans Ziel der Befreiung bringen. Sie muss nur ihre Füße wieder auf den Boden der Politik bekommen.

Es wäre daher schon viel, wenn jene Reformen, die klare politische Mehrheiten gefunden haben, fortgesetzt würden; wenn jene Gesetze, die in Iran selbst gelten, angewandt würden; wenn Zeitungen, deren Redaktionen noch existieren, wieder erscheinen dürften; wenn der Wächterrat bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen unabhängige Kandidaten zuließe.

Selbst solche moderat wirkenden Öffnungen würden dem System mittelfristig die Luft nehmen - dafür sorgt der Druck von innen.

In den letzten zwei Jahrzehnten konnte das Regime die Frontstellung gegen die Vereinigten Staaten durchhalten, weil die Beziehungen zu Europa einen Ausgleich boten. Würden Europäer und Amerikaner die Sicherheitsfrage im politischen Kontext betrachten und die allmähliche Demokratisierung in den Mittelpunkt einer gemeinsamen Iranpolitik stellen, wäre das Regime zu Konzessionen gezwungen.

Iran bietet weitaus realistischere Ansätze für einen gewiss langsamen, aber immerhin friedlichen Wandel als der Irak Saddams, als Syrien oder Nordkorea. Europa sollte ihn, wenn es sich schon zum Weltakteur erhebt, wenigstens nicht verhindern. Sonst könnte sich mancher Iraner noch wünschen, dass Europas ausgestreckte Hand verdorren möge.

Navid Kermani

© Süddeutsche Zeitung, 24.02.2005

Navid Kermani lebt als Schriftsteller in Köln. Zuletzt ist sein Buch mit Erzählungen unter dem Titel "Du sollst" im Ammann Verlag erschienen.

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