Imame "made in Germany“

Deutschland/Islamkolleg/Symbolbild; Foto: Metodi Popow/imago images
Deutschland/Islamkolleg/Symbolbild; Foto: Metodi Popow/imago images

Am 15. Juni fiel am Islamkolleg in Osnabrück der offizielle Startschuss für die neue Ausbildung von Imamen in deutscher Sprache. Das Islamkolleg soll die islamischen Theologen auf ihre Arbeit in den Moscheegemeinden vorbereiten und so die Verortung der Muslime in Deutschland weiter vorantreiben. Von Christoph Strack

Von Christoph Strack

Für Ender Cetin ist es ein "richtiger Schritt in die richtige Richtung". Der 45-Jährige, als Kind türkischer Migranten in Berlin geboren und aufgewachsen, gehört zu den ersten Teilnehmern des neuen Lehrgangs am Islamkolleg in Osnabrück, das am 15. Juni seinen Start feierte.

Cetin, der bereits als Laien-Imam tätig war, kommt regelrecht ins Schwärmen, wenn es um die neue Ausbildung geht. "Allein die Idee, dass es in Deutschland möglich wird, einmal Imame 'made in Germany' auszubilden, mit offener Zukunftsperspektive", begeistere ihn, sagte er der Deutschen Welle. Das sei bereichernd.

Wie wichtig das Osnabrücker Projekt ist, ließ Bundesinnenminister Horst Seehofer, der innerhalb der Bundesregierung für den Bereich Religion zuständig ist, bei einem Auftritt vor der Deutschen Islamkonferenz im November 2020 erkennen. Da nannte Seehofer das damals noch in der Planung befindliche Islamkolleg „selbstbewusst und kooperativ“. Die Einrichtung sei eine gute Nachricht für die Muslime in Deutschland. Mit Blick auf die verschiedenen Angebote sei er zuversichtlich, dass künftig weit mehr als heute "islamischer Kultus" in Deutschland "der Lebenswirklichkeit der in Deutschland lebenden Muslime entsprechen wird". Es geht um die Abkehr von einem Import-Islam, der häufig von der Türkei dominiert und vom Moscheeverband DITIB geprägt wird.

Hinter dem Projekt stehen islamische Wissenschaftler der Universität Osnabrück, an der das Institut für Islamische Theologie seit Jahren etabliert ist, und deutsche Muslime mit bosnischem Hintergrund. Die beteiligten Verbände decken nach eigenen Angaben rund 500 der mindestens 2500 Moscheen in Deutschland ab. Aber der bosnische Islam wird in Deutschland eben nicht aus Bosnien gesteuert. Wer mitten im Berliner Szeneviertel Kreuzberg in die größte bosnische Moschee der Stadt geht, versteht auch als Besucher die in deutscher Sprache vorgetragene Predigt.

Deutschland/Neues Islamkolleg/Imam Ender Cetin; Foto: Tessa Walter/DW
Ein Schritt in die richtige Richtung: Für Ender Cetin, 45, Sohn türkischer Migranten aus Berlin gehört zu den ersten Teilnehmern des neuen Lehrgangs am Islamkolleg in Osnabrück, das am 15. Juni seinen Start feierte. "Ich glaube, dass wir uns an einem Wendepunkt der muslimischen Geschichte in Deutschland befinden," sagt Cetin. Der Bedarf für die praktische Ausbildung von Imamen werde größer. Cetin ist regelmäßig an Schulen unterwegs und spürt, dass Jugendliche "mehr und mehr die deutsche Sprache bevorzugen, wenn sie über ihre Religion reden wollen".





Ausbildung in deutscher Sprache

Laut Islamkolleg treten 25 Personen die zweijährige Imam-Ausbildung an. Weitere 25 Männer und Frauen sind zu Fortbildungskursen angemeldet. Der Aspekt der Sprache ist dabei zentral. Die Absolventen des Islamkollegs lernen ausschließlich in deutscher Sprache. Gleichzeitig betont die Ausbildung den akademischen Anspruch. So sollen auch diejenigen, die zuvor Islamische Theologie an einer Universität studiert haben, nach ihrem Uni-Abschluss im Islamkolleg für die konkrete Arbeit in der Seelsorge ausgebildet werden. Der Ansatz ist  vergleichbar mit der Ausbildung künftiger katholischer oder evangelischer Geistlicher, die nach dem Studium noch an die praktische Arbeit herangeführt werden.

