Die Rückkehr des Gandhi-Clans 

Fast sah es so aus, als könnte Premier Modi ohne große Gegenwehr die Wahlen 2024 bestreiten. Doch nun hat das Oberste Gericht für Rahul Gandhi den Rückweg in die Politik frei gemacht. Wird Indiens Opposition den Schub nützen?
Fast sah es so aus, als könnte Premier Modi ohne große Gegenwehr die Wahlen 2024 bestreiten. Doch nun hat das Oberste Gericht für Rahul Gandhi den Rückweg in die Politik frei gemacht. Wird Indiens Opposition den Schub nützen?

Fast sah es so aus, als könnte Premier Modi ohne große Gegenwehr die Wahlen 2024 bestreiten. Doch nun hat das Oberste Gericht für Rahul Gandhi den Rückweg in die Politik frei gemacht. Wird Indiens Opposition den Schub nützen? Von Arne Perras 

Von Arne Perras

Eine Anhängerin schüttelte ihm rosafarbene Blüten auf den Kopf, zum Dank führte Rahul Gandhi die offene Hand ans Herz. Es war ein guter Tag für den prominenten indischen Oppositionellen, wie Bilder und Clips aus Indien zeigten. Nach all den Rückschlägen der vergangenen Monate hatte Gandhi an diesem Freitag Grund zur Freude. Der Supreme Court fällte eine Entscheidung, die dem 53-Jährigen den Weg zurück auf die politische Bühne ebnet. 

Zur Erinnerung: Im März war es für den Politiker Gandhi besonders schlimm gekommen, als er in einem Beleidigungsverfahren zur Maximalstrafe von zwei Jahren Haft verurteilt worden war.



Die Richter befanden damals über eine Klage, die dem Oppositionellen vorwarf, in einer Wahlkampfrede 2019 den Namen Modi verunglimpft zu haben. Gandhi verlor dadurch seinen Sitz im Parlament und somit auch seine Rolle als einer der führenden Oppositionspolitiker, die Modi bei der Wahl 2024 herausfordern würden. 

Dieses umstrittene Urteil hat das Oberste Gericht in Indien nun ausgesetzt. Die Richter der Vorinstanz hätten die Maximalstrafe für Gandhi nicht ausreichend begründet, erklärte der Supreme Court. Nun muss das Urteil nochmals überprüft werden. Bis dahin steht einer Rückkehr Gandhis in die Abgeordnetenkammer, die Lok Sabha, juristisch nichts mehr im Weg.

Proteste von Anhängern Gandhis gegen seinen Ausschluss aus dem Parlament; Bikas Das/AP Photo/picture alliance
Proteste von Anhängern Rahul Gandhis gegen seinen Ausschluss aus dem Parlament: Im März war Gandhi in einem Beleidigungsverfahren zur Maximalstrafe von zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Die Richter befanden damals über eine Klage, die dem Oppositionellen vorwarf, in einer Wahlkampfrede 2019 den Namen Modi verunglimpft zu haben. Gandhi verlor dadurch seinen Sitz im Parlament und somit auch seine Rolle als einer der führenden Oppositionspolitiker, die Modi bei der Wahl 2024 herausfordern werden. 



Der Führer der Kongresspartei im Unterhaus, Adhir Ranjan Chowdhury, kündigte an, er werde noch am Freitag (04.08.) beantragen, den Ausschluss Gandhis vom Parlament umgehend aufzuheben. Ergeben sich keine weiteren Widerstände, könnte Gandhi womöglich schon am Montag wieder seinen Platz als Abgeordneter einnehmen. 

Die Entscheidung der obersten Richter hat für Indien große Bedeutung, denn eine dauerhafte Disqualifizierung hätte bedeutet, dass Gandhi auch von den nationalen Wahlen im kommenden Jahr ausgeschlossen wäre.



Die verhängte Verleumdungsstrafe hatte landesweit heftige Debatten ausgelöst - über die Freiheit der politischen Rede in einer Demokratie, und auch über Vorwürfe, dass die Opposition unnötig gegängelt werde. 

Premierminister Narendra Modi, dessen Partei BJP die politische Landschaft ohnehin dominiert, hätte durch einen Ausschluss Gandhis kaum mehr nennenswerte Gegner bei den Wahlen gehabt.



Wobei keineswegs gewiss ist, wieviel politisches Gewicht der Spross der legendären Gandhi-Dynastie tatsächlich noch entwickeln kann, um den Amtsinhaber herauszufordern. 

 

— Mallikarjun Kharge (@kharge) August 7, 2023

 

 

Die Opposition müsste geschlossen gegen die BJP antreten 

Die meisten Analysten sind sich einig, dass die indische Opposition gegen die Maschine der Modi-Partei nur dann eine Chance haben wird, wenn sie geschlossen gegen das Lager des Premiers antritt. Vor drei Wochen haben sich mehr als zwei Dutzend Parteien zu diesem Zweck in einem Bündnis zusammengefunden.

Doch wie stark die Allianz sein wird, und ob sie der großen Popularität Modis genug entgegensetzen kann, ist offen. Steigende Preise und die wachsende Arbeitslosigkeit machen es der Opposition zumindest leicht, die Regierung an diesen Fronten zu attackieren. 



Sympathisanten der Kongresspartei brachen in Jubel aus, als das Oberste Gericht seine Entscheidung verkündet hatte. Rahul Gandhi schrieb auf X (vormals Twitter): "Komme, was wolle, meine Aufgabe bliebt dieselbe: die Idee von Indien zu beschützen."



Damit bringt er sich ideologisch als Wächter der Nation ins Spiel, seine Kongresspartei hatte schon vor der Unabhängigkeit eine herausragende Rolle in der indischen Politik gespielt und diese dann, nach dem Abzug der Briten im Jahr 1947, weiter ausgebaut; daran will der Politiker anknüpfen. 

 

 

 

Ein Urenkel von Staatsgründer Jawaharlal Nehru 

Im Laufe der Jahrzehnte wuchs der Nehru-Gandhi-Clan (der mit Mahatma Gandhi zwar den Namen teilt, aber nicht verwandt ist) zur bestimmenden politischen Dynastie Indiens heran: Rahul ist der Urenkel von Staatsgründer Jawaharlal Nehru, Enkel von Indira Gandhi und Sohn von Rajiv Gandhi.

Die Kongresspartei der Gandhis verfolgte dabei stets eine säkular ausgerichtete Politik, wie sie auch dem Geist der indischen Verfassung entspricht. Und diese Seele der indischen Nation will auch das Parteienbündnis gegen Modi und seine religiös geprägte Partei verteidigen. 

Wenn Rahul Gandhi nun über die "Idee von Indien" spricht, so versucht er, die Vision eines pluralistischen Gemeinwesens wieder zu beleben, wie sie den Gründungsvätern - unter ihnen sein Urgroßvater Nehru - vorschwebte.



Der Kongress-Politiker setzt dies bewusst gegen jenes Staatsverständnis, das er durch Premier Modi und dessen hindu-nationalistische Bewegung verkörpert sieht.



Die Basis der Modi-Partei setzt stark auf eine national-religiöse Identität, die Hindus in den Mittelpunkt rückt, was zur Folge hat, dass sich religiöse Minderheiten zunehmend entfremdet fühlen.



Sie beklagen, dass die Regierung eine Dominanz der Hindus auf Kosten aller anderen vorantreibe, anstatt Minderheiten zu schützen. 

Arne Perras 

© Süddeutsche Zeitung 2023