Für die Politik ist diese Ausbildung der künftigen Imame in deutscher Sprache so wichtig, dass das Islamkolleg eine Anschubfinanzierung vom Bundesinnenministerium und vom Land Niedersachsen erhalten hat. Mit der Vermittlung der Lerninhalte in deutscher Sprache und seiner Nähe zu einem akademischen Standort in Deutschland entspricht das Islamkolleg genau den Vorgaben, die die Politik bereits seit Jahren für die Imam-Ausbildung vorsieht.

Als der Vorsitzende des Islam-Kollegs, der aus Bosnien stammende Islamgelehrte Esnaf Begic, und Bülent Ucar, Professor für islamische Theologie an der Universität Osnabrück, und heute der Direktor, das Konzept im Oktober 2020 in Berlin präsentierten, hofften sie noch auf einen Start zu Jahresbeginn 2021. Daraus wurde wegen der Corona-Pandemie zunächst März, schließlich der jetzige Juni-Termin. Am 15. Juni fand die feierliche Eröffnung statt, das Lernprogramm startete bereits einen Tag zuvor.

 



Kursteilnehmer mit vielfältigem Hintergrund

Bülent Ucar spricht mit Blick auf die Teilnehmer des ersten Kurses von einer "bunten Mischung" bei der ethnischen Herkunft und der Zuordnung zu muslimischen Verbänden. "Wir haben türkischstämmige, arabischstämmige, bosnischstämmige Muslime und sogar Konvertiten", sagte er der Deutschen Welle. Der Frauenanteil liege bei 20 Prozent.

Ucar spricht mit Blick auf die Lerninhalte von "elementaren Grundvoraussetzungen" für die Gemeindearbeit. "Dazu gehört meines Erachtens, dass sie neben praktischen pädagogischen, liturgischen und seelsorgerischen Kompetenzen der deutschen Sprache mächtig sind." Heute sei es doch so, dass Gemeinden ihre Imame "teilweise nicht mehr" verstünden. Das führe zu großen Diskrepanzen in der Kommunikation zwischen den Imamen und den Gemeindemitgliedern. Wenn die Imame die Jüngeren nicht mehr erreichten, drohten diese zu extremistischen Gruppierungen abzuwandern, die ihre Angebote im Netz präsentieren.

 



Eine "Einmalige Gelegenheit"

Zur Eröffnung kamen unter anderem der frühere Bundespräsident Christian Wulff, der sich in vielfältiger Weise für den Dialog mit dem Islam engagiert, und Seehofers Staatssekretär Markus Kerber, so etwas wie der Motor des Islamkollegs bei der Deutschen Islamkonferenz. Welche Hoffnungen das neue Kolleg auch auf muslimischer Seite weckt, verdeutlicht der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek: "Wir haben eine einmalige Gelegenheit, praxisnah an den Bedürfnissen der Moscheen entlang, gepaart mit solider deutscher universitätswissenschaftlicher Begleitung die Königsdisziplin der islamischen Theologie, die Imamausbildung, in Deutschland zu organisieren", sagt Mazyek der Deutschen Welle. Wichtig sei für ihn nun, innerhalb der Moscheegemeinden für diesen Ansatz und dieses Angebot um Akzeptanz zu werben. So könne das Islamkolleg eine breite Basis bekommen.

Ender Cetin, der Teilnehmer aus Berlin, zeigt sich zuversichtlich: "Ich glaube, dass wir uns an einem Wendepunkt der muslimischen Geschichte in Deutschland befinden." Der Bedarf für eine solche praktische Ausbildung werde größer. Er sei, sagt Cetin, regelmäßig an Schulen unterwegs und spüre, dass Jugendliche "mehr und mehr die deutsche Sprache bevorzugen, wenn sie über ihre Religion reden wollen".

Christoph Strack

© Deutsche Welle 2021